Revenge Quitting: Wie Mitarbeiter ihre toxischen Chefs aufwärts spektakuläre Art abservieren

2011 arbeitete Joey La Neve DeFrancesco seit fast vier Jahren im Zimmerservice eines Luxushotels in Providence, Rhode Island. Er brachte Delikatessen auf Abruf in die Zimmer der Gäste – für einen mickrigen Lohn von 5,50 Dollar pro Stunde. Dazu kamen extrem lange Schichten, und seine Vorgesetzten strichen ihm auch noch einen Teil der Trinkgelder ein.

Als DeFrancesco und seine Kollegen versuchten, eine Gewerkschaft zu gründen, wurde der Umgang noch härter. Manager beschimpften Beteiligte schon bei kleinsten Fehlern. Es wurde so kleinlich, dass Angestellte, die Anrufe von Gästen entgegennahmen, nicht einmal sitzen durften. Für DeFrancesco war das Maß voll.

An seinem letzten Tag schlich er sich mit einer siebenköpfigen Marching Band in die Mitarbeiterräume und überraschte seinen Chef mit einem musikalischen Auftritt. „Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass ich kündige“, erklärte er – und marschierte unter dem Triumphsound der Band und dem Sprechchor „Joey quits“ hinaus.

Umfrage: 15 Prozent der Beschäftigten haben schon einmal aus Rache gekündigt

Der damals 22-Jährige ließ den Auftritt von einem Freund filmen. Nach ein paar Tagen stellte er das Video auf YouTube – es ging viral. Heute, 13 Jahre später, hat es fast zehn Millionen Aufrufe. „Wir hätten nie gedacht, dass es so viel Aufmerksamkeit bekommt“, sagt DeFrancesco. Der inzwischen 36-jährige Arbeitsorganisator und Musiker, der in New York lebt, fühlte sich nach seiner Aktion „befreit“. Er sagt: „Jetzt blamiere ich euch für die Art, wie ihr hier alle behandelt.“

Schadete ihm sein spektakulärer Abgang bei späteren Bewerbungen? „Überhaupt nicht“, sagt er. Kurz nach der Kündigung arbeitete er in einem Museum. Das Video sei „ehrlich gesagt nie Thema“ in Vorstellungsgesprächen gewesen. Im Gegenteil: „Vielleicht sollte ich es sogar in meinen Lebenslauf aufnehmen.“

Doch DeFrancescos Geschichte ist nicht mehr einzigartig. Eine neue Generation von Beschäftigten kündigt mit immer spektakuläreren Aktionen – das Phänomen trägt inzwischen den Namen „Revenge Quitting“. Dabei zeigen frustrierte Angestellte offen, wie unzufrieden sie mit ihrem Arbeitsplatz sind. Sogar Geistliche machen mit: Im Juli verabschiedete sich der Priester Pat Brennan mit einem Gedicht, das zugleich sein Kündigungsschreiben war – darin attackierte er „mürrische, unsympathische“ Gemeindemitglieder, die „Klatsch“ von ihren „heiligen Lippen“ verbreiteten.

Die Arbeitgeber-Bewertungsplattform Glassdoor warnte Ende vergangenen Jahres, 2025 stehe „eine Welle von Revenge Quitting“ bevor – wegen sinkender Mitarbeiterzufriedenheit. In Großbritannien zeigte eine Umfrage des Personaldienstleisters Reed im Juli: 15 Prozent der Beschäftigten haben schon einmal aus Rache gekündigt. Reed-Chef James Reed sieht soziale Medien als Katalysator, weil immer mehr Betroffene ihre Geschichten online teilen.

Der Fall der Englischlehrerin Brianna Slaughter

Eine davon ist Brianna Slaughter. Das Video der 26-jährigen US-Amerikanerin, die in Tokio lebt, endet mit dem Aufruf: „Diese Konzerne feuern dich an einem Tag und lassen dich mit nichts zurück. Wenn du gehen willst, geh, Babe.“

Slaughter stand zwei Stunden vor ihrem nächsten Englischkurs, als sie spontan kündigte. Anfangs sei alles erträglich gewesen, doch ein neuer Manager veränderte alles. „Wenn ich eine Stunde eine Minute zu früh oder zu spät beendete, wurde ich gerügt“, erzählt sie.

Bezahlung gab es pro Kurs: 2.000 Yen. Wer stundenlang zwischen den Unterrichtsstunden untätig warten musste, bekam dafür nichts. Die Pläne wurden erst am Vortag verteilt – unmöglich für eine gute Vorbereitung. Dazu kam die sitzende Tätigkeit, die ihre Gesundheit belastete: „Der Arzt sagte mir, ich habe eine Entzündung im Nacken, weil ich ständig sitze.“

Der neue Manager verlangte zudem, sie solle langärmlige Shirts tragen, um „anstößige Tattoos“ zu verbergen. Oft setzte er sich in ihre Stunden, was alle verunsicherte. Bald weinte Slaughter jeden Abend. Nach einem Monatsgehalt von 100.000 Yen war Schluss.

