„Lieferdienst“ von Tom Hillenbrand: Das Leben ist kein Pizzaservice

Die aufgeklärte Konsumentin weiß natürlich, was mitgeliefert wird, wenn sie den zehnten Entsafter bei Amazon bestellt: ein schlechtes Gewissen, weil durch all das Gekaufe die Innenstädte veröden, Retouren in der Müllpresse landen und nebenbei ein neues Lieferprekariat entsteht. In Tom Hillenbrands Thriller Lieferdienst erzählt uns Arkadi, ein Bote aus der Zukunft, eine kleine Geschichte aus der drohenden Diktatur des Krempels. Und die ist auf garstige Weise sehr viel heiterer, als es Kapitalismusdystopien häufig sind.

In Arkadis Heimatstadt Neu-Berlin, einer Stadt, die man aus dem Brandenburger Boden stampfte, nachdem das alte Berlin bei einer Katastrophe zerstört wurde, guckt lieber niemand in den Himmel: So viel ist dort oben los, dass einem schwindelig werden kann. Sogenannte Bringer wie Arkadi sausen auf Hoverboards durch die Luft und stellen Waren zu, die nach Bestellung in 3D-Druckern hergestellt wurden. Wer bei der Lieferung langsamer als die Konkurrenz ist, bleibt auf seiner Ware sitzen, und das ist fatal in dieser Highperformer-Welt. Als „Endstufe des Kapitalismus“ bezeichnet Arkadis technikskeptischer Vater die fortwährende Lieferschlacht.

Genau diese Endstufe hat sich die Science-Fiction schon häufig in dunkel schillernden Bildern ausgemalt, sodass es einen nun kaum überrascht, was der menschliche Konsum- und Machtwille so alles anrichten kann, Verrat, Explosionen, Verfolgungsjagden. Schlimm ist das nicht. Beinahe noch mehr Spaß als an dem Krimi, der sich nach dem gewaltsamen Tod eines berühmten Lieferboten entspinnt, hat man ohnehin an den Beschreibungen der Alltagskultur von Neu-Berlin: Man trinkt keinen einfachen Kaffee, sondern „Triple Cinnamon Trouble, Bechergröße Quaranta“, lässt sich von Kellnerdronen „Khachapuri Calzone mit Suçuk“ liefern oder holt sich bei Verkäufern, die rührend anachronistisch berlinern, eine Currywurst mit „Schärfegrad Nuklearkrieg“. In den Wohnungen der Abgehängten wird Bier aus Anderthalbliterflaschen gesoffen, die solventen Neu-Berliner leben mit Ankleide-Androiden zusammen: Bei all dem Zeug, das sie bestellen, kommt ja kein Mensch mehr zum Anprobieren.

Solche Details spinnen die Trends und Marotten der weltläufig aufgescheuchten Berliner Großstadtgegenwart – und dazu manche Albernheit und Grausamkeit der heutigen Warenwelt – fort in eine unselige Zukunft. Ganz in deren Sinne ist der Roman auch erzählt. Arkadi spricht gleichsam performativ die derbe, rasante Sprache einer Welt, der alles Zarte und Bedächtige abhandengekommen ist. Wem das Lernen leichtfällt, der „grokkt“ sein Studium, man sitzt auf „rattigen“ Sofas, die Wohnsilos der Armen nennt man abfällig „Affenfelsen“. Schön ist das nicht. Aber es funktioniert, man spürt, wie grausam leer diesen Zukunftsboten die Funktionalität seiner Umwelt macht. Wenn er eine Kollegin als „sexy Packratte“ bezeichnet, erkennt man außerdem: Der Jungssprech sehr männlicher Mittzwanziger überlebt offenbar auch einen Atomschlag.

Tom Hillenbrand: Lieferdienst. Roman; Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024; 192 S., 20,– €, als E-Book 14,99 €