Aufatmen obig die AfD-Schlappe in NRW ist falsch: Die Vorboten ostdeutscher Verhältnisse
Im Vergleich zur Bundestagswahl Anfang des Jahres hat die AfD bei den Kommunalwahlen in NRW Stimmen verloren. Aber der Blick nach Ostdeutschland zeigt: Wer das Ergebnis kleinredet, verkennt die politische Entwicklung
Die AfD setzt im Wahlkampf auf den Trump-Faktor
Foto: Louis van Boxel-Woolf/AFP/Getty Images
Die AfD hat ihr Ergebnis bei den Kommunalwahlen in NRW beinahe verdreifacht. Was sich abgezeichnet hat, scheint sich zu bewahrheiten: Der Westen folgt politisch dem Osten und es lässt sich fragen, der wievielte Weckruf das mittlerweile gewesen sein soll. Denn nur weil die Ergebnisse der Extremrechten nicht an die im Osten heranreichen, bedeutet das alles andere als Entwarnung.
In NRW konnten CDU und SPD ihr Ergebnis besser halten als erwartet, Grüne und FDP haben drastisch verloren und AfD und Linke sind die Gewinner der Kommunalwahl. Im Vergleich zu den ostdeutschen Horrorrealitäten – AfD-Bürgermeister in Pirna, Landrat in Sonneberg, stärkste Kraft in fast allen Prognosen – wirkt das AfD-Ergebnis mit 14,5 Prozent in NRW fast mickrig. Ein Blick in die Ergebnisse vorangegangener Kommunalwahlen im Osten ist hier augenöffnend.
Sachsen-Anhalt 2019: Die AfD erzielt in Kommunalwahlen 16,4 Prozent der Stimmen. Sechs Jahre später ist eine absolute Mehrheit zur kommenden Landtagswahl 2026 vorstellbar und die Extremrechten stehen in Umfragen bei knapp 40 Prozent. Was das zeigt? In Deutschland wurde sich an die hohen Ergebnisse für Extremrechte gewöhnt, und das, was in Ostdeutschland damals bedrohlich und groß gewirkt hat, ist heute in Westdeutschland mickrig oder wird von der TAZ in einem Kommentar als „Kein Durchmarsch der AfD“ betitelt.
AfD hat in NRW im Vergleich zur Bundestagswahl Stimmen verloren
Ob die AfD mit ihrer Verdreifachung in NRW am Durchmarschieren ist, hat das Kommunalwahlergebnis noch lange nicht bewiesen, aber auch nicht dementiert. Denn was heute noch als Bestätigung der „demokratischen Mitte“, was auch immer das in Zeiten von Steigbügelhaltertum und AfD-Annäherungen heißen soll, gelesen werden kann, kann morgen ganz schnell wieder vergessen sein, während die Lawine übermorgen erneut ins Rollen kommt und am Ende zu Umständen führt, die Sachsen-Anhalt stark ähneln.
Was dieser Argumentation jedoch den Wind aus den Segeln nehmen kann, ist, dass die AfD in NRW in den vergangenen Monaten an Stimmen verloren hat, und das macht Hoffnung: Erzielte die AfD zur Bundestagswahl Anfang des Jahres noch 16,8 Prozent der Stimmen, waren es zur jetzigen Kommunalwahl „nur noch“ 14,5 Prozent. Es gibt sie also noch, die Positivtrends.
Was ich mir jetzt wünsche? Nur weil das schlimmste Szenario nicht eingetreten ist, darf das nicht bedeuten, in Sorglosigkeit zu verfallen. Wie schnell sich die Stimmung drehen kann, zeigt die rasante Verschiebung des Wahlverhaltens in Ostdeutschland. Was damals abgetan und weggelächelt wurde, steht heute kurz davor, ein ganzes Bundesland zu dominieren. Sachsen-Anhalt und die anderen ostdeutschen Bundesländer sollten Westdeutschen andererseits jedoch auch nicht nur als düster-dunkle Referenzgruselkammern dienen.
Stendal, Köthen, Burgenlandkreis – Orte, die vielen als blau-braune Zentren des Ostens bekannt sind, sind andererseits Städte, in denen dieses Jahr Hunderte für die Rechte von queeren Menschen zu Christopher Street Days auf die Straßen gegangen sind. Während sich die queer-feindlichen Neonaziproteste insgesamt eher auf dem absteigenden Ast befinden, müssen Westdeutsche viel von denjenigen lernen, die wissen, was es heißt, im ländlichen Osten dagegenzuhalten:
Anfang September konnte der AfD-Bürgermeister im sächsischen Meißen, auch durch ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis, gerade nochmal verhindert werden. Doch die nächsten spannenden Stichwahlen finden nicht in Ostsachsen, sondern in Gelsenkirchen, Duisburg und Hagen statt. Ostdeutsche Verhältnisse sind in NRW näher, als es viele wahrhaben wollen – es wird Zeit, an einem gemeinsamen Strang zu ziehen, statt nur mit dem Finger auf uns zu zeigen.