Fotograf Daniel Josefsohn: Die Chefinnen und Chefs dieser Neunzigerjahre
Die Berliner Niederlassung der Galerie Crone zeigt bislang noch nicht gezeigte Werke aus dem Nachlass des Fotografen Daniel Josefsohn – und weil die Ausstellung passend zur Berlin Art Week beginnt, ist auch ein Ehepaar in die weißen Räume in der Charlottenburger Fasanenstraße gekommen, das nach Kunstsammeln aussieht und klingt.
Wenn man an den beiden vorbeiläuft, während man Josefsohns Fotografien anschaut, kann man nicht anders, als den beiden zuzuhören, und er fragt sie, ob sie etwas gesehen habe, dass sie haben wolle, aber sie schaut lieber noch mal in die Karte, die alle Orte der Art Week versammelt und zu denen diese Fasanenstraße eben auch gehört, wenn auch in der Charlottenburger Variante von erlesenem Auktionshaus (Grisebach), Lumas-Filiale, Tendenz Chefarztkunst.
Josefsohn, der im August vor neun Jahren gestorben ist und bekannt wurde mit Arbeiten für Magazine („jetzt“, „Zeit“) und Werbestrecken (MTV), ist der Fotograf eines anderen Lebensmodells. Es sind, wenn überhaupt, die Kinder von Chefärzten, die seine Fotos zeigen, nackt, feiernd, übernächtigt oder anglühend vor dem Aufbruch in die Nacht, Chefinnen und Chefs ihres eigenen Augenblicks zwischen 18 und 30, wenn alles passt, die Musik, die Leute, die Orte. Die Leute für seine Bilder hat Josefsohn auf der Straße entdeckt, wie Julia Hummer, vielleicht das Gesicht seines Werks, und dass man sich immer noch scheut, so einen akademischen Begriff wie „Werk“ auf diese stilisierten Zufallsbilder anzuwenden, das zeigt, wie deren Intensität nachlebt.
Intimität und Euphorie und eine Spur Gewalt: eine nackte junge Frau in einer heruntergerockten Dusche, wie man sie in dem Zustand sicher nicht mehr in der Charlottenburger Fasanenstraße finden wird, ein innig umschlungenes Paar in einem Feld, vielleicht am frühen Morgen nach einem Rave, gewickelt in eine goldene Wärmedecke, wie man sie von Naturkatastrophen und Attentaten und Autounfällen kennt.
Wer damals, in der Zeit, aus der die meisten der Fotos dieser Ausstellung stammen, auch zwischen 18 und 30 war, wird die Motive und Stilmittel sofort wiedererkennen, mit denen Josefsohn immer gearbeitet hat, es ist, als würde man eine neue Ausgabe vom „jetzt“-Magazin aufblättern, das seit Ewigkeiten nicht mehr gedruckt wird. Die Jugend dieser Bilder ist nicht mehr jung, die Partys von gestern sind alle gefeiert, und die Neunziger von damals sind nicht die recycelten, dekontextualisierten, zitierten Nineties der Popkultur von heute, in der sie, in Musik und Mode, seit langem wiederkehren.
Zeitmaschinenmotive
Und vielleicht auch, weil es so komplett sinnlos und schmerzhaft ist, angesichts dieser Zeitmaschinenmotive melancholisch zu werden, schaut man lieber auf das, was sich zeigt, wenn man Josefsohn im Kontext einer hochamtlichen Kunstwoche in einer Galerie sieht (die Auswahl aus seinem inzwischen erschlossenen Bildarchiv hat Ingo Taubhorn getroffen, der bis 2023 Kurator des Hauses der Photographie in den Hamburger Deichtorhallen gewesen ist).
Und man sieht: Josefsohn selbst, mehrfach, gleich als erstes, am Eingang, nackt, rauchend, mit Brille – und wie als Kommentar zu dem kleinen Hinweisschild, das direkt gegenüber an der Wand hängt und das erklärt, dass nur Leute ab 18 in diese Ausstellung dürfen. Man sieht – deshalb das Warnschild – auch Erektionen, ein Irish Setter zwischen den Beinen einer nackten Frau, aber man sieht eben auch, dass Daniel Josefsohn immer wieder mit Maskeraden gespielt hat, mit dem Verstecken und Verhüllen, mit Menschen, die sich dem Versuch der Identifikation entziehen, während sie alles zu zeigen scheinen.
Man sieht also: Nackte, die mit dem Gesicht aus dem Fenster schauen , man sieht Nackte mit „Star-Wars“-Stormtrooper-Helm auf dem Kopf (ein immer noch guter Gag auf Kosten des 90-60-90-Kunstfotografen Helmut Newton), und wenn man auf den vielen Porträts dieser Schau dann aber direkt in Gesichter sehen darf, dann entdeckt man eine Offenheit und Verletzlichkeit, ein menschliches Geheimnis, das Josefsohn immer wieder und in immer wieder anderen Gesichtern entdeckt hat. Die Diskretion, die Josefsohns Kamera herstellt und sichert, ist anrührend.
Und das gleiche gilt, auf interessante Weise, auch für die Popkultur, die sie abbildet. Josefsohn hat für die großen und schlauen Popmarken und -Institution der Neunzigerjahre gearbeitet, für die Berliner Volksbühne. Und wenn man auch vor diesen Bildern steht und denkt, dass sie nur aus genau der Zeit stammen können, in der sie gemacht wurden, und sich gleichzeitig darüber freut, dass Josefsohn diese Zeit noch ein bisschen über 1999 hinaus bis ans Ende der Nullerjahre dehnen konnte: Es liegt an der Aura dieser Bilder, am integren, abgefuckten Glamour, die sie ausstrahlen.
Diskrete Signale der Popkultur
Hier und da blitzt mal kurz, aber nur, wenn man hinschaut, ein Logo auf („Stüssy“), Bandnamen auf Covern von Platten, die zum Zeitpunkt der Aufnahme selbst schon wieder zehn Jahre alt waren (Duran Duran, Deutsch-Amerikanische Freundschaft), man sieht wiederum auch auf den anderen Party-Bildern nicht Signale der Musik, die auf diesen Partys gespielt wurde, man ahnt, was es gewesen sein könnte, viel Madonna bestimmt. Die Bilder wahren also über die drei Jahrzehnte hinweg ein Geheimnis, und die Leute, die sich auf diesen Bildern zeigen, haben es mit sich nehmen dürfen in die Jahre danach.
Und zu diesen Leuten zählt eben auch der Fotograf selbst, Daniel Josefsohn, Sohn jüdischer Eltern, Raucher, Skateboarder (auch die Skateboards sind in der Fasanenstraße zu sehen), vier Jahre vor seinem Tod hatte er einen Schlaganfall gehabt, vom Leben danach in einer Kolumne fürs „Zeit“-Magazin erzählt. Im hinteren Teil der Ausstellung seiner Bilder sieht man ihn noch einmal, mit nacktem Oberkörper auf blauem Teppichboden, rauchend natürlich, aber vor allem: Lächelnd, vielleicht träumend, ganz bei sich oder vielleicht auch im Bewusstsein für die gestellte Intimität, die er gerade mit diesem Bild erzeugt und die aber nichts Künstliches hat. Wie alle diese Bilder, die man hier zum ersten Mal sieht.
Galerie Crone Berlin, bis 8. November 2025
Source: faz.net