Kerosinalternative: Shell gibt Plan pro große Biokraftstoffanlage in Rotterdam aufwärts

Der Mineralölkonzern Shell hat den geplanten Bau einer der größten Biokraftstoffanlagen Europas mit einem Investitionsvolumen von rund einer Milliarde Euro abgesagt und zieht sich weiter aus dem Bereich der grünen Energien zurück. Grund dafür seien eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit und zu hohe Kosten des Projekts. Das Werk in Rotterdam hätte eine Produktionskapazität von jährlich 820.000 Tonnen alternativem Kerosin (Sustainable Aviation Fuel, kurz: SAF) und nachhaltigem Diesel haben sollen.
Wie der Konzern mitteilte, wird das SAF-Großprojekt gestrichen. Shell hatte 2022 mit dem Bau noch unter dem damaligen Vorstandschef Ben van Beurden begonnen. Im Juli 2024 hatte Shell die Arbeiten unterbrochen und dafür gut 700 Millionen Euro Abschreibung verbucht. Shell-Vorstandsmitglied Machteld de Haan sagte nun zum endgültigen Aus für das Großprojekt in Rotterdam: „Bei der Bewertung der Marktdynamik und der Fertigstellungskosten wurde deutlich, dass das Projekt nicht wettbewerbsfähig genug sein würde, um den Bedarf unserer Kunden an erschwinglichen, kohlenstoffarmen Produkten zu decken.“
Die Entscheidung bedeutet auch einen Rückschlag für EU-Ambitionen, den Anteil von Biokraftstoffen in der Luftfahrt zu steigern. Das nachhaltige Kerosin wird unter anderem aus Abfallstoffen wie Speiseöl aus Großküchen hergestellt, für Biodiesel wird hydriertes Pflanzenöl verwendet.
Ab 2035 SAF-Quote von zwei Prozent
2025 muss erstmals in der EU für die Luftfahrt eine SAF-Quote von mindestens zwei Prozent erfüllt werden. Der Pflichtanteil steigt stufenweise an, 2030 sollen es laut EU-Verordnung „ReFuelEU Aviation“ sechs Prozent sein, 2035 dann 20 Prozent und 2050 schließlich 70 Prozent. Dazu kommt von 2030 an eine Unterquote für synthetische E-Fuels, die nicht aus Bioabfällen, sondern mit Wasserstoff und in der Atmosphäre vorhandenem CO2 erzeugt werden. 2030 soll der E-Fuel-Anteil in der Luftfahrt 1,2 Prozent erreichen, 2050 letztlich 35 Prozent.
In der Flugbranche war man zuletzt hoffnungsvoll, die EU-Vorgabe für 2025 knapp erfüllen zu können, für die kommenden höheren Quoten blieb man skeptischer. In der globalen Luftfahrt spielt nachhaltiges Kerosin bislang nur eine marginale Rolle. Laut Luftfahrtverband IATA ist die Produktion 2024 „enttäuschend langsam gewachsen“. Sie erreichte rund eine Million Tonnen (1,3 Milliarden Liter), was etwa einer Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr entsprach. SAF deckte damit 0,3 Prozent des globalen Treibstoffverbrauchs. Zuletzt sprach die IATA davon, dass nun 0,7 Prozent des globalen Kerosinverbrauchs durch SAF gedeckt würden. Schon das verursache Mehrkosten von 4,4 Milliarden Dollar. Noch größer ist die Skepsis mit Blick auf E-Fuels, für die es zwar Kleinanlagen, aber keine industrielle Großproduktion gibt.
Preise für alternatives Kerosin auf Rekordhoch
Die Preise für alternatives Kerosin haben zuletzt Rekordhochs erreicht. „SAF wird in Europa derzeit zum 3,7-fachen Preis von herkömmlichem Düsentreibstoff gehandelt“, erklärte Hagen Reiners, Fachmann für den Kraftstoffmarkt beim Preis-Informationsdienst Argus Media. Derzeit gebe es eine Verknappung des SAF-Angebots an sofort verfügbaren Spot-Produkten. Auf die Phase nach dem Anstieg der SAF-Quoten auf sechs Prozent in der EU im nächsten Jahrzehnt schauen die Marktbeobachter von Argus indes zuversichtlicher als Airlines, sie erwarten einen „strukturellen Überschuss des SAF-Angebots weltweit“. Das dürfte die Preise deutlich sinken lassen, gleichzeitig steigen Kosten. Dies dürfte ausschlaggebend gewesen sein für Shell, die Reißleine für das Rotterdamer Projekt zu ziehen.
