Der Rhythmus des Kalten Kriegs

Was hat Jazz mit dem Kalten Krieg zu tun? Eine Menge, wie der oscarnominierte Dokumentarfilm „Soundtrack to a Coup d’Etat“ eindrücklich zeigt. Er führt vom New Yorker Viertel Harlem in die Kämpfe des Kongo. Und in eine Intrige der USA, die zu einem folgenschweren Umsturz führte.
Es gibt Filme, die erzählen geradlinig eine Geschichte, mit Anfang und Ende. Und es gibt Filme, die funktionieren wie ein Puzzle, wo jedes Teil der Anfang oder Ende sein könnte und sich das Gesamtbild erst nach und nach zusammensetzt. „Soundtrack to a Coup d’Etat“ ist ein solches filmisches Puzzle oder, wie man seit Sergej Eisenstein und Dziga Vertov sagt, eine Montage. Die Montage verbindet, was in der Welt getrennt erscheint. Der erzählerische Sinn stellt sich erst im Schnittraum her, in den sich Regisseur Johan Grimonprez und sein Cutter Rik Chaubet über mehrere Jahre lang zurückgezogen haben, um ein dokumentarisches Meisterwerk wie „Soundtrack to a Coup d’Etat“ zu schaffen.
Worum geht es in den knapp zweieinhalb Stunden? Um Politik und Jazz, den Kongo und die USA, eine Welt im Umbruch im Kampf mit den Kräften einer alten Welt. In einer zentralen Szene sieht man erst Nikita Chruschtschow, wie er mit kräftigen Schlägen das Rednerpult bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1960 in New York bearbeitet. Der große Führer der Sowjetunion prangert in scharfen Worten den Kolonialismus und Imperialismus an, er soll gar seinen Schuh als Schlaginstrument zum Einsatz gebracht haben. In einem nächsten Bild haben schwarze Jazzmusiker den Rhythmus der Entkolonisierung aufgenommen, es wird geklatscht und getrommelt.
Was hat der Jazz mit dem Kalten Krieg zu tun, fragt man sich. Die überraschende Antwort: eine Menge. In den Schwarzenvierteln US-amerikanischer Großstädte entstanden – die „Rassentrennung“ herrscht bis in die 1960er-Jahre –, gilt Jazz bald als Zeichen von Freiheit und Fortschritt, auch aufgrund der Verbote im Faschismus und im Ostblock. Der Kalte Krieg findet auch in der Kultur statt, dabei geht es um Einfluss in der ganzen Welt. Und die Jugend der Welt hört Jazz. „Amerikas Geheimwaffe ist ein Blueston in Moll“, heißt es 1955 in der „New York Times“. Zitate wie dieses blendet Grimonprez als Text (mit Quellenangabe!) ein, so entsteht eine Montage aus Bild, Ton und Text.
Patrice Lumumba: eine große Hoffnung
Als der afrikanische Kontinent sich vom europäischen Kolonialismus zu befreien beginnt, erreicht der Kalte Krieg auch Länder wie den Kongo. Ob Sklaven, Kautschuk, Uran (für die Atombomben der USA) oder heute Coltan, der Kongo ist – wie der Historiker David Van Reybrouck in seinem „Kongo“-Buch geschildert hat – immer ein wichtiger Rohstofflieferant für die Weltwirtschaft, wovon die Menschen vor Ort nichts haben (vor allem nichts Gutes). Als der Kongo 1960 unabhängig wird und mit Patrice Lumumba eine große Hoffnung als ersten Premierminister hat, wird der Krieg immer heißer. Das politische Establishment der USA fürchtet einen afrikanisch-asiatischen Block.
