Kahil El’Zabar: Etwas Rätselhaftes ergreift Besitz von ihm


Khail El’Zabar

Schlagzeuger mit Stil: die Jazzlegende Kahil El’Zabar

Alles an dem Mann strahlt Eleganz aus. Coolness. Eine Mischung aus Verwegenheit und Stil, die eher an die Cover klassischer Soul- und R-’n‘-B-Alben von Motown Records erinnert als an Spiritual- und Free-Jazz. Man kann sich Kahil El’Zabar, einen athletischen Typen mit Stetson, gepflegtem Schnauzer und eleganten Retrohemden, als Model vorstellen – bis man ihn in der Münchner Unterfahrt erlebt, einem dieser verschwitzten Jazzkeller, die der 71-jährige seit einem halben Jahrhundert als Schlagzeuger und Perkussionist bespielt. 

Kastagnetten bindet er sich dafür um die Knöchel, nimmt seine Waschbecken-große Rahmentrommel in die Hand, schlägt einen Beat. Und plötzlich fällt alle Zurückhaltung von ihm ab, ergreift etwas Rätselhaftes von ihm Besitz. Während die junge Begleitband El’Zabars, die aktuelle Version des Ethnic Heritage Ensemble, seinem polyrhythmischen Groove folgt, ihn melodisch untermalt und kontrapunktiert, lässt sich der Bandleader unter lustvollem Grunzen Richtung Trance treiben: „Open me, open me …“ singt er, schreit er, flüstert er. Ist das noch ein Konzert oder schon eine Séance?

Später wird El’Zabar auf der leeren Bühne bei einem Pfefferminztee – „Ich konsumiere weder Alkohol noch andere Drogen“ – erzählen, er habe als Jugendlicher Mahalia Jackson und John Coltrane gehört und verstanden: „Die Vibration der Klänge berührt uns im Innersten. Sie hat die Kraft, Menschen zu verändern.“ Das mag für Uneingeweihte esoterisch klingen. Das Feinstoffliche aber, dem der Künstler aus Chicago seit jeher nachspürt, macht seine musikalische Stärke aus. Er kann es mit Jazzgrößen wie Archie Shepp und Pharoah Sanders aufnehmen – beide haben auf Alben von El’Zabar gespielt.

Nur dem kommerziellen Erfolg stand die Suche im Weg, etwa als El’Zabar 1973 von Paul Simon für Aufnahmen zu dessen Hit Love Me Like a Rock engagiert wurde. „Ich bekam 1.500 Dollar die Woche, egal, ob eine Session stattfand oder nicht“, sagt El’Zabar und lacht. „Meine Eltern, die einiges für mein Studium geopfert hatten, sahen mich endlich auf der sicheren Seite – aber dann musste ich sie enttäuschen. ‚Spielst du noch für Paul Simon?‘ ‚Nein, ich habe gekündigt!'“ El’Zabar liebt es, Dialoge mit dramatischen Stimmnuancen nachzuerzählen. „‚Mom, Dad, ich hänge mit Muhal Richard Abrams, Steve McCall, George Lewis und Henry Threadgill ab.‘ ‚Okay, das sind große Jazznamen. Und was verdienst du?‘ ‚Wir spielen jeden Sonntag in einem Laden auf der Southside, und sie geben uns 50 Dollar.'“

So tourte El’Zabar jahrzehntelang vor einer Handvoll Zuschauer über provinzielle Bühnen und durch Jazzclubs, organisierte Workshops zum Black History Month an Schulen oder verdiente sich etwas mit selbst genähter Mode dazu. Seine Mutter hatte ein Geschäft für Brautmoden geführt und ihrem Sohn das Schneidern beigebracht. El’Zabars eleganter Kleidungsstil hat hier seinen Ursprung. Er entwarf in der Folge die Bühnenkostüme für Nina Simone, Nona Hendryx oder Henry Threadgill. 

Für seine Musik erhält er die verdiente Anerkennung erst heute. Bei seinem Münchner Konzert wird er von einem Bandmitglied als „eine der letzten lebenden Legenden einer revolutionären Ära des Selbstausdrucks“ vorgestellt. „Sie haben mich im Jazzmagazin Down Beat als Musiker des Jahres und mit dem Album des Jahres ausgezeichnet“, sagt El’Zabar. „Man kürte mich gar zu einem der Newcomer des Jahres.“ Süffisantes Lachen. „In meinem Alter!“

Tatsache ist: Kahil El’Zabar hat bereits mehr als 50 Alben veröffentlicht. Ein Newcomer ist er aber auch, gewissermaßen, weil der Schlagzeuger gerade von einer neuen, mit Hip-Hop aufgewachsenen Generation entdeckt wird. Er bekommt Shoutouts von Ahmir „Questlove“ Thompson, dem Drummer des Rap-Kollektivs The Roots. Erykah Badu hat eines ihrer Videos mit einem Song von El’Zabar unterlegt, der Jazz-Veteran schrieb außerdem die Titelmelodie des von Dave Chappelle moderierten Podcasts Midnight Miracle. 2022 spielte El’Zabar auf dem We-Out-Here-Festival in der englischen Provinz vor 20.000 Menschen. Selbst seine Enkel – „Für sie war ich immer nur granddad, sie würden nie auf ein Konzert von mir gehen“ – finden ihn plötzlich cool. Unter anderem, weil El’Zabar vom Rapper Yasiin Bey (früher bekannt als Mos Def) gebeten wurde, einen Song für dessen neues Album zu schreiben.

Lange habe man ihm vorgeworfen, dass er sich „mit primitiven, Folk-orientierten Sounds“ unter Wert verkaufe, sagt El’Zabar. Für sein Ethnic Heritage Ensemble oder auch das Ritual Trio wählte er unkonventionelle Besetzungen: Nur Bläser und Percussion, außerdem sein signature instrument, die Kalimba, ein metallisch schepperndes Fingerklavier. El’Zabar setzt ganz auf die Kraft von Chants und komplexen improvisierten Rhythmen. Er strebe mit seiner Musik nach „Heilung“, sagt er. 

Ein Gedanke, den er in Westafrika fasste: 1973 reiste El’Zabar für sechs Monate nach Ghana. Er lernte, Yoruba zu sprechen und die Rhythmen der Aschanti und Ga zu spielen. „Vor allem aber fand ich in Ghana Nähe“, sagt er. „Eine Mentalität des Händeschüttelns und Sich-in-die-Augen-Schauens, die ich vorher nicht kannte. Ich verstand, dass wir Schwarzen uns in den USA angewöhnt hatten, den offenen Ausdruck zu vermeiden. Das war ein Schutzmechanismus. Und nun öffneten mich die Erfahrungen in Ghana dafür, wer ich wirklich war. Ich begriff, dass ich meine Musik ohne die Restriktionen westlicher Konventionen komponieren durfte.“