Katrin Suder: Eine Physikerin pro die Post

Als Katrin Suder vor zehn Jahren Staatssekretärin im Verteidigungsministerium wurde, erlebte sie zunächst einen Kulturschock: Sie kam aus der Unternehmensberatung, hatte 15 Jahre lang eine steile Karriere bei McKinsey gemacht, war dort sogar zeitweise als Deutschlandchefin im Gespräch und saß nun plötzlich zum Aktenstudium in ihrem Büro mit schweren Türen im Bendlerblock, dem Dienstsitz des Ministeriums in Berlin. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte Suder geholt, um mit frischen Ideen aus der Privatwirtschaft den desolaten Zustand der Bundeswehrausrüstung in den Griff zu bekommen, das behäbige Beschaffungswesen zu modernisieren und den Nachholbedarf der Streitkräfte in Sachen Digitalisierung aufzuholen. Oder wie es Boris Pistorius heute womöglich ausdrücken würde: um die Bundeswehr „kriegstüchtig“ zu machen. Eine Mammutaufgabe, an der viele schon gescheitert sind.

Als Suder einen Absatz in einer Akte nicht richtig verstand, griff sie kurzerhand zum Telefonhörer und rief den betreffenden Referenten direkt an, um sich das Problem kurz erklären zu lassen. Der erschrak zwar zunächst, weil er solche Anrufe nicht gewohnt war, die Sache war aber nach wenigen Minuten geklärt. Kaum war das Telefonat beendet, ging die Tür ihres Büros auf, und Suders Büroleiter und ihre Sekretärin standen in der Tür mit gut gemeinten Hinweisen über offizielle Dienstwege und die Möglichkeiten des Vorzimmers, Telefonate auch durchstellen zu können. So schilderte Suder selbst das anfängliche Fremdeln, nachdem sie Jahre später aus dem Ministerium wieder ausgeschieden war.

Ihre Karriere als Staatssekretärin ist mittlerweile seit mehr als sechs Jahren beendet, die kleine Episode zeigt anekdotisch, welch unterschiedliche Welten damals aufeinanderprallten. Suder schied nach vier Jahren auf eigenen Wunsch wieder aus, auch weil sie aus privaten Gründen nicht mehr so viel pendeln wollte zwischen Berlin und Hamburg, wo sie mit ihrer Frau und ihren drei Kindern lebt. Eine Rolle dürfte aber auch die Affäre über die Vergabe von Berateraufträgen gespielt haben, die später von einem Untersuchungsausschuss des Bundestags aufgearbeitet wurde. Der fand dabei zwar Verstöße gegen das Vergaberecht, aber letztlich keine direkten Vergehen Suders und ihrer Chefin Ursula von der Leyen.

Suder soll Bomhard ablösen

Jetzt soll Suder Aufsichtsratsvorsitzende des Post-Konzerns DHL werden, der im nationalen Briefgeschäft Deutsche Post heißt. Auf der nächsten Hauptversammlung des Unternehmens im Mai 2025 soll sie zur neuen Aufsichtsratschefin gewählt werden. Das teilte die DHL Group aus Bonn am Dienstagabend nach einer ordentlichen Aufsichtsratssitzung mit. Die 53 Jahre alte promovierte Physikerin wird – wenn sie offiziell gewählt ist – den früheren Versicherungsmanager Nikolaus von Bomhard ablösen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Rückversicherers Münchener Rück steht seit 2018 an der Spitze des Post-Aufsichtsrats, er habe sich aber entschlossen, nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal anzutreten, teilte das Unternehmen mit. Der 68 Jahre alte Manager lenkt auch den Aufsichtsrat seines früheren Arbeitgebers Münchener Rück. Dort war er erst in diesem Jahr wiedergewählt worden.

Die Post ist dank des boomenden Onlinehandels jahrelang auf Wachstumskurs gewesen. Doch die für die Post goldenen Pandemiezeiten sind vorbei, und dem Unternehmen macht die Flaute des globalen Handels zu schaffen. Weil die Weltkonjunktur schwächelt, haben sich auch die Geschäftsaussichten des Logistikkonzerns mit seinen rund 600.000 Mitarbeitern eingetrübt. Das einst lukrative Briefgeschäft schrumpft, weil immer mehr Korrespondenz im Internet erledigt wird. Der Aktienkurs ist seit seinem Hoch vor drei Jahren um mehr als 30 Prozent gefallen, obwohl der Dax im selben Zeitraum um 30 Prozent zulegte. Chancen sieht das Unternehmen künftig aber etwa auf dem Pharmamarkt, der spezialisierte Logistiklösungen brauchen werde. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete DHL einen Umsatz von rund 82 Milliarden Euro und einen Gewinn von rund 3,7 Milliarden Euro.

Der seit Mai 2023 amtierende Vorstandschef Tobias Meyer – ebenfalls ein früherer McKinsey-Partner – hat sich viel vorgenommen: Er will die komplexe rechtliche Struktur des Konzerns mit mehr als 800 Gesellschaften entwirren und klarer strukturieren. Bis 2030 soll der Umsatz um 50 Prozent steigen. Zudem will er den Logistikkonzern klimafreundlicher machen: Bis 2050 soll die DHL Group vollständig dekarbonisiert sein. Bis 2030 soll der Anteil nachhaltigen Flugbenzins bei DHL bei 30 Prozent liegen. Auch seinen Kunden möchte der Konzern dabei helfen, ihre Lieferketten klimafreundlicher auszurichten.

Fast wäre Suder in den VW-Vorstand eingezogen

Wenn seine Arbeit künftig von einem Aufsichtsrat unter der Führung Suders kontrolliert wird, trifft er dort auf eine erfahrene Sparringspartnerin: Suder gilt als Fachfrau für Digitalisierung und Künstliche Intelligenz und ist seit Mai 2023 einfaches Aufsichtsratsmitglied der Post. Nach ihrer Zeit bei McKinsey und im Verteidigungsministerium leitete sie den Digitalrat der Bundesregierung, ein externes Beratungsgremium, das die Regierung in Sachen Künstlicher Intelligenz, Ausbau des Breitbandnetzes und Digitalisierung berät.

Dass ihre Expertise geschätzt wird, zeigte auch schon das Interesse von Volkswagen an ihrer Person. Suder sollte dort im Jahr 2021 das IT-Ressort im Vorstand leiten, doch ihre Berufung scheiterte auf den letzten Metern – mutmaßlich am Widerstand der Arbeitnehmervertreter. Suder lässt sich von Rückschlägen aber nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Als sie im Jahr 2018 mit einem Zapfenstreich von der Bundeswehr verabschiedet wurde, wünschte sie sich als Musik von der Blaskapelle neben „What’s up“ von den „4 Non Blondes“ auch den Vicky-Leandros-Schlager „Ich liebe das Leben“ mit der passenden Liedzeile zum Abgang: „Das Karussell wird sich weiterdreh’n, auch wenn wir auseinandergeh’n“.