Brianna Slaughter: „Ich habe im Monat nach der Kündigung 7.000 Dollar mit TikTok verdient“

Zwar flehte ein Vorgesetzter sie an zu bleiben, und verwies auf die zweimonatige Kündigungsfrist. In ihrem TikTok-Video mit 1,2 Millionen Aufrufen antwortete sie: „Zwei Monate? Ihr habt Glück, wenn ihr zwei Wochen bekommt. Ich gebe euch zwei Stunden, Babe. Ich gehe jetzt.“

Die Kündigung schadete ihr nicht, im Gegenteil: „Ich habe im Monat nach der Kündigung 7.000 Dollar mit TikTok verdient“, sagt Slaughter, die inzwischen als Content Creator lebt und Menschen beim Umzug nach Japan berät. Einige schrieben ihr, das Video habe sie inspiriert, ihren eigenen Job zu kündigen. „Sie sagten: Das war mein Zeichen.“ Slaughters Rat: „Du hättest gestern schon gehen sollen.“

Vor allem junge Leute kündigen auf diese Weise. Laut Reed haben 26 Prozent der 18- bis 34-Jährigen in Großbritannien schon aus Rache gekündigt, bei den 35- bis 44-Jährigen sind es 22 Prozent. Unter den 45- bis 54-Jährigen nur acht Prozent. In den USA zeigte eine Studie, dass 57 Prozent der Unter-25-Jährigen mit ihrem Job zufrieden sind, bei den Über-55-Jährigen dagegen 72 Prozent. Auch Carly, heute 25 und aus Alabama, kündigte spektakulär.

Angstattacken, Heulkrämpfe und „strohdumme“ Kollegen: Wie eine E-Mail Carlys Leben veränderte

Vor vier Jahren, damals arbeitslos und klamm, nahm sie über eine Zeitarbeitsfirma einen Job als Empfangskraft an. Schon die sofortige Einstellung hätte sie skeptisch machen müssen, sagt sie. Anfangs war alles „okay“, sogar eine Beförderung zur Lohnbuchhalterin folgte. Dann aber begannen die Probleme.

Eine Kollegin, verwandt mit den Chefs, startete ein Gerücht: Carly sei Alkoholikerin, weil sie in ihrem Büro eine Lampe statt der Deckenbeleuchtung nutzte. „Ich mag eben Atmosphäre“, sagt Carly.

Kurz darauf bekam sie zusätzlich die Rolle der Rechnungsmanagerin – zu viel für eine 21-Jährige. Für kurze Zeit wurde ein Mann eingestellt, der zehn Dollar mehr pro Stunde verdiente. Er wurde aber sofort wieder entlassen, nachdem er die Gehälter der Firma vermasselte. Carly musste beide Jobs allein übernehmen.

„Ich war ständig gestresst, verzweifelt, habe geweint“, sagt sie. Als ihre Kollegin ein Manager-Meeting verlangte, um sie öffentlich zu kritisieren, plante Carly ihren Abgang. Am Morgen des Treffens schickte sie eine E-Mail an alle Führungskräfte. Anfangs höflich („Ich habe beschlossen, dass es Zeit ist, weiterzuziehen“), dann direkt: Sie bezeichnete ihren Ersatz als „strohdumm“ und schilderte, wie sie durch Überlastung täglich Angstattacken und Heulkrämpfe bekam. Am Ende stand: „Laptop und Schlüssel liegen auf meinem Schreibtisch.“

Giftiges und stressiges Umfeld

Ihr Chef versuchte, sie anzurufen – vergeblich. „Ich habe nie wieder von ihnen gehört“, sagt Carly. Nach dem Verlassen des Büros fühlte sie sich euphorisch: „Ich hätte nackt nach Hause rennen können.“ Einen neuen Job fand sie bald. Aber sie weiß, dass Fragen kommen könnten. „Dann sage ich: Wenn ihr mich gut behandelt, passiert euch das nicht.“

Manche kündigen auch, um andere zu warnen. Katie Ostler, heute 29, arbeitete in Melbourne zwei Jahre in einem Supermarkt. Sie begann dort mit 16. „Es war ein giftiges, stressiges Umfeld mit hoher Fluktuation“, sagt sie. Sechs Monate lang lernte niemand ihren Namen.

Mit 18 suchte sie bereits nach Barjobs. Den endgültigen Auslöser lieferte ein Vorfall: Ein Kunde schrie eine 15-jährige Kollegin wegen einer Rückgabe an. Statt sie zu schützen, stellte sich der Manager auf die Seite des Kunden und schrie mit. „Da wusste ich: Es ist Zeit zu gehen.“

„Arbeitet hier nicht – das ist meine Kündigung“

Ostler hatte bereits einen Job in einer Bar in Aussicht. Mit ihrem Kündigungsschreiben ging sie in den Supermarkt. Als sie es abgeben wollte, hieß es: nur direkt beim Manager. Der war gerade im Bewerbungsgespräch. Sie platzte in den Raum, überreichte ihm das Schreiben und sagte laut: „Arbeitet hier nicht – das ist meine Kündigung.“

Der Raum verstummte, der Bewerber schaute irritiert. „Es hat viel Mut gekostet. Ich bin gegangen, bevor er etwas sagen konnte.“ Kurz darauf rief der Manager sie an und meinte, sie solle die letzte Woche nicht mehr arbeiten – ihre „toxische Energie“ schade dem Team. „Ich dachte: Hast du mal in den Spiegel geschaut?“

Heute lebt Ostler in Manchester. Sie geht nur ungern zurück in den Supermarkt zum Einkaufen, wird dort aber noch erkannt. „Leider hat nie jemand gejubelt, wenn ich hereinkam“, sagt sie lachend. Trotzdem: Die Kündigung fühlte sich wie ein Triumph an. „Ich fühlte mich wie eine Chefin. Es war sehr empowernd.“