Bilanz | Rebecca Solnit zusätzlich sexualisierte Gewalt: Es gibt eine gute Nachricht im Fall Epstein
Ich war dabei. Ich habe die Quittungen noch. Ich erinnere mich, wie normal die sexuelle Ausbeutung von Teenagern und Mädchen durch erwachsene Männer war. Wie sie in Filmen auftauchte, in den Geschichten von Rockstars und ihren Babygroupies, in der Subkultur und in der Hochkultur.
Der letzte Woody-Allen-Film, den ich sah, war Manhattan, in dem er sich mehr oder weniger als sich selbst besetzt hat: Ein Tölpel Mitte 40, der mit einer Schülerin liiert ist, die von Mariel Hemingway gespielt wird. Hemingway war so alt wie ich, 17, und ich kannte mich mit creepy Typen dieser Art nur allzu gut aus. Der Film machte mir Angst, obwohl ich erst sehr viel später las, dass Hemingway sagte, er habe sie damals bedrängt, mit ihr auch im echten Leben eine sexuelle Beziehung einzugehen.
Manhattan kam 1979 in die Kinos; zwei Jahre zuvor hatte Roman Polanski, unter dem Vorwand, er wolle Fotos für Vogue machen, eine 13-Jährige dazu gebracht, alleine in ein Haus zu kommen, wo er sie unter Drogen vaginal und anal vergewaltigte. Sein Bewährungshelfer schrieb: „Es gab Anzeichen dafür, dass die Umstände provozierend waren, dass die Mutter eine gewisse Toleranz zeigte“ und „dass das Opfer nicht nur körperlich reif, sondern auch willig war“.
Nach eigener Aussage hatte das Mädchen mehrmals Nein gesagt und sogar einen Asthmaanfall vorgetäuscht, um Polanski von seinem Vorhaben abzubringen. Aber der Bewährungshelfer war ein Mann seiner Zeit und nur allzu bereit, das unter Drogen stehende Kind zu beschuldigen. Das war damals normal.
Brooke Shields im „Playboy“: Wie die 70er Kinder sexualisierten
Die Filme der 1970er trugen zu dieser Normalisierung bei. Jodie Foster war 12, als sie eine Prostituierte in Taxi Driver spielte. In Pretty Baby spielte die 11‑jährige Brooke Shields ebenfalls eine Prostituierte im pittoresken New Orleans, deren Jungfräulichkeit an den Meistbietenden geht. In einigen Szenen ist sie nackt, wie zuvor bereits mit zehn im Playboy.
In Milos Formans Taking Off von 1971 haut die Tochter des Protagonisten mit 15 ab und kommt mit einem Rockstar-Boyfriend zurück. Kinder, die mit Rockstars schliefen, waren Teil der Groupiekultur. Im Interview Magazin las man von einem Groupie, die „ihre Unschuld mit 12 an den Gitarristen der Band Spirit, Randy California verlor. Eine Zeit lang war sie mit Iggy Pop zusammen, der die Beziehung 1996 in Look Away verherrlichte. I slept with Sable when she was 13/ Her parents were too rich to do anything.“
Es waren die 70er, in denen David Hamiltons weichgezeichnete Farbfotos nackter und leichtbekleideter Mädchen in der Pubertät als Coffeetable-Bücher und Poster in die Massenkultur eingingen. In den 1990ern sorgten Jock Sturges’ Schwarz-Weiß-Bilder ähnlicher Mädchen in einer Nudistenkolonie für eine Kontroverse. Während er sie damit verteidigte, es handle sich um Kunst und die Abbildung eines paradiesischen Zustandes ohne Scham, drehte eine ehemalige Schülerin eine Dokufiktion über die sexuelle Beziehung zwischen ihnen als sie 14 war und er ihr Kunstlehrer in den 70ern.
Als Brooke Shields später versuchte, die weitere Verbreitung der Nacktfotos zu unterbinden, die Gary Gross von ihr im Alter von zehn Jahren gemacht hatte, berichtete der Guardian 2009: Gross’ Anwälte argumentieren, seine Foto könnten Shields Ruf nicht weiter beschädigen, da sie, seit sie aufgenommen worden waren, eine profitable Karriere gemacht habe als „junger Vamp und Hure, als erfahrene Sex-Veteranin, als provokative Kindfrau, als erotisches und sinnliches Sexsymbol, als Lolita ihrer Generation“.
Das Gericht stimmte dem zu, sprach von der „sinnlich-verlockenden Anziehungskraft“ der Bilder und entschied zugleich, dass Gross keine Pornografie erstellt habe: „Sie haben keine erotische Anziehungskraft, außer vielleicht auf perverse Gemüter“, so das Gericht.
Teenager-Film von John Hughes: Ob sie es genossen hat?
Die 1980er waren nicht anders. Molly Ringwald schrieb später über die Teenager-Filme von John Hughes, in denen sie mitspielte, „Es ist mir etwas peinlich, zuzugeben, dass ich sehr viel länger brauchte, um die Szene in Das darf man nur als Erwachsener wirklich zu verstehen, in der Jake seine betrunkene Freundin Caroline dem Geek anbietet, um dessen sexuelle Gelüste zu stillen und dafür Samanthas Unterwäsche bekommt.
Der Geek macht Polaroid-Fotos von Caroline als Beweis für seine Eroberung; als sie am Morgen mit einem Fremden erwacht, fragt er sie ‚ob sie es genossen habe‘“. Dass es sich um Vergewaltigung handelte, war Ringwald nicht klar, sagte sie, und das galt wohl auch für die Zuschauer.
