Nur eine Teenie-Romanze? Was „The Summer I Turned Pretty“ zum Serienhit macht
Beworben wurde The Summer I Turned Pretty als Serie für Teenager, aber kurz vor dem Finale der dritten Staffel sind es vor allem Frauen der Millennial-Generation, die besessen davon sind. Das Coming-of-age-Drama, das auf Jenny Hans Romantriologie gleichen Titels basiert, hat sich still und leise zu einem weltweiten Phänomen auf Prime Video entwickelt. Die ersten beiden Folgen der dritten und letzten Staffel zogen 25 Millionen Zuschauer an, das Dreifache der Auftakt-Staffel. Und die größte Zuschauergruppe der Serie sind Frauen über 25.
„Warum jede Millennial-Frau, die man kennt, plötzlich The Summer I Turned Pretty guckt“, schrieb die Vogue. „Warum fast alle Frauen, die man kennt, von The Summer I Turned Pretty‘ besessen sind“, konstatierte gar die Elle. Die Fangemeinde reagiert so leidenschaftlich, dass Amazon die Zuschauer:innen dazu aufforderte, „sich online normal zu verhalten“, nachdem Darsteller im Vorfeld des erwarteten Höhepunkts zum Serienende Ziel von Beschimpfungen geworden waren.
Die Serie appelliert an ein Nuller-Jahre-Gefühl: „Twilight“ und „O.C., California“ stehen Pate
Um zu verstehen, warum die Serie so viele Frauen ansprechen konnte, braucht man sich nur die Komponenten von TSITP anzuschauen. Im Zentrum steht Isabel „Belly“ Conklin (gespielt von Lola Tung), die seit langem ihre Sommer im fiktiven US-Ostküstenbadeort Cousins gemeinsam mit den Fisher-Brüdern verbringt: dem grüblerischen und brillanten Conrad (Christopher Briney) und dem aufgeschlossenen und zuverlässigen Jeremiah (Gavin Casalegno). Als Bellys 16. Geburtstag näher rückt, wird sie plötzlich von den Brüdern nicht mehr übersehen, sondern zum Mittelpunkt ihrer romantischen Aufmerksamkeit.
Über drei Staffeln hinweg widmet sich die Serie dem vollen Spektrum jugendlicher Gefühle: Bellys jahrelanger Verliebtheit in Conrad und dem langsamen Brennen der ersten Liebe, ihre zwischen den Brüdern hin- und hergerissenen Gefühle, die zu einem komplizierten Liebesdreieck führen, dazu der schwere Verlust der Mutter der Jungen, die an Krebs stirbt. Am Ende haben alle Hauptfiguren ihr Studium abgeschlossen und kämpfen mit den Schwierigkeiten des Erwachsenenlebens.
Die Fans haben sich in zwei Lager aufgeteilt: Team Conrad oder Team Jeremiah. TikTok ist voll mit Interpretationen von Blicken und Gesten, während Themen-Junggesellinnenabschiede, Public Viewing und Abendessen nach Cousins-Art die Atmosphäre der Serie nachstellen.
Ein Teil der Anziehungskraft hat mit Nostalgie zu tun. Jenny Hans Romane sind erstmals zwischen 2009 und 2011 erschienen und die Serien-Adaption erhält ein eindeutiges Nuller-Jahre-Gefühl. Die Dynamik spiegelt die Teenager-Dramen und Romanzen wider, mit denen viele Millennials aufgewachsen sind. Damals wurde die Identifikation mit Figuren zu einer Möglichkeit zu signalisieren, wer man war – Team Edward gegen Team Jacob bei Twilight – Biss zum Morgengrauen, Team Seth gegen Team Ryan bei der Serie O.C., California, Team Lucas gegen Team Nathan bei One Tree Hill.
Mehr als 20 Taylor-Swift-Songs sind in „The Summer I Turned Pretty“ zu hören
TSITP lebt auch von ihrem „Sad Girl“-Soundtrack, der zu einem eigenen florierenden Genre geworden ist. Zu hören sind mehr als 20 Taylor Swift-Songs sowie Lieder von Olivia Rodrigo, Phoebe Bridgers und Gracie Abrams. YouTube ist voll von Fan-Collagen zu Swifts emotionalsten Songs. Außerdem kursieren Theorien im Netz, dass Swift die erste Single aus ihrem kommenden Album im Finale veröffentlichen könnte.
