Markt für jedes Tierkliniken: Ist Profit ihnen wichtiger denn dies Wohl jener Tiere?

Als die Kleintierklinik Hofheim bekannt gab, dass sie an Evidensia verkaufen, gab es einen großen Aufschrei“, erinnert sich Nina Eberle, Inhaberin einer Kleintierklinik in Lehrte bei Hannover und Mitglied im Verbund Unabhängiger Kleintierkliniken. Dieser versuche „ein Gegengewicht gegen die Großunternehmen wie Evidensia, Anicura oder Tierärzte Plus zu sein“. Die Übernahme der Hofheimer Klinik, die zu den größten ihrer Art in Deutschland gehört, sei in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert worden.
IVC Evidensia Ltd. aus Bristol in Großbritannien ist „Europas führende Tiermedizingruppe“, sagt Reto Neiger, der für die DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) zuständige Tiermedizinische Direktor des Unternehmens. Entstanden ist IVC Evidensia 2017 aus dem Zusammenschluss der britischen IVC und der schwedischen Evidensia. Die Evidensia Deutschland GmbH sitzt in München. Das Credo laute „We care. We dare. We share“, sagt Neiger. „We dare“ bedeute, dass man Neues wage, zum Beispiel neue Medikamente verordne, spezielle Endoskopietechniken anwende und KI einsetze.
Nicht immer nach bestem medizinischen Wissen?
„Die Gruppe kauft inhabergeführte Praxen und Kliniken mit solider finanzieller Grundlage, um diese im Verbund weiterzuführen und zu unterstützen“, sagt Neiger. Der Fokus liege auf Kleintierpraxen. Im DACH-Raum besitzt man zusätzlich eine Krematoriumsgruppe namens Cremare für Tierbestattungen.
Tierärzte werfen Evidensia, aber auch dem größten Konkurrenten Anicura vor, Profit und Umsatz über das Wohl der Tiere zu stellen. „Man unterstellt den Großunternehmen schon, dass es Leitlinien gibt, was an tierärztlichen Leistungen verkauft wird“, sagt Eberle. Es werde nicht immer „nach dem besten medizinischen Wissen, sondern eher nach dem gehandelt, was man gut verkaufen kann“.
Dieser Gefahr ist sich Neiger bewusst. „Ich will nicht sagen, dass das nicht etwas ist, das in Zukunft vielleicht passieren könnte.“ Doch sei man derzeit „bis zur Hutkrempe ausgelastet“. Wegen des Fachkräftemangels leisteten fast alle Tierärzte Überstunden. Allein deshalb könne man zum Beispiel nicht öfter als notwendig Tierbesitzer zu Kontrollen oder Routineuntersuchungen auffordern, um so den Umsatz zu steigern.
Die Nachfolge für Praxen wird sichergestellt
Noch ein weiterer Vorwurf steht im Raum: die Monopolbildung und damit die Kontrolle über die Preisbildung. 2022 durfte Evidensia die Tierklinik Hofheim erst kaufen, nachdem das Bundeskartellamt die Übernahme genehmigt hatte. Entwicklungen in anderen Ländern verstärkten diese Befürchtung, sagt Eberle. So gebe es in den Niederlanden „kaum noch freie große Kliniken“. Viele seien verkauft worden. Das liegt oft daran, dass es schwierig ist, Nachfolger zu finden.
In Deutschland sehe die Situation jedoch anders aus, sagt Heiko Färber, Geschäftsführer des Bundesverbands Praktizierender Tierärzte (BPT). „Wir sind noch nicht an einem Punkt, an dem man an keinem Standort mehr an den Ketten vorbeikommt.“ Das Thema Preisbildung betrachtet er gelassen, da die Preise über die gesetzliche Gebührenordnung für Tierärzte geregelt seien. Positiv sieht Färber durchaus, dass Evidensia und Co. die Nachfolge für Praxen und Kliniken sicherstellten. „Wenn man mit 60 Jahren als Praxisinhaber daran denkt, in Pension zu gehen, ist es aktuell sehr schwierig, jemanden zu finden, der das übernimmt“, sagt Neiger. Das liege vor allem daran, dass viele Tierärzte nicht den Schritt in die Selbständigkeit wagten. Die meisten seien Frauen. „Frauen sind lieber angestellt“, glaubt Neiger. Den Erfolg von Evidensia führt er genau darauf zurück.
