„Tatort“ Zürich: Christbaum, Kerzen, Familie
Weihnachten herrscht in Zürich, wie
vor zwei Wochen in Bremen. Und es gibt ein Zusammentreffen von Tatort-Kommissarin und Ex-Polizeiruf-Ermittler. Lucas
Gregorowicz spielt Marek Kowalski, der Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zürcher) auf dem Weihnachtsmarkt beobachtet,
das Anklampfern führt zur gemeinsamen Nacht. Und zu
Nachrichten und Anrufen von Marek, aber auch solchen, die anonym oder mit verzerrter Stimme erfolgen. Über pathetisch in einem Brief verschickte
Koordinaten mit beigegebenem Sinnspruch wird die Ermittlerin zur ermittlungsstiftenden Leiche
gelotst. Tot ist ein altgedienter Heinz aus einer Firma, die nach Verkauf an
einen „amerikanischen Hedgefonds“ Leute entlassen hat, darunter den
Heinz.
Die Leiche ist auf mythisch getrimmt mit Münze im Mund, dem
Charonspfennig für den titelgebenden Fährmann, der die Überfahrt ins Reich des
Hades regelt. Grandjean wird an den Fall erinnert, der ihr frühen Ruhm
eingebracht hat. Damals ging es um einen Arbeitsvermittler, der im Verhör Morde
gestand und sich später im Gefängnis das Leben nahm. Denn der Mann war
unschuldig, wie Grandjean nun von der verzerrten unbekannten Stimme vernehmen
muss, die davon redet, die Beweise seinerzeit für sie drapiert zu haben.
Das ganze Brimborium mit eigens gedrehten Fährmann-Szenen (Regie:
Michael Schaerer) soll die Morde in diesem Tatort auf eine höhere Ebene
katapultieren. Marek Kowalski ist nicht einfach nur Mörder, sondern spielt sich
als Gott auf, der über Leben und Tod anderer entscheidet. Das geschieht
willkürlich, das Credo von Schicksalschef Marek lautet: „Es gibt keine
stärkere Macht als den Zufall.“ Diese Annahme ist, so legt es der Film
nahe, privatempirisch unterfüttert, da Marek einen bösartigen Hirntumor hat,
den, statistisch gesehen, nur sieben von 100.000 Menschen kriegen, wie er
einmal ausführt.
Hat halt jeder so seine eigenen Bewältigungsstrategien,
könnte man scherzen. Denn für Fährmann dient das Upgrade des smarten
Beraters zum Allmächtigen vor allem dazu, sich um die Details von Mareks
Superbösewichtelns zu drücken (Drehbuch: Stefan Brunner, Lorenz Langenegger).
Er ist überall, weiß alles, hinterlässt keine Spuren. Und Kommissarin Grandjean
kommt lange nicht auf die Idee, einen Zusammenhang zu wittern zwischen dem
zeitgleichen Auftauchen des nebulösen Marek-Lovers und dem ganzen Hades-Spam
auf ihrem Handy. Da sollte berufsbedingt doch mehr Skepsis herrschen.
Den Umstand, dass Grandjean auf eigene Faust in eigener
Sache an Kollegin Ott (Carol Schuler) vorbeiermittelt, löst der Film durch phasenweise
Abwesenheiten der Kommissarin. Als Grandjean dann selbst Opfer von Mareks
charakteristischen Giftcocktails wird (Schierlingsbecher, natürlich) und gerade
noch so gerettet, befreit sie sich im Krankenhaus wiederum rasch von allen
Geräten und Kanülen, um ins Finale zu reiten. Das sind so Szenen, die nicht
besser werden dadurch, dass man sie immer wieder sieht. Gilt auch für die
schlechte Kommunikation von Polizistinnen – warum informiert eine Kommissarin,
die Kontakt zur Kavallerie hat, nicht andere über die gefährlichen Situationen,
in die sie sich begibt?
Was bei der Fährmann-Geschichte schließlich auch
nicht so richtig begeistert, ist die Verknüpfung von Mareks mythischer Macht
mit seinem irdischen Job. Als Opfer für sein Gedrehe am Rouletterad des Lebens
anderer wählt der Unternehmensberater unter den Leuten aus, die er zuvor
entlassen hat. Das ergibt ein etwas unscharfes Bild für die
kapitalismuskritischen Ansätze der Folge.
Denn einerseits könnte man in den Morden eine Erlösung sehen
von dem Leiden, das der „Umstrukturierer“ den Menschen zuvor erst
verschafft. Andererseits ließe sich das Morden von erwerbslos
Gewordenen aber auch als metaphorische Konsequenz eines Kapitalismus ohne
menschliches Antlitz lesen. Dass sich beide Lesarten die Waage halten, berührt ein
Problem der gesamten Konstruktion: Für das, was dieser Tatort an Überbau
vermitteln will, ist das erzählerische Fundament doch etwas unterkomplex.
Dafür gefällt das sphärische Seufzen von Mirjam Skals Musik.