Tareq Alaows: „Ich habe auch Angst vor dem, was nun kommen könnte“

Der Deutsch-Syrer Tareq Alaows ist flüchtlingspolitischer
Sprecher von Pro Asyl. Bei der Bundestagswahl 2021 trat er für Bündnis
90/Die Grünen an, bis er sich gezwungen sah, seine Kandidatur aufgrund von
Anfeindungen und Bedrohungen zurückzuziehen.

ZEIT ONLINE: Herr Alaows, Sie sind in Syrien aufgewachsen und 2015
nach Deutschland geflohen. Wie geht es Ihnen angesichts der Ereignisse in
Ihrer Heimat? 

Tareq Alaows: In den vergangenen Tagen habe ich kaum geschlafen, alles
ging so schnell. Ich dachte, es würde noch Jahre oder Jahrzehnte dauern, bis
das Regime stürzt
.  

ZEIT ONLINE: Hatten Sie die Hoffnung schon aufgegeben? 

Alaows: Ich war überrascht, dass die Gesellschaft zu diesem Umsturz
bereit ist. Wir dürfen nicht vergessen: Das syrische Regime wurde nicht von HTS
gestürzt, sondern von einer Revolution, die seit über 10 Jahren andauert. Viele
Angehörige von Minderheiten waren daran beteiligt, viele Bewohnerinnen und Bewohner haben ihre
eigenen Städte befreit. Das zeigt: Die Hoffnung stirbt erst, wenn wir Syrien
aufgeben – und genügend Menschen haben Syrien eben nicht
aufgegeben.  

ZEIT ONLINE: Was erwarten Sie, wie es nun weitergeht? 

Alaows: Das Assad-Regime hat uns gefoltert, verhaftet, unsere
Familienmitglieder getötet. Ich bin sehr froh über den Sturz des Regimes. Es
ist ein historischer Moment.  

Aber ich habe auch Angst vor dem, was nun kommen könnte. Die
mächtigste Gruppe, das HTS, ist eine islamistisch-dschihadistische Miliz. Ihr
Anführer Al-Dschaulani gibt sich jetzt moderat, aber wir können ihm nicht
vertrauen, sondern müssen auch darauf schauen, was seine Leute in den letzten
Jahren in Idlib angerichtet haben. Al-Dschaulani spricht jetzt von der Befreiung
der Gefangenen. Aber er sagt nicht, was mit den Gefangenen in seinen eigenen
Gefängnissen passieren wird.  

ZEIT ONLINE: Was hören Sie von Ihrer Familie und Freunden in Syrien? 

Alaows: Es gibt Freude, aber auch Angst – gleichermaßen. Angst vor allem davor, dass es zu Racheaktionen an Minderheiten kommen könnte.
Betroffen wären vor allem die Kurdinnen und Kurden, aber auch die Ismaelitinnen und Ismaeliten, die Alawitinnen
und Alawiten sowie die Drusinnen und Drusen. 

ZEIT ONLINE: Sie selbst sind Druse. 

Alaows: Aus islamistischer Sicht sind wir Ungläubige. Angehörige der drusischen Minderheit haben viele Ängste. Unter einem islamistischen Regime in Syrien würden alle leiden,
nicht nur die Minderheiten, sondern auch die Sunnitinnen und Sunniten. Viele von ihnen haben in
Idlib selbst gegen Al-Dschaulani gekämpft und wurden von ihm
unterdrückt.  

ZEIT ONLINE: Sie haben bei X ein Video geteilt, auf dem eine Statue von
Hafiz al-Assad gestürzt wird. Dazu schrieben Sie: „Ich will bei euch
sein, in meinem Geburtsort, in meiner Stadt.“ Denken Sie persönlich über eine
Rückkehr nach? 

Alaows: Emotional ja, ich würde am liebsten sofort zurückfliegen.
Ich habe meine Familie ewig nicht gesehen. Mein Vater ist gestorben, während
ich im Exil war.  

Aber es ist einfach nicht realistisch. Es gibt keinen
funktionierenden Staat, keine Rechtsstaatlichkeit in Syrien, Islamisten haben
die Macht. Es kann zu willkürlichen Verhaftungen und Folter für alle Kritiker
kommen, die jetzt nach Syrien zurückkehren.  

Es kann sein, dass eine islamistische Macht das Land
übernimmt. Aber ich bin Menschenrechtler: Ich würde mich nicht mundtot machen lassen, sondern wieder auf Missstände aufmerksam machen und dann erneut verfolgt werden, nur eben von
einem anderen Unterdrücker.