Fluggesellschaften sehen kurzfristig wirkungsvollere Wege, ihre Emissionen zu senken. Als Haupthebel gilt der Ersatz alter Flugzeuge durch neue. Jens Bischof, der Chef der Lufthansa -Tochtergesellschaft Eurowings , erklärte auf einer Veranstaltung auf Mallorca, dass er mit neuen A321neo-Flugzeugen von Airbus Urlauber von Düsseldorf mit einem Verbrauch von 29 Litern je Person auf die Insel fliege, also weniger als zwei Liter je Passagier und 100 Kilometer.
Ryanair-Chef: Nachhaltigkeitsziele „im Sterben“
Deutlichere Worte fand zuletzt Ryanair-Chef Michael O’Leary. Die Nachhaltigkeitsziele für die Luftfahrt seien „im Sterben“, da der Sektor sie wohl verfehlen werde, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Aussagen O’Learys von einer Veranstaltung in London. Die SAF-Pläne bezeichnete er als „Nonsens“. Anreize für den SAF-Kauf würden demnach nicht größer, sondern kleiner. „Ich bin davon überzeugt, dass die Ölpreise in den nächsten zehn Jahren deutlich fallen werden.“ Hohe Preise für Kerosinalternativen werden von Airlinemanagern auch darauf zurückgeführt, dass staatliche Anreize für Erzeuger fehlten und diese sich mit Investitionen in Anlagen zurückhielten.
Aus China dürfte indes bald ein verstärktes SAF-Angebot kommen. Mehrere große Anlagen gehen dort in diesem Jahr in Betrieb. Sie hoffen, bald Exportlizenzen von der Regierung in Peking zu erhalten. Bislang ist laut Argus-Angaben Jiaao Enprotech das einzige chinesische Unternehmen mit einer Lizenz für den SAF-Export. Derzeit bereiten mehrere europäische SAF- und HVO-Produzenten Wartungsarbeiten an ihren Anlagen vor, was im Herbst die Versorgung verknappen und die Preise treiben dürfte.
Zu den großen europäischen Produzenten zählen Neste aus Finnland, der französische Konzern Totalenergies sowie das Unternehmen Holborn Europa Raffinerie in Hamburg. Neste plant eine Erhöhung seiner globalen SAF-Produktionskapazitäten bis 2027 auf 2,7 Millionen Tonnen im Jahr, Totalenergies strebt eine halbe Million Tonnen und von 2030 an 1,5 Millionen Tonnen an. Holborn plant, seine SAF- und HVO-Anlage in Hamburg auszubauen. Von 2027 an soll diese jährlich etwa 220.000 Tonnen erneuerbaren Diesel und SAF zusätzlich produzieren.
Für die Niederlande und Rotterdam ist die Absage von Shell ein schwerer Schlag, zuvor hatten Lyondellbasell und andere Chemiekonzerne angekündigt, Fabriken am Hafen stillzulegen oder Investitionen zu kürzen. Der Hafen spielt eine Schlüsselrolle für die fünftgrößte EU-Volkswirtschaft. Der örtliche Stadtrat Robert Simons zeigte sich „äußerst enttäuscht“ über Shells Entscheidung. Sie sei „leider kennzeichnend für einen breiteren Trend am Rotterdamer Hafen“, sagte er einem regionalen Rundfunksender. Shells Schritt ist aus niederländischer Sicht schmerzhaft, weil der Konzern vor bald vier Jahren den hiesigen Teil seines Doppelsitzes aufgab und seither nur in London sitzt. Er bemüht sich jetzt, sein anhaltendes Engagement in der alten Zweitheimat zu betonen.