Russische Drohnen: Die Angst vor Krieg wächst, im Unterschied dazu welches rät sie uns?
Wenn Drohnen aus Russland über Polen oder Rumänien fliegen und in Häuser stürzen, wächst unsere Angst vor dem Krieg. Doch Aufrüstung und Abschreckung schützen uns nicht – das Gegenteil ist der Fall
Nur eine Übung: Ein britischer Soldat in Polen
Foto: Sean Gallup/Getty Images
Der Flug russischer Drohnen über Polen oder Rumänien hat die Angst verstärkt, der große Krieg zwischen Russland und dem Westen könne jederzeit ausbrechen – und dann auch Deutschland treffen. Zwar konnten alle Drohnen zum Glück abgeschossen werden oder stürzten von selber ab, niemand wurde verletzt, aber es war doch nicht auszuschließen, dass eine Drohne schweren Schaden angerichtet hätte, und dann? Hätte die NATO dann einen Gegenangriff gestartet?
Nein, unsere Politiker rechnen nicht damit, dass Russland jetzt einen großen Krieg beginnen will. Wir haben es ja oft genug gehört: Erst in ein paar Jahren, heißt es, habe Russland die Kapazitäten für diesen Krieg aufgebaut. Zudem wird darauf hingewiesen, dass Russlands Kräfte derzeit im Ukrainekrieg gebunden sind. Dennoch gehen viele Beobachter davon aus, dass die Drohnen eine gezielte Provokation sind, und was einer solchen nachfolgt, kann niemand mit letzter Sicherheit wissen. Die Angst ist also berechtigt. Es ist wahr, dass wir mehr und mehr auf einem Pulverfass sitzen.
Hinzu kommt ja noch das große Manöver, das Russland in Kürze in Belarus abhalten wird. Dem Ukrainekrieg ist ein solches Manöver vorausgegangen, von dem sich dann herausstellte, dass es mehr war, nämlich der Aufmarsch zu diesem Krieg. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass das bevorstehende Manöver in Kriegshandlungen gegen den Westen übergehen wird, wecken die kurz vorher abgeschossenen Drohnen über Polen die Angst, es könne so kommen.
Die Abwehr der Drohnen hat gut funktioniert. Ist das nicht beruhigend?
Es wäre unvernünftig, in einer solchen Situation nicht ängstlich zu sein. Ist es dann nicht auch vernünftig, uns damit zu beruhigen, dass wir aufrüsten? Wird nicht mit Recht hervorgehoben, wie befriedigend es ist, dass verschiedene Staaten bei der Abwehr der Drohnen gut zusammengearbeitet haben: Polen mit F-16-, die Niederlande mit F-35-Kampfflugzeugen, Italien mit Awacs-Aufklärungsflugzeugen, Deutschland mit seinen Patriot-Batterien? Und alles passgenau von Tankflugzeugen flankiert? Diese Kapazitäten brauchten nicht erst geschaffen zu werden, sie sind da, und wie gut, dass sie eingesetzt werden konnten – muss man aber nicht, für den möglichen großen Krieg, noch viel mehr Kapazitäten haben?
Das Problem ist nur, dass Aufrüstung den großen Krieg womöglich gar nicht verhindert, sondern sogar noch wahrscheinlicher macht. Wenn diese Befürchtung sogar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen ist, ist es erwägenswert, gerade auch vor der Aufrüstung Angst zu haben. Die FAZ gab im Juli Nils Bormann das Wort, dem Professor für International Political Studies an der Universität Witten/Herdecke: „Der Aufbau militärischer Kapazitäten“ stelle, so Borman, „selbst ein Risiko dar, da er eine Machtverschiebung zuungunsten Russlands zur Folge hat.“
„Schafft es die EU, eine glaubwürdige Abschreckung herzustellen, solange Putin den Einsatz der US-Armee fürchtet, bleibt das Risiko einer russischen Aggression gering. Wäre die EU jedoch noch mitten im Aufbau militärischer Kapazitäten, wenn der Einsatz der US-Armee infrage stünde, stiege das Risiko eines russischen Angriffs stark an. Gleiches gilt, wenn die Ukraine den Widerstand gegen Russland bald aufgeben müsste. Denn dann wäre aus Putins Sicht ein Präventivschlag gegen die EU lohnenswert, um einer Machtverschiebung zugunsten der grundsätzlich wirtschaftlich stärkeren EU zuvorzukommen.“
Angst vor dem Krieg ist nur dann ein guter Ratgeber, wenn sie Vernünftiges rät
Solche Überlegungen, die nicht moralisch, nicht rechtlich, sondern nur realistisch sind – moralisch und rechtlich, das ist klar, hat Russland schon den Ukrainekrieg vom ersten Tag an verloren –, sind in Deutschland heute nicht sehr beliebt, man sollte sie aber anstellen. Die Erinnerung daran, wie die europäischen Mächte als „Schlafwandler“ in den Ersten Weltkrieg glitten, sollte sich aufdrängen. Heute wie damals wäre ein großer Friedenskongress die bessere Alternative zur Aufrüstung gewesen.
Wenn man nur anerkennen wollte, dass Russland selbst dann ein Recht hätte, sich bedroht zu fühlen, wenn es „an sich“ gar nicht bedroht wird, wäre Russland wohl zur Teilnahme bereit. Wir nehmen uns doch selber genau dieses Recht, fühlen uns bedroht, weil wir von einer russischen Absicht, uns anzugreifen, zwar nichts wissen, sie aber unterstellen.
Diese Angst dürfen, ja müssen wir haben. Aber Angst ist nur dann ein guter Ratgeber, wenn sie Vernünftiges rät. Vernünftig ist es, sich auch in die Perspektive der anderen Seite zu versetzen, statt nur in der eigenen sich zu verschanzen.