„Wir können uns keiner vorstellen, wie weit dieser Schock in den USA ist“
Der Mord an Charlie Kirk hat eine politische Debatte ausgelöst. In deutschen Podcasts erinnern Reporter an ihre Treffen mit dem Trump-Vertrauten. Ein Berater der SPD warnt hingegen schon vor dem „Ausrollen der faschistischen Propagandamaschine“. Ein Überblick.
Die Diskussion emotionalisiert – und offenbart die Abgründe ihrer Teilnehmer. Nach dem tödlichen Attentat auf den rechtskonservativen Aktivisten Charlie Kirk an der Utah Valley Universität reichen die Reaktionen von Huldigungen, die kontroverse Standpunkte der öffentlichen Person aussparen, bis zu Schmäh-Posts, die der Ermordung eines 31-jährigen Familienvaters mit Häme begegnen.
Längst hat sich die Berichterstattung zu einer Meta-Debatte über die medialen Perspektiven auf diesen entwickelt. Das zeigt sich auch in der hiesigen Podcast-Landschaft, die sich von „Feel the News“ bis „Ronzheimer“ mit den Folgen des Anschlags auseinandersetzten.
Wie wird in Deutschland über Kirk und die USA gesprochen? Ein Überblick.
„Ronzheimer“: „Damals wurde Kirk belächelt“
Wie schwierig es ist, sich dem Thema zu nähern, zeigt sich bereits an der begrifflichen Abgrenzung der Kirk‘schen Ideologie. Paul Ronzheimer, der zum Axel Springer Global Reporters Network gehört, sprach dazu mit Annett Meiritz. Zwar habe er sich „selbst als radikal bezeichnet“, erklärte die Journalistin im „Ronzheimer“-Podcast, doch „all diese Labels“ griffen immer zu kurz.
Die US-Korrespondentin des „Handelsblatts“ hatte bereits vor sechs Jahren den damals noch wenig bekannten Aktivisten und seine Organisation „Turning Point USA“ begleitet. „Damals wurde er belächelt. Warum geht ein rechtskonservativer Aktivist an überwiegend linksliberale Universitäten?“, erinnerte sie sich, wobei sie sich behelfsmäßig selbst politischer Etiketten bediente.
„Ronzheimer“ gibt es hier zu hören: „Verstehen die Deutschen Trump völlig falsch? Mit Annett Meiritz“
Das Attentat habe vor allem die Unterstützer-Basis von Donald Trump „befeuert“, der nun in gestärkter Position „aus allen Rohren“ gegen Medien und Organisationen schieße. Dabei zeigte sich Meiritz weitgehend zufrieden mit den gegnerischen Reaktionen. Die Demokraten wirkten insgesamt „hilflos“, doch sie lobte die Kommentare der „New York Times“ und von Bernie Sanders’, der „genau den richtigen Ton getroffen“ habe.
Mit Blick auf Elmar Theveßen, der zuletzt dafür kritisiert worden war, Aussagen Kirks aus dem Zusammenhang gerissen zu haben, pochte die Journalistin auf die Sorgfaltspflicht. Zugleich bezeichnete sie den Angriff des früheren Botschafters Richard Grenell, dem ZDF-Korrespondenten das Visum zu entziehen, als „absolut ungerechtfertigt“.
„Presseklub“: „Unglaubliches rhetorisches Talent“
Wie Meiritz hatte auch Kerstin Kohlenberg die Möglichkeit, sich ein direktes Bild von Kirk zu machen. 2021 hatte die „Zeit“-Wirtschaftsjournalistin ihn im Zuge einer Wahl im US-Bundesstaat Georgia erlebt, wo er sich in einem Restaurant mit jungen Menschen austauschte. „Der war so unglaublich nahbar, was man ja sonst im amerikanischen Wahlkampf ein bisschen vermisst“, erinnerte sie sich im Podcast „Apokalypse & Filterkaffee – Presseklub“ von „Spiegel“-Journalist Markus Feldenkirchen. Schon damals habe er ein „unglaublich rhetorisches Talent“ gezeigt und habe mit einer „Schnelligkeit“ und „Radikalität“ geredet, die fast etwas „Religiöses“ an sich hatte. Das habe „die jungen Leute, vor allem die Konservativen“ angezogen und ihnen „total viel Auftrieb gegeben“.
Entsprechend verheerend zeichnete „Spiegel“-Journalist Roland Nelles die Folgen des Attentats. „Wir können uns gar nicht vorstellen, wie groß der Schock in den USA ist“, äußerte er bestürzt im „Presseklub“. „Er hatte unglaublich viele Verehrer. An vielen Colleges war er ein absoluter Superstar für die jungen Leute.“ Insofern glaube er, dass „gerade seine Fans natürlich geschockt“ seien, aber ebenso viele Menschen „auf der anderen Seite des politischen Spektrums“, da auch jene erkennen, „dass die politische Gewalt in den USA damit einen neuen Höhepunkt erlebt“ habe.
