Unzufrieden im Digitalministerium

Disruptionen haben manchmal etwas Befreiendes. Alte Zwänge werden über Bord geworden. Neben Verwerfungen im Gesetzgebungsalltag hat das plötzliche Ampel-Aus jedenfalls auch zu neuen Erkenntnissen geführt, die auf die nächste Legislaturperiode durchschlagen können. „Ich bin überzeugt davon, dass wir ein absolut eigenständiges Ministerium für Digitales und Innovation brauchen.“ So formulierte es der Staatssekretär Stefan Schnorr im Ministerium für Digitales und Verkehr am Mittwoch in Berlin. Ein eigenes Budget würde gewährleisten, dass Mittel ausschließlich für digitale Themen verwendet würden. Es solle flankiert werden von einer agilen, schlagkräftigen Digitalagentur, die die Prozesse steuere, Software bereitstelle und Schulungen übernehme.

Die Überraschung speiste sich nicht aus der Radikalität der Forderung. Die wird von Verbänden und Digitalpolitikern schon seit Jahren erhoben. Sondern sie speist sich aus dem Umstand, dass sie mitten aus dem Herzen des Digitalminis­teriums kommt, quasi aus dem Maschinenraum des modernen Staates, und gleichsam nebenbei einen einst sorgfältig ausgehandelten Ministeriumszuschnitt für gescheitert erklärt. Statt eines Ministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) müsse es künftig ein BMDI geben, also ein Ministerium für Digitales und Innovation, das sich frei von politisch heiklen Bahnmilliardenbeschaffungsprogrammen und Brückensanierungsplänen voll auf die Digitalisierung des Staates stürzen kann.

Verwirrende Zuständigkeiten

Denn auch in diesem Bereich sind die Aufgaben vielzählig und die Zuständigkeiten zugleich verwirrend. Neben der Schaffung eines eigenständigen Ministeriums müssten deshalb auch andere entrümpelt werden. Neben dem Netzausbau gehörten dazu noch die Digitalisierung der Verwaltung, die in der turbulenten Legislatur­periode im Bundesinnenministerium von Streitigkeiten über die Migration und innere Sicherheit regelrecht erdrückt wurde. Auch der ganze Bereich der Künstlichen Intelligenz wird derzeit von zu vielen Köchen (Wirtschaft, Justiz, Digitales und Forschung) bearbeitet.

Das alles gelte es zu bündeln, fordert Schnorr. Natürlich sei das „seine persönliche Meinung“; es liege vollständig in der Hand der künftigen Regierungskoalition. Aber man darf getrost annehmen, dass auch sein von allen Parteizwängen befreiter Ressortchef Volker Wissing (ehemals FDP, inzwischen parteilos) nach drei Jahren des Regierungswurschtelns in diese Richtung denkt.

Kehrtwende nach drei Jahren

Das kann man getrost als Kehrtwende beschreiben, galt es doch zu Beginn der Legislaturperiode schon als Durchbruch, erstmals ein Ministerium geschaffen zu ha­ben, das die Digitalisierung sogar im Namen trägt, sogar an erster Stelle. Zuvor hatte sich Dorothee Bär als Staatsminis­terin im Bundeskanzleramt um die Digitalisierung gekümmert, ausgestattet mit gerade einmal einer Handvoll Mitarbeitern.

Die neue Regierung, angetreten als digitalaffine „Fortschrittsregierung“, wollte es an­ders machen. Wissing war es wichtig, im Ministeriumsnamen die Digitalisierung noch vor dem Verkehr zu nennen, auch wenn sich schon kurz nach Amtsantritt im Dezember 2021 deutlich zeigte, dass der marode Zustand des deutschen Schienennetzes und Tausende bröselnder Brücken mehr Aufmerksamkeit erfordern als die Digitalziele eines Landes, das auch mit dem Einsatz von Faxgeräten noch einige Zeit solide funktionieren kann – zumal die Corona-Pandemie zu diesem Zeitpunkt schon wieder am Abklingen war. Sie hatte noch einmal die eklatanten Lücken in der digitalen Verwaltung offengelegt.

Keine Streitigkeiten sondern fehlender Elan

Dass Deutschland anderen Staaten in der Digitalisierung noch immer hinterherhinkt, ist dabei noch nicht einmal den ständigen Streitigkeiten innerhalb der rot-grün-gelben Koalition geschuldet gewesen. Auseinandersetzungen finden in diesem Bereich öfter zwischen Bund, Ländern und Kommunen statt. Auch Schnorr schwärmt von der Zusammenarbeit zwischen allen Ressorts, die von hohem Konsens und Konstruktivität geprägt gewesen sei. Aber es fehlte in einigen Häusern erkennbar an Elan.

Der beamtete Staatssekretär Schnorr beklagte die Besetzung vieler Staatssekretärsrunden. In diesen regelmäßigen Treffen auf zweithöchster Ebene werden oft Streitigkeiten geklärt, um Vorhaben auf den Weg zu bringen. Ins Digitalministerium schickten jedoch etliche Häuser oft nur ihre Abteilungs-, manchmal auch Referatsleiter. Das sät Zweifel an der Leidenschaft, mit der die Ministeriums­spitzen die Digitalisierung betreiben. Hinzu kommt, dass Digitalisierungsprozesse und Datenlabore in Zeiten knapper Kassen oft zu den ersten Posten zählen, die eingespart werden.

Die Mängelliste, die den Fortschritt im Land aufhält, ist jedenfalls lang: Dem Bundesfinanzministerium ist es bisher noch nicht gelungen, einen digitalen Auszahlungsmechanismus für staatliche Un­terstützungen in die Welt zu setzen, das macht die Bereitstellung eines Klimageldes unmöglich. Tausende von Registern mit den Daten ihrer Bürger sind noch immer nicht digitalisiert, von einem Austausch zwischen den Behörden kann keine Rede sein. Das Prinzip „Once Only“, nach dem der Bürger nur ein einziges Mal seine Daten zur Verfügung stellen muss, ist ein Projekt für das nächste Jahrzehnt.