Im Zen mit dem Steak: Obig Werner Herzogs Instagram-Debüt

Der legendäre Regisseur Werner Herzog erhielt in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Sein Debüt auf Social Media, das auf Entschleunigung statt Turbo-Content setzt, ist indes ein noch fast größeres Geschenk


Kult-Regisseur und bald auch Influencer? Werner Herzog beim diesjährigen Filmfestival in Venedig

Foto: Zuma Press/Imago Images


Tempo macht den Menschen Angst. Vor einem „Delirium Furiosum“ wurden im 19. Jahrhundert Reisende des neuen Transportmittels Eisenbahn gewarnt; das Gehirn, so hieß es, könne bei der hohen Geschwindigkeit erheblichen Schaden nehmen. Der immer rastloser, immer schneller scheinenden Bildfülle des Fernsehprogramms setzte der Bayerische Rundfunk in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts das Magazin Z.E.N., kurz für „Zuschauen, Entspannen, Nachdenken“ entgegen.

Anstatt Eile glucksten hier vor Anker liegende Fischerboote im Hafen, zu elegischen Bildern aus dem „Tal der Nymphen“ in der Provence hieß es: „Wasser rinnt aus den Felsen, plätschert in ein Steinbecken, befruchtet das Tal“. Entschleunigung war auch das Stichwort in John Luries ulkiger, Anfang der 90er Jahre konzipierten Fernsehserie Fishing with John, die genau das zeigte: Der US-amerikanische Komponist und Musiker ging mit Gästen wie Jim Jarmusch, Willem Dafoe oder Dennis Hopper angeln. Geredet wird dabei üblicherweise wenig, hastige Bewegungen sind tabu.

Vielleicht ist der Erfolg von Werner Herzogs Social-Media-Debüt also genau darauf zurückzuführen: Der neue Instagram-Account des knapp 83-jährigen Münchners, dessen Oeuvre aus mittlerweile weit über 30 Dokumentar- und über 20 Spielfilmen besteht, und der beim Filmfestival von Venedig soeben mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde, hat sogar den Hollywood Reporter begeistert.

„Der legendäre deutsche Regisseur Werner Herzog führt seine Suche nach der ekstatischen Wahrheit an eine neue Grenze: Instagram“, heißt es in einem aktuellen Artikel über den ersten Post vom bis dahin Social-Media-abstinent lebenden Herzog. Darin steht der weißhaarige Mann in Pullover, Hosen und Zehensandalen auf einer grünen Waldlichtung.

„Ich hatte das Gefühl, dass ich Arbeit und Alltag mit euch teilen sollte“

Zu seinen Füßen brät ein Stück rohes Fleisch über einem Kohlegrill vor sich hin, über das laute Flackern hinweg gibt Herzog in perfektem Englisch mit charakteristischem bayerischem Akzent seine Beweggründe preis: „Ich hatte das Gefühl, dass ich Arbeit und Alltag mit euch teilen sollte“.

Die Kommentare daneben klingen geradezu euphorisch – von „I love you Werner“ und „My icon“ bis hin zu „Ich wollte die App gerade verlassen, aber jetzt bleibe ich“. Dass Herzogs zweiter Arbeitspost dann schlichtweg ein kurzes Interview mit dem Protagonisten aus seinem neuem, in Venedig erstaufgeführten Dokumentarfilm Ghost Elephants ist, und damit Herzogs Social-Media-Sophistication auf (bislang) klassische Promo-Intentionen reduziert, ändert daran nichts: In einem Meer von auf Affekt ausgerichteten, temporeichen und beauty-optimierten Beiträgen wirkt der Auftritt eines bedächtigen, wenn auch filmisch radikalen Senioren vor einem sanft glühenden Grill, der seine Verbundenheit mit der Welt kundtut, fast wie ein Meditationsangebot.

Dass Instagram-Reels nur 90 Sekunden lang sind, könnte Herzog allerdings einen Strich durch die Rechnung machen. Denn zum Beispiel die Zubereitung eines echten Jägertopfs, der mindestens 24 Stunden ruhen muss, schlösse das schonmal aus.