Kino | „One Battle After Another“: Revolutions-Spektakel trifft Zeitgeist

Paul Thomas Andersons neues Actiondrama erzählt von Revolte und dem langsamen Zerbröckeln männlicher Machtgesten. Mit Sean Penn, Leonardo DiCaprio und Teyana Taylor gelingt ein Film, der zugleich ironisch und überraschend gegenwärtig wirkt


Der Exrevoluzzer findet keine Ruhe: Leonardo DiCaprio als Bombenleger Bob

Foto: Warner Bros. Pictures


Man kann sich noch so oft darüber belehren lassen, dass Filme eine lange Produktionszeit haben und erdacht und gedreht wurden, als man sich die jeweils letzten Wahlergebnisse noch anders vorstellte oder erhoffte. Trotzdem verspürt man den dringenden Wunsch ins Kino zu gehen vor allem dann, wenn ein Film verspricht von der unmittelbaren Gegenwart zu handeln.

Dabei kann diese Gegenwart auch in verkleideter Gestalt daherkommen, als Fantasy-Zukunft wie in den Dune-Adaptionen, als Horrorfilm wie in Jordan Peeles Get Out (2017) oder in Form eines abgehangenen Comicbook-Stoffs wie in Joker (2019), der die aktuelle gesellschaftliche Fragmentierung, Ungleichheit und Entfremdung frappierend auf den Punkt brachte.

Exentrische Starbesetzung

Paul Thomas Andersons neuester Film One Battle After Another macht seit Wochen genau mit diesem Claim Furore: Den Zeitgeist zu treffen, den aktuellen Moment zu erfassen. Das erscheint zunächst auch deshalb kurios, weil die Filmhandlung von Thomas Pynchons Roman Vineland aus dem Jahr 1990 inspiriert ist, der seinerseits 1984 spielt und wesentlich vom langen Schatten der rebellischen 1960er erzählt.

Mit Sean Penn und Leonardo DiCaprio hat Anderson zudem zwei Schauspiel-Stars besetzt, die ihre größte Popularität hinter sich gelassen und den Glanz der Hauptrollen zugunsten von zunehmend exzentrischer Charakter-Darstellung aufgegeben haben. Wieviel Gegenwart kann da sein?

Aber dann holen einen die ersten Szenen des Films sofort ab. Zwar nicht in die tatsächliche Gegenwart, aber in jene nahe Zukunft, wie man sie im Moment als unmittelbar bevorstehend fürchtet. In einem faschistisch geprägten Amerika befinden sich Migranten in notdürftigen Camps eingesperrt. Wir sind irgendwo an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Eine militante Gruppe, sie nennt sich „French 75“, bereitet eine Befreiungsaktion vor.

Perfidia und Bombenleger Bob

Die charismatischste Gestalt unter ihnen hört auf den extravaganten Namen Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor) und erkundet mit pantherhafter Eleganz die Lage. Sie ist eine Revoluzzerin, so sexy und aufmüpfig wie aus einem Computerspiel. Bei der Befreiungsaktion nimmt sie es persönlich mit dem Campführer, Colonel Steven J. Lockjaw (Sean Penn) auf und demütigt ihn mit der vollen Gewalt ihrer erotischen Ausstrahlung. Für den eingefleischten Rassisten ist das der Beginn einer jahrzehntelangen Obsession.

Während die Montage eine Art Bonnie und Clyde-Roman über Perfidia und den Bombenleger Bob (Leonardo DiCaprio) und ihre quasi-glamourösen Banküberfälle und Attentate erzählt, bringt Lockjaw die Apparatur des Polizeistaats in die Gänge, macht die Schwachstelle der „French 75“ aus und nutzt die bewährten Mittel von Folter und Erpressung dazu, Verrat zu stiften und die Gruppe zu zerschlagen. Perfidia bekommt ein Kind, das sie in der Obhut von Bob zurücklässt, bevor sie verschwindet.

Dann vollzieht der Film einen Zeitsprung. Willa, Perfidias Tochter, ist inzwischen 16 Jahre alt und eine aufgeweckte Schülerin, die mit ihrem Marihuana-rauchenden Vater Bob irgendwo in abgeschiedener Provinz lebt. Von der revolutionären Vergangenheit ihrer Eltern weiß sie nur so viel, wie Bobs paranoide Warnungen vor Smartphones und Staatsindoktrination andeuten.

Die Männer sind interessanter

Anderswo sieht sich Steven Lockjaw gezwungen, Willa und Bob endlich aufzuspüren, um seinerseits seine Vergangenheit zu bereinigen. Und so verwandelt sich One Battle After Another erneut in einen atemlosen Actionfilm, in dem eine Verfolgungsjagd die nächste ablöst und ein zunehmend skurriles Arsenal von Figuren sich gegenseitig das Leben schwermacht.

Das absolut Gegenwärtige des Films besteht dabei nicht in konkreten Anspielungen auf Trump, sondern im atemlosen Erzählstil, der die atmosphärisch dichten, diverse alte Filme zitierenden Aufnahmen von Kameramann Michael Baumann kombiniert mit einem trommelnden, in der Spannung nie nachlassenden Score von Jonny Greenwood.

Die Frauen, zuerst Taylor als Perfidia, dann Chase Infiniti als Willa, sind die starken Figuren. Aber interessanter, gerade weil sie schwache und lächerliche Seiten zeigen, sind die Männer. Sean Penn gibt als gestählte Militärgestalt ein perfides Porträt der „gepanzerten Männlichkeit“, die trotz ihrer Macht zum Witz wird. DiCaprio dagegen bringt in seinem Bademantel tragenden, dauerbekifften Exrevoluzzer den liebenden Vater hervor. Immer nur einen Millimeter von der Satire entfernt, gelingen ihm großartige Comedy-Momente, ohne seine Figur ganz Karikatur werden zu lassen.

Gerade als er sich die DVD der Schlacht von Algier reinziehen will, erreicht ihn der Alarm zur Flucht. Nur fallen ihm die vor Jahrzehnten vereinbarten Parolen aus dem „Revolutionärs-Handbuch“ nicht mehr ein. Weshalb er die Hilfe des undurchsichtigen Sergio (Benicio del Toro) in Anspruch nehmen muss, der hinter der Front eines Judo-Lehrer-Daseins ein Imperium der illegalen Migrantenhilfe aufgebaut hat, das, einmal in Bereitschaft versetzt, einem riesigen Domino-Spiel gleicht, dessen Teile immer in die richtige Richtung fallen. Letztlich ist es dieses Gefühl des Dauernd-passiert-was, während man hilflos den fallenden Dominos zuschaut, das den Film so zeitgeistig erscheinen lässt.

One Battle After Another Paul Thomas Anderson USA 2025, 162 Min.