Spaltung | Superstar T.Kohlenstoff. Boyle: Warum ist welcher US-Autor in Deutschland so beliebt?
In No Way Home, dem neuen Roman von T.C. Boyle, geht es in den entscheidenden Momenten jeweils nur um den Bruchteil einer Sekunde. In den Schlüsselszenen des Romans üben zwei Kontrahenten eher reflexhaft Gewalt gegeneinander aus und zeigen dem anderen machomäßig, dass sie sich nichts gefallen lassen. Ganz nach dem Motto: Das richtet doch wahrscheinlich eh keinen Schaden an, aber das tut es dann natürlich doch – dramatische Krankenhausaufenthalte inklusive.
Einfach gestrickter Plot, verspielte Geschichte
Das neue Buch des kalifornischen Literatur-Popstars erzählt pointiert von einer eskalierenden Dreiecksbeziehung in einer amerikanischen Kleinstadt. Der in Los Angeles lebende Terrence Tully steht kurz vorm Arzt-Examen, als seine Mutter stirbt. Er fährt nach Boulder City in Nevada, kümmert sich um ihr Haus und lernt dabei Bethany kennen.
Die beiden beginnen eine sorglose Affäre. Und sie zieht – wegen der Trennung von ihrem bisherigen Freund Jesse gerade wohnungslos – ins Haus von Terrences verstorbener Mutter, während der wieder nach Los Angeles muss, um seine Assistenzarzt-Schichten zu schieben. Fortan führen die beiden eine Wochenend-Fernbeziehung.
Aber in die mischt sich bald Ex-Freund Jesse ein, der immer noch etwas von Bethany will. Und auch sie ist den Avancen ihres gutaussehenden Ex-Freundes, mit dem sie sich jahrelang als attraktives Traumpaar im Kleinstadt-Kosmos tummelte, nicht abgeneigt. Denn der brave Terrence hat als Arzt zwar einen gewissen Status, ist sonst aber ein Langweiler.
So einfach dieser Plot gestrickt ist, so wundervoll verschlungen und verspielt ist dann doch die Geschichte, die T.C. Boyle daraus auf knapp 400 Seiten strickt. Wieder einmal nimmt er den Leser regelrecht bei der Hand und führt ihn durch diese uramerikanische Story voller Begehren, Eifersucht, enttäuschter Hoffnungen, Ängste und jeder Menge Sehnsucht nach dem besseren Leben.
Now Way Home erzählt viel vom politischen und kulturellen Stadt-Land-Gefälle in den USA und ist damit brandaktuell. Nicht selten ist im Hintergrund ein rechter Radio-Sender zu hören, der Verschwörungstheorien zum Besten gibt. Der linksliberale Arzt Terrence ist dagegen ein Wissenschaftler mit Leib und Seele. Er diagnostiziert ständig jeden in seiner Umgebung: von der Schuppenflechte am Haaransatz einer Kellnerin bis zum anämischen Aussehen der Nachbarin.
Die Lesungen des Mittsiebzigers sind meist ausverkauft
Gegenspieler Jesse ist dagegen ein simpler, auf seinen proletarischen Status stolzer Kleinstadtmacho, der seine besten Tage in der Highschool hatte, wo er mit Ach und Krach den Abschluss schaffte und jetzt selbst in der Schule Achtklässler unterrichtet, wenn er nicht gerade mit dem Motorrad durch die Gegend braust und fleißig vor sich hin säuft. Der linksliberale Terrence und das latent rechte Landei Jesse geben füreinander die perfekten Feindbilder ab. Dazwischen steht Bethany und versucht sich vergeblich zu entscheiden, neigt aber mehr zu Terrence.
Kaum ein US-Autor hat in Deutschland einen so ausgeprägten Kultstatus wie T.C. Boyle. In den vergangenen 43 Jahren hat er uns in mittlerweile 18 Romanen und Hunderten von Erzählungen die sozialen, kulturellen, politischen und historischen Verwerfungslinien der amerikanischen Gesellschaft nahegebracht. Die Lesungen des Mittsiebzigers, allesamt in großen Konzerthäusern, sind so gut wie ausverkauft. Etwa 50 Euro kostet es in der Regel, den kalifornischen Literatur-Guru live zu sehen. Bei der Vorstellung von No Way Home wird ihm Ben Becker auf seiner landesweiten Lese-Tour als deutsche Stimme zur Seite stehen.
T.C. Boyles letzter Roman war ein Bestseller
Mittlerweile ist es schon Usus, dass Boyles Romane zuerst auf Deutsch, dann auf Englisch erscheinen. Sein neues Buch, das hierzulande Mitte September rauskommt, wird im englischen Original sogar erst ab April 2026 lieferbar sein. Und die englische Ausgabe für den europäischen Markt vertreibt der deutsche Hanser-Verlag erstmals exklusiv.
Dessen Chef Jo Lendle betonte unlängst im Zeit-Interview, wie wichtig inzwischen englischsprachige Bücher auch für den deutschen Markt seien. Boyles letzter Roman Blue Skies (2023) verkaufte sich in der deutschen Übersetzung 120.000 Mal, im englischen Original hierzulande glatt 25.000 Mal, heißt es.
Aber was macht diesen Status von T.C. Boyle als Popstar aus? Ist es die süffige Prosa, die ebenso Bildungsbürgern wie Lesern von profanen Bestsellern gefallen dürfte? Sind es die politischen Alltagsbeschreibungen, von denen es im neuen Roman natürlich wieder jede Menge gibt? Das wird derzeit wohl der spannendste Punkt sein.
T.C. Boyle erzählt von Alltagswahnsinn und Alkoholkonsum
Denn No Way Home lässt sich als Allegorie auf die Auseinandersetzung des linksliberalen und rechten Amerikas lesen. Da T.C. Boyle immer wieder in längeren Kapiteln die Perspektive wechselt und jeweils ein Drittel des Textkorpus aus Terrence, Bethanys und Jesses Sicht erzählt werden, ergibt sich daraus eine wundervoll orchestrierte Vielstimmigkeit, in der jede Perspektive auch ihrer eigenen Logik gehorchend Teil der Erzählung wird.
T.C. Boyle schafft es, allen seinen Figuren gegenüber eine gewisse Distanz zu wahren. Dadurch wird No Way Home auch zu keiner vorhersehbaren politischen Abrechnung mit dem Trump-Amerika, wie Jonathan Lethems Roman Der wilde Detektiv (2019), der aber mehr vom Eskapismus des links-liberalen US-Bürgertums erzählte als substantielle Kritik zu formulieren.
T.C. Boyle nimmt uns einfach wieder mal mit auf eine sehr ergiebige Tour durch den Alltagswahnsinn mit teuren Arztrechnungen, unbezahlten Studienkrediten, reichlich Alkoholkonsum, viel Eifersucht, rechten Minderwertigkeitskomplexen und linksliberal-bildungsbürgerlicher Besserwisserei.
An die großen Würfe wie Worlds End (1987), wo Boyle eine konfliktreiche amerikanische Familiengeschichte über mehrere Jahrhunderte auffächert oder an Blue Skies, das den Klimawandel einer breiten Leserschaft in einer unter die Haut gehenden Tragödie näherbringt, kommt No Way Home nicht ran. Doch auch wenn er nicht sein bester Roman sein mag, ist No Way Home handwerklich sehr solide gearbeitet und bis zur letzten Seite spannend.
No Way Home T.C. Boyle Dirk van Gunsteren (Übers.), Hanser 2025, 384 S., 28 €