„Feel the News“: Politische Verrohung
Publizist Sascha Lobo, der wöchentlich den Nachrichtenpodcast „Feel the News“ mit seiner Frau Jule präsentiert und sich einige Tage nach dem „Presseklub“ äußerte, erkannte vom beidseitigen Schock wenig. Er beanstandete linke Stimmen, die Verständnis gezeigt oder den Mord „buchstäblich gefeiert“ hätten. Er schließe daraus, dass die „politische Verrohung“ künftig „eben nicht mehr nur der rechten Seite“ untergeschoben werden könne. Selbst wenn sie „zweifellos angefangen“ hätten.
Mit deutlicher Kritik an Charlie Kirk hielt sich auch Lobo nicht zurück. Dieser habe Transmenschen als „Krankheit und Abscheulichkeit“ bezeichnet, die Verschwörungserzählung des Großen Austausches der weißen Mehrheitsbevölkerung verbreitet und den Civil Rights Act von 1964, der eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts oder der Ethnie untersagt, einen „riesigen Fehler“ genannt. Es gebe „wenig andere Begriffe als ‚rechtsradikal‘“, um den Aktivisten zu beschreiben. Bewundernd zeigte er sich allerdings über dessen Vorgehen. Er habe auf „ziemlich einzigartige Art und Weise die jüngere Generation“ sowohl auf digitalem Wege als auch mit einer geschickten „Kombination von Online- und Offline-Events“ auf seine Seite gezogen.
Journalisten, die Kirk verkürzt darstellen, nahm Lobo in Schutz. Der Trump-Unterstützer habe „eine so große publizistische Wirkmacht“ gehabt, dass „eben auch Halbsätze von ihm eine Wirkung erzielt haben“. Zu Recht dürften demnach diese genutzt werden, „um bestimmte Haltungen zu skizzieren“, argumentierte der Journalist.
„Kunst der Freiheit“: „Strategie, die man von der neuen Rechten kennt“
Die hiesige Medienlandschaft beschäftigte auch Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky, der im Podcast „Kunst der Freiheit“ des Linken-Politikers Benjamin-Immanuel Hoff und der Psychotherapeutin Katrin Petermann zu Wort gekommen ist. „Überrascht“ zeigte er sich, dass zwar „eine reichhaltige Berichterstattung über die Ermordung“ stattgefunden habe, doch zugleich eine „unzureichende Einordnung der Person Charlie Kirk und seines Wirkens“.
Er pochte darauf, ihm jene Labels zuzuordnen, die laut Annett Meiritz jede Debatte abtötet. Lewandowsky bemängelte, dass der Aktivist vielfach als „konservativer Influencer“ bezeichnet werde, obwohl er vielmehr ein „rechtsextremer Aktivist“ gewesen sei, der durchaus „illiberale Positionen“ vertreten habe.
Infolge des Mords vollziehe sich nun die „Strategie, die man von der neuen Rechten kennt“, erklärte der Autor von „Was Populisten wollen“. Sie schafften Feindbilder, um die eigenen Reihen zu schließen und die Polarisierung weiter voranzutreiben. Donald Trump und einige Akteure der Republikaner nutzen das Attentat, um die Demokratische Partei zu diffamieren, als Mitbewerber zu delegitimieren und damit wiederum Maßnahmen gegen die politische Linke zu legitimieren. „Das ist textbook authoritarianism“, warnte Lewandowsky.
„Elefantenrunde“: „Für mich ist das Moral-Porno“
Noch schärfer drückte es Frank Stauss in der „Elefantenrunde“ mit Hajo Schumacher aus. „Was wir im Prinzip sehen, ist jetzt das weitere Ausrollen der faschistischen Propagandamaschine“, sagte der Kampagnenberater von Gerhard Schröder und Olaf Scholz. Die Mordtat werde von Trump genutzt, um das Gewaltmonopol in Washington zu konzentrieren. Wer auch nur „leise Kritik an dem Opfer und seinem Lebensstil“ übe, werde vorgeführt, als würde er ein Attentat „besingen“. Es gebe keinen Grund für Jubel, doch sei es „ganz klar, dass das Opfer ein Hetzer hoch drei war, an dessen Worten Blut klebt. Da bin ich felsenfest von überzeugt“.
Schumacher schloss sich der Einschätzung an, dass es keinen Grund gebe, den Getöteten plötzlich positiv sehen zu müssen. Zudem warf er den Republikanern Doppelmoral vor. Von ihnen seien bei Angriffen auf Demokraten in jüngerer Vergangenheit ausschließlich „dumme Sprüche“ gekommen. „Auf einmal, wenn es den eigenen Mann betrifft, entdeckt man seine Trauer und Betroffenheit“, beklagte der Autor. „Für mich ist das Moral-Porno.“
Source: welt.de