„Vielerorts wird das Militär heute als verlässlicher angesehen“

Wir leben in Zeiten, die uns einiges Kopfzerbrechen bereiten. Deshalb fragen wir in der Serie „Worüber denken Sie gerade nach?“ führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Stimmen des öffentlichen Lebens, was sie gegenwärtig bedenkenswert finden. Die Fragen stellen Maja Beckers, Andrea Böhm, Christiane Grefe, Nils Markwardt, Peter Neumann, Elisabeth von Thadden, Lars Weisbrod oder Xifan Yang. Heute antwortet der Politikwissenschaftler und Demoskop Joseph Asunka.


Joseph Asunka lehrte Politikwissenschaften an der University of California in Los Angeles und ist heute der CEO von Afrobarometer, einem Institut, das Meinungsumfragen zu Demokratie, Wirtschaft, Regierungsführung und Gesellschaft auf dem gesamten afrikanischen Kontinent durchführt. Er arbeitete am jüngsten Ibrahim-African-Governance-Index mit. Dieser gilt als umfassende Erhebung über Regierungsführung in Afrika und wird zweijährlich durch die Mo Ibrahim Foundation erhoben, benannt nach dem sudanesischen Milliardär und Philanthropen.

Joseph Asunka lehrte Politikwissenschaften an der University of California in Los Angeles und ist heute der CEO von Afrobarometer, einem Institut, das Meinungsumfragen zu Demokratie, Wirtschaft, Regierungsführung und Gesellschaft auf dem gesamten afrikanischen Kontinent durchführt. Er arbeitete am jüngsten Ibrahim-African-Governance-Index mit. Dieser gilt als umfassende Erhebung über Regierungsführung in Afrika und wird zweijährlich durch die Mo Ibrahim Foundation erhoben, benannt nach dem sudanesischen Milliardär und Philanthropen.

ZEIT ONLINE: Joseph Asunka, Sie sind einer der Studienautoren des aktuellen Ibrahim-African-Governance-Indexes der Mo-Ibrahim-Stiftung, der die Entwicklungsfortschritte auf dem afrikanischen Kontinent vermisst. Worüber denken Sie gerade nach?

Joseph Asunka: Ich denke darüber nach, was Fortschritte in Infrastruktur und Bildung für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents bedeuten. 96 Prozent aller Menschen in Afrika leben in Ländern, in denen sich Stromversorgung, Mobilfunknetz und der Zugang zum Internet in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert hat. Und zwei Drittel aller Afrikanerinnen und Afrikaner leben in Ländern mit einem besseren Bildungssystem als vor zehn Jahren. Infrastruktur und Bildung bilden eine wichtige Grundlage für künftiges Wachstum. Das stimmt mich in einer Zeit zunehmender Konflikte trotz allem zuversichtlich.

ZEIT ONLINE: Afrika ist ein riesiger Kontinent mit 54 Ländern. Was ist trotz aller Unterschiede der wichtigste übergreifende Trend, den Sie und Ihre Kollegen beobachten?

Asunka: Leider ein besorgniserregender. Für 78 Prozent aller Menschen in Afrika hat sich die Situation von Rechtsstaatlichkeit und politischer Teilhabe in den vergangenen zehn Jahren verschlechtert. Repression und Gewalt haben zugenommen, die Zahl von Kriegen und Konflikten steigt. Unsere Umfragen zeigen, dass die meisten Menschen auf dem Kontinent der Ansicht sind, dass ihre Länder sich in Sachen Regierungsführung in die falsche Richtung entwickeln.

ZEIT ONLINE: Ist das ein Spiegel globaler Entwicklungen?

Asunka: Ja, auch in Afrika schlägt sich der Trend zum Autoritarismus nieder, wobei die Situation in afrikanischen Ländern teilweise besonders dramatisch ist. In Mali, Guinea, Burkina Faso, Niger, im Sudan und im Tschad hat sich in den vergangenen Jahren das Militär an die Macht geputscht. Erstaunlicherweise befürworten viele Menschen in diesen Ländern die Machtergreifung des Militärs.

ZEIT ONLINE: Warum?