„Ich denke, Millennials lieben TSITP, weil es uns an so viele großartige Liebesgeschichten erinnert, die wir in unserer Jugend geguckt haben“, erklärte die 32-jährige Unternehmerin und Content-Creator Emma Lymar, die auf Tiktok über die Serie postet.
„Es ist nicht nur eine Teenie-Romanze: Es ist eine Erinnerung an unser erstes Verliebtsein, an gebrochene Herzen und Sommer voller Hoffnung und Möglichkeiten. Es kommt nur eine neue Folge pro Woche heraus. Die Vorfreude darauf und Besprechungen nach den Episoden im Gruppenchat schaffen ein Gefühl von Gemeinschaft und Nostalgie, die uns daran erinnert, wie wir unsere Lieblingsserien in den 90ern und Nullern geschaut haben.“
Das sagen Dating- und Beziehungscoaches zum Erfolg der Serie
Dating- und Beziehungs-Coachin Kate Mansfield sieht das ähnlich. Für ältere Zuschauerinnen sei die Obsession mit der Serie nicht nur eine Form der Realitätsflucht, sondern „eine Art emotionale Zeitreise“, erklärt sie. „Viele Frauen blicken auf eine eigene Dating-Geschichte in der Jugend zurück, die von verwirrenden Signalen, unerwiderten Gefühlen und schlecht verlaufenden Trennungen geprägt ist. Diese Serie bietet eine perfekte Gelegenheit für eine ‚Dating-Wiederholung‘ in einer kontrollierten, sicheren Umgebung. Es erlaubt ihnen, die intensiven, alles vereinnahmenden Gefühle der ersten Liebe noch einmal zu durchleben, aber ohne die Konsequenzen in der echten Welt oder den Herzschmerz.“
Laut Dating-Coachin Hayley Quinn hat die Serie einen Nerv getroffen, weil sie an eine „unbeschwertere Zeit“ der romantischen Liebe erinnere. „An frühe sexuelle Erfahrungen zurückzudenken und wie man zum ersten Mal bemerkte, dass man wahrgenommen wird, fühlt sich emotional viel befriedigender an als das Karussell aus Dating-Apps und ‚Situationships‘, von dem das Dating-Leben vieler Frauen bestimmt wird“, erklärte er. „Und für die, die sich in einer Beziehung befinden, kann TSITP Nostalgie für eine Zeit wecken, in der man sich jünger, freier und voller Möglichkeiten fühlte.“
Ein Fan postet: „Ich bin 30. Ich zahle Steuern. Und ich fiebere total mit“
Auf TikTok zeigt ein Post eine Mutter, die sich selbst dabei gefilmt hat, wie sie sich „extrafrüh“ weckt, um die neuste Folge zu gucken, bevor die Kinder aufstehen. Eine andere postete: „Ich jeden Mittwoch: eine reale Mutter, die losrennt, um ein paar Teenagern in einem Liebesdreieck zuzugucken, und darüber Tränen zu vergießen.“ Ein dritter Fan postete: „Ich bin 30. Ich zahle Steuern. Und ich fiebere total mit.“
Viele weisen auf Jenny Hans unbestreitbares Talent hin, zum Umfallen attraktive Männerfiguren zu beschreiben, die emotional ausdrucksstark und feinfühlig sind – und meist zerzaustes Haar haben. Conrads Kombination aus langer Mittelscheitelfrisur, Polohemden und schmerzensschwerem Schweigen ließ manche an Leo DiCaprio in den 90er Jahren denken.
„Chris Briney wird neben Jack Dawson, Noah Calhoun und Mr. Darcy in die Geschichte eingehen“, vergleicht Lymar den Conrad-Darsteller mit DiCaprio in Titanic, Ryan Gosling in The Notebook und der männlichen Hauptfigur in Jane Austens Stolz und Vorurteil. „Man hat das Gefühl, als hätte es schon lange nicht mehr so einen Charakter gegeben – jemanden, der sich über einen längeren Zeitraum hinweg nach einer Frau sehnt, anstatt sofortige Befriedigung zu suchen.“
Mansfield fügte hinzu: „Es ist die Fantasie, von Männern begehrt zu werden, die nicht nur attraktiv, sondern auch emotional intelligent sind. Das ist eine unglaublich fesselnde Geschichte für Frauen jeden Alters.“
Ob mit dem Finale der Vorhang für das TSITP-Universum endgültig fällt, ist ungewiss. Klar dagegen ist die Wirkung der Serie: Über die Generationen hinweg erinnert sie an die Kraft der Nostalgie.