Bundesbankpräsident Nagel: „Ich werde langsam ungeduldig“

Bundesbankpräsident Joachim Nagel mahnt Tempo bei den Reformen in Deutschland und Europa an. „Wir müssen aus dem Modus Vivendi der Analyse heraus und ins Doing kommen“, forderte Nagel auf der dritten Finanzplatzkonferenz der Bundesbank am Donnerstag im wiederaufgebauten Thurn-und-Taxis-Palais in Frankfurt. Mit dabei waren auch Deutsche-Bank -Chef Christian Sewing, Commerzbank -Chefin Bettina Orlopp sowie Cornelius Riese, der Vorstandsvorsitzende der DZ Bank . Sowohl die Kapitalmärkte als auch die Energiemärkte in Europa seien immer noch viel zu stark fragmentiert, beklagte der Bundesbankpräsident: „Sie merken: Bei dem Thema werde ich so langsam ungeduldig.“

Der Vorstandsvorsitzende des Versicherungskonzerns Allianz, Oliver Bäte, appellierte an die Bundesregierung, geplante Vorhaben auch umzusetzen. Bäte vertrat die Ansicht, selbst 500 Milliarden Euro Sonderhaushalt reichten auf Dauer nicht aus, um die gewaltige Investitionslücke in Deutschland zu schließen: „Wir müssen privates Kapital mobilisieren.“ In Deutschland gebe es neun Billionen Euro privates Finanzvermögen, davon steckten 37 Prozent in Bargeld und niedrig verzinsten Bankeinlagen. „Die Deutschen sind neben den Franzosen Weltmeister im Geldverschwenden“, meinte der Allianz-Chef. Wenn es gelinge, auch nur zehn Prozent dieser Gelder zu aktivieren, stünden 900 Milliarden Euro für Investitionen zur Verfügung.

Nicht mehr Geld ausgeben, als man einnimmt

Er mache sich Sorgen auch um die Investitionen in die Verteidigung, führte Bäte aus. Die Sache sei komplex. „Das Beschaffungsamt in Koblenz konnte in den vergangenen Jahren ja noch nicht mal das vorhandene Geld ausgeben“, beklagte er. Deutschland habe nicht erst seit gestern Schwierigkeiten, sagte Bäte und erinnerte an die Zeit, da Deutschland als „kranker Mann Europas“ gegolten habe. „Wir sind jetzt allerdings nicht auf dem Weg zum kranken Mann Europas, da überholen uns gerade die Franzosen.“

Bäte mahnte: In Frankreich sehe man, der Staat könne auf Dauer nicht mehr Geld ausgeben, als er einnehme. Da zeichne sich für Europa ein Problem ab, „größer als Griechenland“.

Die Altersvorsorge in Deutschland bereite ihm Sorgen, führte Bäte aus. „Was Norbert Blüm gesagt hat, war schon damals eine Lüge – die Rente ist nur sicher, wenn man sie auch bezahlen kann.“ Alle müssten aufhören, „Geschichten zu erzählen“. Die Wähler sollten Politiker nicht danach wählen, was sie versprächen, sondern danach, was sie leisteten. Der Allianz-Chef meinte, die Steuern seien in Deutschland „nicht das Problem“, er zahle gern Steuern. Hingegen sei beispielsweise die Pflegeversicherung „nicht mehr finanzierbar“, „bei einem Privatunternehmen würde man das Insolvenz nennen“.

Die Lohnnebenkosten seien in Deutschland zu hoch, sagte Bäte. Die Allianz zahle in Frankfurt etwa für einen IT-Techniker 145 Euro die Stunde. „Davon kommt bei den Menschen wenig an.“

„Menschen vertrauen der Familie und ihrem Arbeitgeber“

Viel würde sich der Allianz-Chef von einer Reform der betrieblichen Altersvorsorge versprechen. „Die Menschen vertrauen nicht mehr der Politik und dem Journalismus“, sagte er. „Aber sie vertrauen der Familie und ihrem Arbeitgeber.“ Deshalb gelte es, den Menschen in der betrieblichen Altersvorsorge mehr Wahlmöglichkeiten hinsichtlich Risiko und Rendite zu geben.

Bundesbank-Vizepräsidentin Sabine Mauderer meinte, die zentrale Frage sei: „Wie schaffen wir es, die deutsche und die europäische Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen?“ Es sei an der Zeit, den Bürgern auch unangenehme Wahrheiten zuzumuten: „Es geht um uns, es geht um unsere Existenz.“ Unter anderem sei es wichtig, mehr Kapitaldeckung in der Altersvorsorge zu wagen. Zudem müsse Deutschland hinsichtlich der Investitionen in die Verteidigung die Wende einleiten: „Dafür gibt es nicht nur eine sicherheitspolitische, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit.“

Julia Friedlander, Geschäftsführerin des Vereins Atlantik-Brücke, sagte, die Verletzung des Luftraums Polens durch russische Drohnen sei „ein Zeichen, dass der Krieg zu uns gekommen ist“. DZ-Bank-Chef Riese führte aus, das Thema Finanzierung der Verteidigung sei auch eine Herausforderung für die Finanzbranche. Seine Bank sei mit einem Kreditportfolio von rund zwei Milliarden Euro in der Rüstungsbranche engagiert. Hinzu komme ein Engagement von rund fünf Milliarden Euro durch die Fondsgesellschaft Union Investment, überwiegend in Rüstungsaktien. Riese forderte einen „europäischen Masterplan für Waffen, idealerweise mit einer gewissen Standardisierung“.

Nicola Beer von der Europäischen Investitionsbank sagte, ihr Haus habe beim Thema Verteidigung einen neuen Schwerpunkt geschaffen. 3,5 Prozent der Finanzierungen von rund 100 Milliarden Euro im Jahr sollten in diesen Sektor fließen. Die Zahl der Projekte, an denen man sich beteilige, sei von 15 auf 80 gestiegen. Unter anderem sei darunter die Kaserne für die deutsche Brigade in Litauen. Außerdem helfe man beispielsweise Zulieferern von Rüstungsunternehmen bei der Vorfinanzierung großer Aufträge.

Source: faz.net