Wirtschaftsstandort Deutschland: Deutsche Willkommenskultur

Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum, Rekordhalter bei Steuern und Abgaben und über den Strompreis reden wir besser gar nicht. Es ist gerade mal ein paar Monate her, da wurde der Standort Deutschland zum „kranken Mann“ Europas erklärt. An den Fakten hat sich zwar wenig geändert, an der Deutung aber sehr wohl: Marktkenner aus Investmentbanken und Beratungsgesellschaften berichten von einer neuen „Neugier“ an Deutschland. Investoren im Ausland würden sich wieder sehr genau damit beschäftigen, was hierzulande passiert. Vor allem Private-Equity-Unternehmen greifen zu, wenn Industriegrößen wie BASF, Siemens oder Bosch Teile ihres Geschäfts abspalten und zu Geld machen.

Für das neue Interesse am Standort Deutschland gibt es mehrere Gründe. Das 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen und das Aufbohren der Schuldenbremse signalisieren eine neue Ausgabenfreude der Bundesregierung, die Wachstum in Europas größter Volkswirtschaft verspricht. Die schwarz-rote Koalition kündigt zudem Strukturreformen an, die Unternehmen das Leben leichter machen sollen. Auch der Investitionsgipfel im Kanzleramt und die Berufung des früheren Commerzbank-Chefs Martin Blessing zum Investitionsbeauftragten des Kanzlers verströmen Willkommenskultur.

Hinzu kommt, dass man sich im Ausland alle Mühe gibt, unattraktiver zu werden: Donald Trumps erratische Wirtschaftspolitik mag zwar das ein oder andere Unternehmen verleiten, Produktion nach Amerika zu verlagern, um Zölle zu umgehen. Die Unsicherheit insgesamt hat aber dazu geführt, dass die jahrelange Fokussierung der Investoren auf die Vereinigten Staaten ein Ende hat. Und Frankreich, das in den vergangenen Jahren die meisten Investitionsprojekte in Europa angezogen hat, wirkt angesichts von Streiks, Randale und Haushaltsnöten weniger anziehend.

Auf das neue Interesse an Deutschland werden aber erst dann neue Fabriken und Arbeitsplätze folgen, wenn die Bundesregierung Wort hält und Reformen folgen lässt. Steuern und Strompreis scheinen den Investoren gar nicht mal so wichtig. Entscheidender seien schnelle Genehmigungsverfahren und weniger Bürokratie, man habe es mit der Krötenrettung bei Bauprojekten einfach übertrieben. Zeit zum Handeln ist also jetzt, denn Interesse und Kapital sind flüchtig. Und wenn das Interesse schwindet, ist Deutschland ganz schnell wieder der „kranke Mann Europas“.