1984 hatte der Rolling-Stones-Bassist Billy Wyman, damals 47, eine Beziehung mit einem Kind, von dem er behauptete, sie sei „mit 13 eine Frau gewesen“. Wesentlich später machte diese Frau sich dafür stark, das Alter in Großbritannien für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr von 16 auf 18 zu erhören. Ihr Argument: „Man ist noch ein Kind – selbst mit 16“.
Mir selbst stellten die Typen nach, als ich 12 oder 13 Jahre alt war
Vor der sexuellen Revolution hatten Prüderie und Sittlichkeit Mädchen als Besitz ihrer Väter und künftigen Ehemänner betrachtet, deren Reinheit nicht beschmutzt werden durfte, was zumindest eine Grundlage für ein Nein bot. Die sexuelle Revolution löste diese Barriere auf. Als ich in den 1970ern ein Teenager war, ging man allgemein davon aus, dass Sex gut sei und jeder ihn haben solle.
Mir selbst stellten die Typen mit 12 oder 13 nach, ebenso erging es meinen Freundinnen. Alles wurde als ein Ja gedeutet; nichts galt als Nein. So gut wie niemand half Mädchen dabei, ihnen zu entgehen; wir waren auf uns selbst gestellt und avancierten zu Fluchtkünstlerinnen. Auf der alternativen Schule, die ich Mitte der 1970er in einem properen Vorort besuchte, gingen 13-jährige Mädchen mit erwachsenen Drogendealern und eine 14-Jährige gab mit dem Verlobungsring eines Mannes mittleren Alters an. Die Erwachsenen schien das nicht weiter zu kümmern.
Misogyn war auch diese Kultur; Sex wurde größtenteils entlang männlicher Bedürfnisse definiert.
Die 1978 gegründete NAMBLA (North American Man-Boy Love Association) war eine Organisation erwachsener Männer, die sich aktiv für die Legalisierung von Sex mit minderjährigen Jungen einsetzte und erst nach und nach für illegal erklärt wurde. Heterosexuelle Männer brauchten keine spezielle Organisation, die sich für ihr Interesse an Minderjährigen stark machte; das übernahm die gesamte Kultur. Angefangen bei der Playboy-Philosophie über Hollywood und Rock’n’Roll bis zur kitschigen Kunst eines David Hamilton, dazu das Gekicher und die Ausreden.
Ich schreibe all dies, weil das kürzlich veröffentlichte Geburtstagsbuch von Jeffrey Epstein aus dem Jahr 2003 ein spätes Relikt dieser Kultur ist, ebenso wie Donald Trumps Haltung gegenüber Frauen. Trump war oft bei Epsteins Events, wo es vor jungen weiblichen Models wimmelte. Es war die Zeit, als Models losgeschickt wurden, um sich unter reiche Männer zu mischen.
Zwei Seiten des Buchs sind besonders irritierend. Auf einer davon ist ein Foto von drei Personen zu sehen, die einen riesigen Scheck von Epstein halten, mit Trumps Unterschrift (vermutlich nicht echt), auf dem steht, dass Epstein eine „vollständig abgeschriebene“ Frau für 22.500 Dollar an Trump verkauft. Abgeschrieben ist ein Begriff aus der Immobilienbranche; der Witz scheint darin zu bestehen, dass eine Frau irgendwie an Wert verloren hat, aber immer noch als Eigentum, Vieh, oder bewegliches Vermögen verkäuflich ist.
Dann kam der Feminismus
Auf dem anderen Bild ist Epstein 1983 zu sehen, wie er sich mit Luftballons und Süßigkeiten an kleine Mädchen heranmacht, was ihn deutlich als Kinderbelästiger ausweist; die andere Hälfte zeigt ihn 2003 in einem Liegestuhl, wo er von vier jungen Frauen oder Mädchen bedient wird, zwei davon in String-Bikinis, eine hat Epsteins Initialen auf ihren Po tätowiert. Klar ist, dass derjenige, der diese anzüglichen Seiten zu dem Buch beisteuerte, von Epsteins sexuellem Appetit auf junge Mädchen wusste, und viele andere ebenso.
Was sich zwischen den von mir beschriebenen 1970er Jahren und der Gegenwart ereignete, ist der Feminismus: ein Feminismus, der darauf bestand, dass Frauen Menschen mit Rechten sind, dass Sex, im Gegensatz zu Vergewaltigung, etwas sein muss, das beide Parteien wollen, dass die Zustimmung aktiv und bewusst sein muss, dass alle menschlichen Interaktionen mit Macht zu tun haben und dass das enorme Machtgefälle zwischen erwachsenen Männern und Kindern bedeutet, dass Einvernehmlichkeit nicht möglich ist.
Es war der Feminismus, der die Allgegenwärtigkeit von Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, sexueller Belästigung und häuslicher Gewalt aufgedeckt hat und dafür sorgte, dass dieser Missbrauch entnormalisiert wurde, der so sehr Teil der patriarchalen Gesellschaft war. Und es allzu oft immer noch ist. Aber das Leugnen und die tolerierende Haltung sind Geschichte. Zumindest in der Massenkultur.
Rebecca Solnit ist eine US-amerikanische Schriftstellerin und Publizistin. Zu ihren bekanntsten Büchern zählt Wenn Männer mir die Welt erklären (Hoffmann und Campe 2017 ). Zuletzt erschien von ihr der Band Umwege. Essays für schwieriges Terrain (Rowohlt 2025)