Grimonprez zeigt mit Archivaufnahmen und Interviews, dass Musiker wie Louis Armstrong und Nina Simone auf Tour nach Afrika geschickt werden. Auch in den Kongo, unterstützt vom Auslandsgeheimdienst CIA. Vor Zehntausenden singt Armstrong „Black and Blue“, von Schwarzen, die blau geprügelt werden. Das bezieht sich auf die USA, wird aber auch in Afrika vom Publikum verstanden. Zugleich bekommt der CIA-Zuständige für den Kongo den Auftrag, Lumumba ermorden zu lassen. Der Befehl kommt von Präsident Dwight D. Eisenhower, wie er sagt. Und die UN-Friedenstruppen, die 1960 in das Land geschickt werden, verhindern die Entmachtung Lumumbas nicht, sondern stützen sie.
Lumumba – im US-Kongress als „Chef einer Bande von Dschungelprimitiven“ bezeichnet – wird 1961 erschossen, kurz darauf wird das Flugzeug des UN-Generalsekretärs Dog Hammarskjöld abgeschossen. Grimonprez zeigt Interviews mit Söldnern, die Zehntausende Unterstützer von Lumumba ermorden. Einer dieser Söldner ist der berüchtigte deutsche „Kongo-Müller“, der sich mit Hakenkreuz vor der Kamera brüstet, im Goethe-Institut nicht nur seine Verbindungsleute, sondern auch Konzerte zu besuchen („Ich bin nicht nur ein Mensch, der Neger killt.“). Am Ende kommt im Kongo der Diktator Mobutu an die Macht, der die Macht der Großkonzerne unangetastet lässt.
Die Freiheit des Jazz
Man könnte denken, dass sich „Soundtrack to a Coup d’Etat“ mit dieser Geschichte über den Kongo begnügt, die man zeitgemäß als Beispiel für die Ausbeutung und Unterdrückung des „Globalen Südens“ verstehen könnte, bei der nun auch noch der Jazz politisch angeeignet wird. Doch das ist eben nicht die ganze Geschichte. Jazz ist nicht nur Ideologie, sondern die Musik einer wirklichen Befreiungsbewegung. Grimonprez zeigt, wie sich Gamal Abdel Nasser, Fidel Castro und Malcom X in Harlem treffen, dem mythischen Geburtsort des Jazz. Oder wie Malcom X nach Afrika reist, um die USA Menschenrechtsverletzungen gegen Schwarze vor die Vereinten Nationen zu bringen.
Es ist ein feines Netz politischer und kultureller Beziehungen, das Grimonprez durch die Montage zum Vorschein bringt, in dem es um die inneren Widersprüche der USA und des Westens geht. Die Synkopen des Jazz zeigen, wie das Selbstverständnis der „freien Welt“ aus dem Takt gekommen ist. „Soundtrack to a Coup d’Etat“ ist eine fesselnde Reise ins Herz der Finsternis – als Essayfilm mit einem überwältigenden Soundtrack. Beim Sundance Festival wurde Grimonprez bereits mit dem Spezialpreis der Jury geehrt, nun ist sein Film auch für die Oscars nominiert, als bester Dokumentarfilm. Das ist auch eine Ehre für das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, das als Koproduzent fungiert.
In Karlsruhe ist ab Juni unter dem Titel „All Memory is Theft“ auch eine Retrospektive zu sehen, die den 1962 geborenen Film- und Medienkünstler aus Belgien ehrt. Bereits bei der Documenta X machte Grimonprez mit „Dial History“ auf sich aufmerksam, einem Essayfilm über die mediale Repräsentation von Flugzeugentführungen – lange vor dem 11. September 2001. Später wurde er mit Dokumentationen wie „Looking for Alfred“ über Alfred Hitchcock oder „Shadow World“ über den weltweiten Waffenhandel bekannt. Mit „Soundtrack to a Coup d’Etat“ dürfte Grimonprez nicht nur gute Chancen auf einen Oscar haben, sondern auch ein größeres Publikum im Kino erreichen.
„Soundtrack to a Coup d’Etat“ läuft aktuell im Kino.
Source: welt.de