Korruption in dieser Ukraine: Hat sich Wolodymyr Selenskyj wirklich den Protesten gebeugt?
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Wie viel Einfluss haben Business-Interessen auf die Politik? Diese Frage ist seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte von Schwarz-Rot noch virulenter. Immerhin war Bundeskanzler Friedrich Merz bis 2020 als Blackrock-Lobbyist tätig – und in den USA sitzt gleich ein Milliardär im Weißen Haus.
In unserer mehrteiligen Serie „Regiert uns die Wirtschaft?“ schauen wir auf die Situation in Deutschland, den Vereinigten Staaten und anderen Teilen der Welt. Was hilft wirklich gegen die „stille Übermacht“ des Lobbyismus?
Die Ukraine ist seit 2014 unser Alliierter. Bis zu diesem Zeitpunkt galt Korruption in diesem Land als normal. Die Institutionen einer aussichtsreichen Korruptionsbekämpfung wurden ihr seit 2015 von den G7-Staaten Schritt für Schritt aufgezwungen – immer im Tausch gegen neue Geldtranchen. So entstand im April 2015 das National Anti-Corruption Bureau of Ukraine (NABU) und Ende 2015 das Special Anti-Corruption Prosecutor’s Office (SAPO).
Nun hat das ukrainische Parlament am 22. Juli 2025 ein Gesetz verabschiedet, welches beide Institutionen der Aufsicht des Generalstaatsanwalts unterstellte. Das Gesetz wurde mit 263 Ja-Stimmen zu 13 Nein-Stimmen angenommen, also parteiübergreifend mit überwältigender Mehrheit. Präsident Wolodymyr Selenskyj unterzeichnete es noch am selben Tag und begründete dies mit der Notwendigkeit, russische Unterwanderung zu bekämpfen.
Mit diesem Gesetz wurde die Unabhängigkeit der beiden zentralen Anti-Lobbyismus- und Anti-Korruptionseinheiten, die von der G7 zielgerichtet als unabhängig eingerichtet worden waren, faktisch aufgehoben. Denn der Generalstaatsanwalt untersteht dem Präsidenten. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Und was sagt das über ein Land, welches vom Westen als Verbündeter wahrgenommen wird?
NABU ermittelte gegen zwei Selenskyj-Vertraute
Der Grund für Selenskyjs Vorstoß war offenkundig: Gegen zwei hochrangige Politiker aus seinem engsten Umfeld fanden NABU-Ermittlungen statt. Zum einen gegen Olexij Tschernyschow, mit Selenskyj befreundet und bis Mitte Juli 2025 Leiter des 2024 neu gegründeten Ministeriums für nationale Einheit, das offenbar nur deshalb geschaffen worden war, um ihn zum Vizepremier machen zu können. Tschernyschow war zuvor faktischer Infrastrukturminister. In dieser Funktion soll er im Jahr 2022 Voraussetzungen für die Übergabe eines Grundstücks an ein staatliches Unternehmen geschaffen haben, welches daraufhin Verträge über den Bau von Wohnhäusern gezielt mit bestimmten Firmen abschloss.
Das Grundstück und die dort gebauten Wohnungen wurden fast fünfmal niedriger bewertet als dem damals üblichen Marktwert entsprechend, wodurch dem Staat erheblicher Schaden entstand. Die SAPO bestätigte am 23. Juni 2025 offiziell den Verdacht gegen Tschernyschow wegen Amtsmissbrauchs und Bestechlichkeit.
Zum anderen ermittelte NABU gegen Olha Stefanischyna. Sie war bis Juli Ministerin für europäische Integration und Justiz und als solche ebenfalls Vizepremier. Dann wurde sie von Präsident Selenskyj als Sondergesandte für die Beziehungen mit den USA eingesetzt. Doch reichen Ermittlungen gegen zwei Vertraute des Präsidenten schon aus, um die ukrainischen Korruptionsbekämpfungsbehörden zu entmachten? Oder steckt vielleicht mehr hinter Selenskyjs Feldzug?
21. Juli 2025: Der Inlandsgeheimdienst durchsucht 70 NABU-Dienststellen
Die Verabschiedung des Gesetzes war kein isolierter Vorgang, er markierte vielmehr den Höhepunkt einer Kampagne mit einer weit umfassenderen Zielsetzung. Am 18. Juli durchsuchte das Staatliche Ermittlungsbüro (DBR) die Wohnung von Vitaliy Shabunin, Leiter der Anti-Korruptions-Aktions-NGO und lautstarker Selenskyj-Kritiker. Parallel dazu starteten regierungsnahe Medien eine Verleumdungskampagne gegen die Journalistin Inna Vedernikova und ihren Ehemann – Vedernikova ist als Regierungskritikerin bekannt.
