Zeugnis | Fotografien des ersten Kriegsjahrs in jener Ukraine: Die Stille trügt

Der Fotograf Byron Smith reiste unmittelbar nach der russischen Invasion durch die Ukraine. Sein Fotobuch „Testament ’22“ überliefert die Spuren der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung – und beschreibt, was Alltag im Krieg heißt


1

Die erste Aufnahme in Farbe, Seite 57, ist so ein Ruhepol in dieser Reihe: Weit hinten sitzt ein Mann in einem Boot und fischt. Der Teich oder Flussarm ist schmal, er endet im Schilf, umstanden von einer schon herbstlichen Landschaft. Oben hängen Wolken wie Schleier im weiten Himmel, die Nachmittagssonne färbt sie schon rosa. Wir schauen auf den Angler durch das Geländer einer Brücke, von der ist kaum mehr als Armierung geblieben, Beton ist weggeplatzt, weggesprengt, zerbröselt: Kupjansk im November 2022, Oblast Charkiw, Richtung Isjum. Eigentlich lebten hier 30.000 Einwohner, die Region war 195 Tage unter russischer Besatzung.

Vor der Aufnahme mit dem Mann im Fischerboot haben wir schon eine Reihe Schwarzweißbilder durchmessen: Die Brücke nach Tschernihiw