Färber bringt den Konzernen freilich auch Skepsis entgegen. „Die Frage ist, was wird alles abgerechnet und was wird alles getan.“ Der Vorwurf an die Konzerne laute, dass man gleich zu teureren Behandlungsmethoden greife statt zu den kostengünstigeren – dass man zum Beispiel nicht zuerst medikamentös behandele, sondern direkt ein teureres und zeitaufwendigeres Röntgen- oder MRT-Bild machen lasse.
Investoren wollen später weiterverkaufen
Der Blick auf die Inhaber der großen Tiermedizingruppen verstärkt die Befürchtungen. Anicura sei Teil des Mars-Konzerns, IVC Evidenisa gehöre den Finanzinvestoren EQT und Silver Lake sowie dem Lebensmittelkonzern Nestlé, berichtet Neiger. Dabei gehörten EQT rund 60 Prozent. EQT sei ein Finanzinvestor, der Unternehmen aufkaufe, verbessere und schlussendlich für einen höheren Preis verkaufe. EQTs Ansatz für Evidensia laute, es müsse sich rentieren, sagt Neiger. Auf den Klinikalltag und die tierärztlichen Entscheidungen habe EQT allerdings keinen Einfluss.
Für die großen Gruppen spricht laut Färber, dass sie mit Blick auf Bezahlung und Arbeitszeiten gute Bedingungen böten. Laut Neiger ist eine Tätigkeit dort ideal für Tierärzte, die den leitenden Aspekt schätzten, aber nicht die ganze Last eines Inhabers tragen wollten. Dazu komme, dass man den Ort wechseln könne, wenn man zum Beispiel umziehe. Eberle sagt hingegen: „Wenn man sich anschaut, wie viele Mitarbeiter auch in leitenden Positionen Kliniken nach einem Verkauf verlassen haben, würde man von außen betrachtet eher sagen, so großartig kann es dann doch nicht sein.“
Für die Zufriedenheit der Kunden sei vor allem relevant, ob die Praxen und Kliniken von Evidensia einen Notdienst anböten, sagt Färber. Entscheidend sei „gute Tiermedizin“. Laut Neiger wissen die meisten Kunden gar nicht, dass eine Praxis zu Evidensia gehört. Im Gegensatz zum größten Konkurrenten Anicura verzichte man auf ein „Rebranding“, die Tierarztpraxis verändere sich nach außen nicht.
100 Praxen und Kliniken in Deutschland
2024 lag der Umsatz von Evidensia in Deutschland im unteren neunstelligen Bereich, wie Neiger bestätigt. Seitdem man in Deutschland 2015 Fuß gefasst habe, steige der Umsatz stetig, vermutlich auch 2025. „Weltweit sind etwa 2500 Kliniken und Praxen bei Evidensia.“ Das Land mit dem größten Anteil sei Großbritannien mit 1000 Standorten. Vertreten sei man in Skandinavien, Kanada, Lettland, Estland sowie West- und Mitteleuropa. Die Gruppe beschäftige 41.400 Mitarbeiter.
In Deutschland besitze man etwa 100 Praxen und Kliniken, die 800 Tierärzte beschäftigten. Damit sind laut Neiger rund fünf Prozent der in Deutschland kurativ tätigen Tierärzte bei Evidensia angestellt; der Anteil an den Praxen und Kliniken liege bei etwa einem Prozent. Dieser Prozentsatz wachse stetig. In den ersten beiden Monaten 2025 habe man in Deutschland schon drei Standorte gekauft.
IVC Evidensia erwägt für dieses Jahr einen Börsengang in London. Für Färber ist das die „einzige Möglichkeit“ für EQT, genügend Gewinn zu erwirtschaften, damit die Anleger ausreichend Renditen bekämen. Das könnte den Fokus auf die Profitabilität noch weiter verstärken. Für Eberle ist der Börsengang das falsche Signal für Tierbesitzer, „da diese der Tiermedizin bereits unterstellen, dass man sich an ihnen bereichert, wenn sie sich etwas nicht leisten können“. Auch Färber sagt: „Auf einmal wird vielen klar, Tiermedizin ist zu einem Wirtschaftsobjekt verkommen.“
Der Artikel stammt aus „Jugend und Wirtschaft“ – ein Schulprojekt der FAZIT-Stiftung mit Unterstützung der Brost-Stiftung.