Am 21. Juli dann hat der Selenskyj unterstellte Inlandsgeheimdienst SBU 70 Dienststellen der NABU durchsucht und einige Ermittler festgenommen. Im Zentrum des SBU-Raids stand offenkundig Olexandr Skomarow, der Leiter der NABU-Einheit, welche die Ermittlungen gegen Olexij Tschernyschow führt. Insbesondere Unterlagen dieser Einheit seien beschlagnahmt worden.
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Zum größeren Bild gehört zudem die lang andauernde widerrechtliche Blockade der Ernennung von Oleksandr Tsyvinskyi zum Leiter des Büros für wirtschaftliche Sicherheit (BEB). Das BEB ist ein zentrales Exekutivorgan, welches für die Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkriminalität zuständig ist. Die Nichtbesetzung der Leitung des Büros wurde mit Bedenken hinsichtlich des Schutzes sensibler Informationen begründet (Tsyvinskyis Vater lebt in Russland).
Diese Vorgehensweise ist ein weiteres Indiz für die Absicht der aktuellen Regierung, die Korruptionsbekämpfungs- und Strafverfolgungsbehörden, die nach dem Konzept der G7 unabhängig aufgebaut wurden und für deren Existenz die Regierung der Ukraine gegen erhebliche Geldmengen Zusagen gemacht hatte, doch wieder unter ihre Kontrolle zu bringen – und das heißt dann wohl: die Korruption als Mittel zu Zwecken, auch politischen, weiter zuzulassen.
Auch die revidierte Fassung des Gesetzes hält umstrittene Maßnahmen bei
Der aktuelle Ermittlungsvorgang oder gar der Schluss auf Selenskyjs Motiv für den massiven Einsatz des Inlandsgeheimdienstes, um seinen Freund zu schützen, sowie für die überfallartige Änderung der Struktur der Anti-Korruptions-Behörden, bleiben in hiesigen Medien weitgehend unthematisiert. Es gilt dann doch wieder: Die Ukraine ist unser Alliierter, da muss man sich in der Thematisierung schmutziger Wäsche zurückhalten.
Nach dem umgehenden Widerstand, den das Nacht-und-Nebel-Gesetz vom 22. Juli erfuhr, hat Selenskyj zu diesem Punkt – und nur dazu – Umkehr gelobt. Eine revidierte Fassung wurde am 30. Juli 2025 in das Kiewer Parlament eingebracht und wiederum am selben Tag noch vom Präsidenten unterzeichnet. Der Tenor der Berichterstattung dazu ist: Der Zustand quo ante sei wiederhergestellt. Ob das eine korrekte Beschreibung ist, ist zweifelhaft. Strikte Analysen liegen bislang nicht vor.
Explizit ist der Zustand quo ante auch nicht wiederhergestellt worden. Vielmehr gab es Revisionen am Gesetzestext vom 22. Juli. Das Gesetz sieht nun lediglich vor, dass der Generalstaatsanwalt einen Fall nicht nach eigenem Ermessen von der NABU an eine andere Behörde übertragen dürfe. Erlaubt ist ihm dies weiterhin, aber nur dann, wenn „objektive Umstände die zuständige Behörde daran hindern, während des Kriegsrechts zu arbeiten oder Vorverfahren durchzuführen“.
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Das Gesetz behält eine umstrittene Maßnahme bei: Staatsanwälte können ohne offene Ausschreibung ernannt bzw. grundlos entlassen werden – einfach aus dem banalen Anlass, dass eine Staatsanwaltschaft umstrukturiert wird. Das öffnet der Willkür Tor und Tür. Positiv ist: Das Gesetz ändert auch eine Bestimmung, die es einfacher macht, Durchsuchungen ohne gerichtliche Anordnung durchzuführen. Der am 22. Juli neu eingeführte Artikel, der NABU-Beamte zur Teilnahme an obligatorischen Lügendetektortests verpflichtet, wurde beibehalten.
Die Maidan-Revolution 2014 hat die Ukraine mit einem Rucksack voll von Wackersteinen beladen in das Lager des Westens gebracht: die weitverbreitete Sitte der Korruption bis in die höchsten Spitzen. Als der Lagerwechsel der Ukraine klar war, hat Russlands Präsident Putin im März 2014 den westlichen Staatschefs in einem Brief gleichsam viel Glück bei der nun ihnen übertragenen Aufgabe gewünscht, für eine Begrenzung der Alimentierung zu sorgen. Er wusste, wovon er sprach.
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