Medien: Von Olaf Scholz solange bis Robert J. Kennedy junior – Auf ihn mit Gebrüll!
Boris Pistorius soll statt Olaf Scholz SPD-Kanzlerkandidat werden und Donald Trumps neuer Gesundheitsminister geht ja wohl gar nicht: Personal- und Machtpolitik von der journalistischen Seitenlinie hat gerade wieder Hochkonjunktur
Das mediale Herumgestocher wirkt. Olaf Scholz habe „kein Vorrecht auf Wiederwahl“, dröhnt der frühere SPD-Chef Franz Müntefering – gefundenes Fressen für die Medien, die dem Gauländischen „Wir werden sie jagen“ verpflichtet scheinen, diesmal mit dem Kanzler im Visier: „Scholz muss weg!“
Journalisten durchschwärmen das Land, um in kleinst-SPD-Ortsvereinen und abgelegenen Amtsstuben nach jenem „Grummeln“ zu suchen, das es multimedial zu verstärken gilt. Wer suchet, der findet, dass Boris Pistorius der bessere Kandidat wäre, denn ihn lieben die Medien und damit die Menschen an den Küchentischen, an denen auch der Grüne Robert Habeck – Umfragekurs steigend – „für die Menschen in Deutschland“ telegen die Ärmel hochkrempelt.
Der Personalisierungs-Hype nimmt immer groteskere Züge an
Da wird ein Unmut herbeigeschrieben, der so groß sonst wohl gar nicht wäre. In mediengetriebenen Umfragen ist der Verteidigungsminister der Größte, schon, weil er den Helm aufhat. Das ständige Reden von den „Beliebtheitswerten“, als ginge es um Aktienkurse oder Joghurtgeschmacksvarianten, stimmt bedenklich. Als wären Kandidaten Konsumprodukte zum „Austauschen“. Kein neues Phänomen, doch der Personalisierungs-Hype nimmt immer groteskere Züge an. Das zeigt auch die US-Berichterstattung.
Gegen Noch-nicht-ganz-Justizminister Matt Gaetz seien schon Ermittlungen geführt worden, heißt es ganz oben in Meldungen. In einem Rechtsstaat wäre eine Ermittlung noch lange kein Grund zur Verdammung. Gegen wie viele Kiffer, jugendliche Mutprobendiebe, Schwarzfahrer, linksorthodoxe TV-Heilige wurden schon Ermittlungen geführt? Doch bei Trump sind alle Mittel recht, da wird Rauch geschürt, damit alle „Feuer!“ schreien. Deshalb geilen sich Kollegen ständig daran auf, dass Trump einer „Porno-Prostituierten“ „Schweigegeld“ gezahlt haben soll. Wie relevant ist das wirklich? Wem nützt die biedere Erregung?
Wäre es klug, Boris Pistorius schon zu verschleißen?
Manche wähnen sich eher in einem Moral-, denn in einem Rechtsstaat. Diese Art von journalistischem Selbstverständnis gebietet geradezu, dafür zu sorgen, dass Scholz Platz macht für einen, der den Kommentatoren lieber wäre. Nicht aus inhaltlichen Gründen, einfach nur, weil sie es können. Sich selbst überbewertende „Berichterstatter“ trachten nach Einfluss – weil es sich geil anfühlt. Weil’s sich verkauft. Nüchtern betrachtet, wäre es aus Sicht der Sozialdemokratie nicht eher dumm, Pistorius schon im laufenden Wahlkampf zu verschleißen?
Das Beste an ihm: Er ist kriegstüchtig und kein „vehementer Impfgegner“ wie skandalöser Weise der angekündigte US-Gesundheitsminister. Neben der Tatsache, dass Robert J. Kennedy junior glaubt, WLAN verursache Krebs, für die vermeintlich objektive Tagesschau die wichtigste Information. Kennedys krude Ideen werden genüsslich als verwerflich dargestellt. Ohne auch nur in Erwägung zu ziehen, ob vielleicht an manchen trotzdem etwas dran sein könnte.
Gesundheitspolitik, Pharmalobby und Fentanyl in den USA
Die Gesundheitsbehörden seien „Marionetten der Industrie“, sagte Kennedy – angesichts staatlich geförderter Fentanyl-Massensucht wirkt das nicht völlig aus der Luft gegriffen. Doch Moralberichterstattung verliert die Neugier, fragt auch nicht, wie Kennedy „die Epidemie chronischer Krankheiten beenden“ (Trump) will. Wäre doch interessant? Oder wie profitabel Diabetes & Co sind. Statt zu entlarven, wie gekonnt Trump und die Seinen von marktbedingten Übeln der Menschheit ablenken, springen die Kollegen wie gelehrige Trumpschüler über jedes kontrafaktische Stöckchen. Fakten „verkaufen“ nicht, „it’s emotion“, stupid. Der Mann – Scholz, Gaetz oder Kennedy – geht gar nicht, heißt es dann marktschreierisch, weil „unbeliebt“, „sexistisch“, „Impfgegner“. Das sagt ja wohl alles?! So wie „Beliebtheitswerte“ vorgeblich alles sagen und demokratische Prozesse zu verdrängen drohen.
Journalismus, der sich die Macht der moralischen Verwerfung zuschreibt und Personalpolitik von der Seitenlinie betreibt, verfehlt seinen Job. Und trägt dazu bei, dass oligarchische – kapitalgetriebene – Strukturen sich im Dunkeln weiter ausbreiten, auch hierzulande – wem nützt das?
Transparenz-Hinweis: Die Autorin dieses Kommentars ist Mitglied der SPD.