Israel erbost: Warum Deutschland zu Gunsten von die UN-Resolution gestimmt hat

Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und der amerikanische Außenminister Marco Rubio am Montag in Jerusalem vor die Presse traten, ging es auch darum, was dieser Tage bei den Vereinten Nationen alles passiert. Nächste Woche wollen unter anderen Frankreich und Kanada Palästina als Staat anerkennen, und erst am vergangenen Freitag hat eine große Mehrheit der Staaten bei der Generalversammlung für eine Resolution gestimmt, die einen Fahrplan zu einer Zweistaatenlösung voranbringen will.
Beides lehnen Israel wie Amerika ab. Netanjahu beklagte also allgemein einen zunehmenden Antisemitismus in der Welt „und die schwachen Regierungen, die Druck auf uns ausüben, weil sie unter dem Druck islamistischer Minderheiten und unglaublicher Verleumdungen zusammenbrechen“. Und Rubio argumentierte ganz konkret mit Blick auf die Vorgänge in New York, dass diese „größtenteils symbolisch“ seien und nur die Hamas ermutigen würden. Das würde den Weg zum Frieden erschweren.
Deutschland wird nicht ausdrücklich erwähnt – ist aber auch gemeint
Nicht explizit erwähnt wurde Deutschland, das am Freitag in New York der Resolution zugestimmt – und damit auf israelischer Seite für Irritationen gesorgt hat. Dabei geht es vor allem um die Frage eines Rückkehrrechts für palästinensische Flüchtlinge nach Israel. In der Bundesregierung will man da allerdings keinen Kurswechsel erkennen.
In der Resolution wird die sogenannte New-York-Erklärung unterstützt „zur friedlichen Lösung der Palästinafrage und zur Umsetzung der Zweistaatenlösung“. Diese Erklärung war Ende Juli unter der Führung von Frankreich und Saudi-Arabien erarbeitet worden.
Darin wird in 42 Punkten der Angriff der Hamas verurteilt, ebenso wie die Angriffe Israels auf Zivilisten und zivile Infrastruktur, die Belagerung und Hungersnot. Die Herrschaft der Hamas über Gaza müsse enden, alle Geiseln müssten freigelassen werden. Israel müsse sich schließlich vollkommen aus Gaza zurückziehen. Als einziger Weg zum Frieden wird die Zweistaatenlösung bezeichnet. Und unter Punkt 39 wird mit Blick auf eine künftige regionale Sicherheitsarchitektur in einem Halbsatz auf das Recht zur Rückkehr verwiesen.
142 dafür, zwölf Enthaltungen, zehn dagegen
Mit Deutschland stimmten 141 weitere Staaten für die Resolution, zwölf enthielten sich, und zehn stimmten dagegen: neben Israel und Amerika unter anderem Ungarn und Argentinien.
Israel begründet seine Ablehnung eines palästinensischen Staats mit wechselnden Argumenten. Als Ende Juli mehrere westliche Länder die Anerkennung Palästinas während der UN-Generalversammlung nächste Woche in Aussicht stellten, geißelte die Regierung in Jerusalem das als „Belohnung für den Terrorismus der Hamas“.
Mit dieser Kritik reagierte sie auch auf die Resolution am Freitag, nur verfing das weniger. Denn die nicht bindende Resolution schließt ja eine künftige Rolle für die Hamas explizit aus und formuliert Forderungen, die auch Netanjahu vorbringt. Daher greift seine Regierung zu einem anderen Argument: Israelische Diplomaten verweisen auf den Punkt 39 und erklären, dass ein Rückkehrrecht für Palästinenser das Ende des Staates Israel bedeuten würde.
Die heikle Frage des Rückkehrrechts
Dieser Streit ist so alt wie das „Rückkehrrecht“ selbst, das auf die UN-Resolution 194 vom Dezember 1948 zurückgeht. Genau genommen ist in ihr indes kein Recht verankert, sondern es heißt, Flüchtlingen des Kriegs von 1948/49 „sollte so bald wie möglich“ die Rückkehr an ihre Wohnorte ermöglicht werden, oder sie sollten entschädigt werden.
Das neu gegründete Israel akzeptierte die Resolution zwar, um den UN beitreten zu können, unternahm aber nie etwas, um die etwa 700.000 vertriebenen und geflohenen Palästinenser wieder aufzunehmen. Ihre Rückkehr wurde im Gegenteil verhindert, schließlich war man verfeindet.
Heute argumentiert Israel, die Rückkehr der Flüchtlinge und ihrer Nachkommen, deren Zahl zusammen auf mehr als 5,6 Millionen gewachsen ist, würde das Ende Israels als jüdischer Staat bedeuten. Spiegelbildlich dazu ist das „Rückkehrrecht“ für die Palästinenser im Laufe der Jahrzehnte zu einer Glaubensfrage geworden.
Manche Fachleute glauben, dabei gehe es nicht zuletzt um Symbolik, und der Konflikt wäre lösbar: etwa durch die Rückkehr einer überschaubaren Zahl von Palästinensern, finanzielle Entschädigungen und die grundsätzliche Anerkennung der Nakba – der palästinensischen „Katastrophe“ von 1948. Ernsthaft darüber diskutiert wurde aber zuletzt 2001.
Festgefahrene Positionen
Seither sind die Positionen festgefahren. Die Palästinenser sind nicht bereit, von ihrem Recht abzurücken, solange Israel ihnen nicht auf anderen Gebieten entgegenkommt; Israel versucht, das „Rückkehrrecht“ als antisemitisch darzustellen.
Für die Bundesregierung sind UN-Abstimmungen zum Krieg in Gaza ein heikler Drahtseilakt – zwischen der Unterstützung für Israel und dem wachsenden Unverständnis auch enger Partner für die Berliner Position. Mehrmals hatte sich Deutschland so bereits enthalten.
Die Zustimmung in diesem Fall entspreche aber den Grundsätzen der deutschen Nahostpolitik, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Die Bundesregierung schließe sich einer breiten internationalen und regionalen Koalition zur Unterstützung einer friedlichen, verhandelten, gerechten und dauerhaften Zweistaatenlösung an. Als Fortschritt wertet man zudem, dass mit der Resolution eine breite Mehrheit der Staaten, darunter alle aus der Arabischen Liga, den Terror der Hamas verurteilt hätten.
Berlin betont Kontinuität
Außerdem habe sich die Position der Bundesregierung zum Rückkehrrecht gar nicht verändert, wird argumentiert. Diese Frage müsse in direkten Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien gelöst werden. Und tatsächlich hat Deutschland sowohl 1973 als auch 2001 schon für Resolutionen gestimmt, in denen ähnliche Anmerkungen zum Rückkehrrecht gemacht worden sind.
Unabhängig davon bleibt eine Position der Bundesregierung ohnehin unverändert: Auch wenn nächste Woche mehrere Partner Palästina in New York als Staat anerkennen, wird Deutschland das nicht tun. Ein solcher Schritt solle erst am Ende eines Friedensprozesses erfolgen. An der Konferenz zur Anerkennung Palästinas allerdings möchte Außenminister Johann Wadephul trotzdem persönlich teilnehmen. Das teilte er am Dienstag mit.
Source: faz.net