EU-Diplomat: „Sanktionen gegen Israel sind unpünktlich“
Die EU-Kommission will Strafmaßnahmen gegen Israel verhängen und wird von Deutschland ausgebremst. In dieser Lage ruft Sven Kühn von Burgsdorff, Ex-EU-Botschafter in den Palästinenser-Gebieten, zusammen mit 325 Diplomaten zum Handeln auf
Für EU-Kommisionspräsidentin Ursula von der Leyen gilt: Augen zu und durch
Foto: Christian Hartmann / picture alliance / Associated Press
der Freitag: Wie kam es zu Ihrer Initiative?
Sven Kühn von Burgsdorff: Eine Gruppe von 27 ehemaligen Botschaftern der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten, die vor allem im Nahen Osten tätig waren, entschied sich am 10. Juli, auf das eklatante Nichthandeln der EU angesichts der völkerrechtswidrigen Kriegsführung Israels in Gaza und der Siedlungspolitik in der Westbank hinzuweisen. Wir forderten besonders die obersten EU-Institutionen zu Maßnahmen auf. Kommission und Auswärtiger Dienst hatten festgestellt, dass Israel die Menschenrechtsklausel des Assoziationsabkommens mit der EU eindeutig verletzt.
Aber viel Wirkung hinterließ das offenbar nicht.
Als wir sehen mussten, dass weder die Hohe Beauftragte Kaja Kallas noch die EU-Kommission Maßnahmen ergriffen, schickten wir am 28. Juli einen zweiten, nun von 58 ehemaligen Botschaftern unterschriebenen Brief, in dem konkrete Maßnahmen aufgelistet waren. Er entfaltete mehr Wirkung, vor allem in Deutschland, da eine Gruppe ehemaliger deutscher Botschafter die Vorschläge an Außenminister Johann Wadephul weiterleitete. Als dann der Spiegel darüber berichtete, forderten auch hochrangige SPD-Politiker eine härtere Gangart gegen die Netanjahu-Regierung.
Immerhin verkündete Kanzler Merz am 8. August, keine Waffen mehr zu liefern, die in Gaza eingesetzt werden können, weigerte sich aber, EU-Sanktionen zu unterstützen …
Genau, das ist Teil der Blockadehaltung einiger Mitgliedstaaten, sodass es schwierig ist, auf EU-Ebene kollektive Entscheidungen zu treffen. Deshalb schlugen wir in einem mit 209 Unterschriften versehenen offenen Brief vom 26. August auch den nationalen Regierungen Maßnahmen vor, die ohne Zustimmung der EU möglich sind. Slowenien, Spanien, Belgien und Irland haben das aufgegriffen. Im einem offenen Brief vom 10. September mahnten wir schließlich, bei der in Kürze beginnenden 80. UN-Vollversammlung entscheidende Maßnahmen auf UN-Ebene zu ergreifen, vor allem bei der Zusammenarbeit mit der Global Alliance for the Implementation oft the Two-State Solution.
Warum ist die EU so zögerlich bei der Beurteilung der israelischen Kriegsführung, weshalb protestiert sie bis jetzt fast nur verbal?
Kommissionspräsidentin von der Leyen hat wegen des öffentlichen Drucks erstmals am 10. September härtere Sanktionen der Kommission angekündigt. Auch das EU-Parlament, das gerade mehrheitlich eine Resolution verabschiedet hat. Zusehends mehr europäische Regierungen sind es leid, dass sich auf EU-Ebene nichts bewegt. Die historische und moralische Verantwortung Deutschlands, jüdisches Leben zu schützen, darf nicht bedeuten, dass wir uns versagen, Israel, das ein Apartheidsregime im besetzten Palästina etabliert hat und dessen Kriegsführung in Gaza laut Internationalem Strafgerichtshof das plausible Risiko eines Völkermords darstellt, Konsequenzen anzudrohen und umzusetzen.
Welches sind Ihre Kernforderungen?
Wir sehen folgende Handlungsmöglichkeiten für einzelne Mitgliedsstaaten: Das Aussetzen oder Aufheben von Waffenexportlizenzen für Israel gemäß nationaler Exportkontrollgesetzen, auch für Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck. Dann sollte es keine Finanzierung binationaler Projekte und Forschungen mehr geben, wenn bewiesen ist, dass sie nach internationalem Recht illegale Maßnahmen unterstützen. Öffentliche Universitäten und Einrichtungen wären anzuweisen, die Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen einzustellen, die im Verdacht stehen, an gravierenden Völkerrechtsverbrechen beteiligt zu sein. In Betracht käme das Durchsetzen der nationalen Sanktionsregelungen aus Menschenrechtsgründen und im Rahmen von Anti-Terror-Gesetzen, inklusive Einreiseverbote und Einfrieren von Vermögenswerten.
Fällig ist ein Handelsverbot für Waren und Dienstleistungen aus illegalen Siedlungen. Dann sollte die staatliche und öffentliche finanzielle Beteiligung an Unternehmen, die mit illegalen Siedlungen in Verbindung stehen, sofort beendet werden. Man kann das Anlaufen von Häfen oder die Nutzung des Luftraums für israelisches Militär verbieten sowie einen Transitstopp für alle Schiffe und Flugzeuge verhängen, die militärische Güter nach Israel transportieren. Es sollte die Verpflichtung geben, den Internationalen Strafgerichtshof bei der Strafverfolgung israelischer und palästinensischer Kriegsverbrecher mit Haftbefehlen und Ermittlungen zu unterstützen.
Welche Bedeutung messen Sie der UN-Vollversammlung bei, auf der wichtige westliche Staaten Palästina anerkennen wollen?
Ich gehe davon aus, dass einige OECD-Staaten das tun werden. Neben Frankreich, Belgien, Malta und Luxemburg haben das Großbritannien, Kanada, Australien und Japan signalisiert. Dann hätten vier der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und vier der G7-Mitglieder Palästina anerkannt – ein enormer Durchbruch auf internationaler Ebene. Die USA und Israel würden weiter isoliert.
Auf EU-Ebene werden wir eine Entscheidung für Handelssanktionen nur bekommen, wenn ein Land wie Italien seine Blockade aufgibt. Auch wichtige Akteure des Globalen Südens wie China und Indien, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate sollten endlich Sanktionen verhängen. Bisher haben sie Israel nur aufgefordert, das Völkerrecht einzuhalten.
Hängt vom weiteren Agieren der EU ihr Ansehen in der Welt ab?
Ich denke schon. Die EU hat jetzt schon enorm an Glaubwürdigkeit verloren, nicht nur bei der Mehrheit ihrer Bevölkerung, nicht nur bei der Jugend, sondern weltweit, besonders im Globalen Süden, nicht zuletzt im islamischen Raum. Auch dass die EU für die westliche Koalition gegen Russlands verbrecherischen Angriffskrieg keinen einzigen wesentlichen Akteur im Globalen Süden mobilisieren konnte, ist zum Teil auf den Vorwurf der Doppelmoral zurückzuführen.
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Sven Kühn von Burgsdorff (68) ist Diplomat und seit 1992 für die Außenbeziehungen der EU aktiv. Er versah seinen Dienst an verschiedenen Standorten, darunter in Jerusalem, und war u.a. zuständig für die besetzten palästinensischen Gebiete. Zudem war er leitender Berater für Mediation im Auswärtigen Dienst der Europäischen Union.