Asunka: Den Militärputschen gingen in der Regel Jahre des zunehmenden Machtmissbrauches durch gewählte Eliten voraus. Das Vertrauen der Bevölkerung in demokratische Wahlprozesse ist dadurch stark gesunken. Vielerorts wird das Militär heute als verlässlicher angesehen als gewählte Regierungen. Eine so hohe Zahl von Militärinterventionen wie zuletzt in Afrika hat es seit Jahrzehnten nicht mehr in der Welt gegeben.

ZEIT ONLINE: Dabei galt Afrika lange als Kontinent der Zukunft. Wie haben sich die Dinge so schnell zum Schlechteren gewendet?

Asunka: Sie meinen die Africa Rising-Phase zwischen 2000 und 2014. Ja, das war eine aufregende Zeit. Afrikanische Länder zählten zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Es herrschte überwiegend Frieden auf dem Kontinent. Die afrikanische Union verabschiedete ehrgeizige Entwicklungspläne wie die Agenda 2063. So viel Aufbruchstimmung! Leider kehrte sich die positive Entwicklung um das Jahr 2015 um. In vielen Ländern kam es zu Wahlmanipulationen, wirtschaftliche Probleme wie Arbeitslosigkeit nahmen wieder zu. Dann kamen die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine, der die Getreidepreise hat explodieren lassen. Beide Ereignisse hatten enorme wirtschaftliche Folgen auf dem afrikanischen Kontinent. Verheerend wirkt sich auch der Klimawandel aus.

ZEIT ONLINE: Können Sie das näher beschreiben?

Asunka: Viele afrikanischen Länder haben nicht die Mittel, um die Bevölkerung vor extremen Wetterlagen wie Dürren und Überschwemmungen zu schützen. Häuser und Felder sind nicht widerstandsfähig genug. Die Regenzeiten haben sich so verschoben, dass die Landwirtschaft immer weniger planbar wird. Die Erträge gehen Jahr für Jahr zurück. Der Klimawandel beeinträchtigt auch die Stromversorgung.

ZEIT ONLINE: Eingangs sagten Sie, dass der Zugang zu Strom sich für weite Teile der Bevölkerung verbessert habe.

Asunka: Es gibt heute mehr Stromleitungen, aber das heißt nicht, dass der Strom auch tatsächlich fließt. In einigen Ländern wie Sambia, wo Strom zu großen Teilen aus Wasserkraft gewonnen wird, herrscht seit sieben Monaten Dürre. Dort haben Millionen Menschen kaum mehr als zwei Stunden Elektrizität am Tag, und das täglich zu unterschiedlichen Zeiten, manchmal nur nachts. Das macht es unmöglich, Produktivitätsziele zu erreichen. Viele Verbesserungen muss man differenziert betrachten, zum Beispiel auch im Gesundheitswesen oder in der Bildung. Die Zahl der Krankenhäuser hat zugenommen, das hilft den Menschen aber wenig, wenn die Ärzte nicht genügend Medikamente haben, die sie verschreiben können. Oder nehmen Sie steigende Ressourcen für die Bildung: Der Großteil davon kommt städtischen Schulen zugute, während ländliche Gegenden abgehängt bleiben. Politiker tendieren außerdem dazu, Ressourcen in ihre Heimatregionen zu lenken, was Ungleichheiten verstärkt.

ZEIT ONLINE: An Ihrer Studie fällt auf, dass Infrastruktur der einzige Bereich ist, in dem die meisten Länder Fortschritte erzielen.

Asunka: Das hat viel damit zu tun, dass Investitionen in Straßen, Strom- und Handynetze attraktiv für externe Geldgeber wie China sind und sich schnell in sichtbare Erfolge für die Regierenden übersetzen, ganz unabhängig davon, wie das Land sich auf anderen Feldern entwickelt.

ZEIT ONLINE: Den größten Sprung in Ihrem Ranking gemacht haben die Seychellen und Marokko. Was macht diese beiden Länder erfolgreich?

Asunka: Die Seychellen, auf Platz 1, sind wohlhabend geworden durch den Tourismus und Fischfang, es gibt eine aufstrebende Finanzindustrie. Dadurch hat das Land heute das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Afrika: 21.870 Dollar im Jahr, ein Vielfaches des afrikanischen Durchschnitts. Es wurden in allen Dimensionen der Regierungsführung kontinuierliche Verbesserungen erzielt. Das Land ist klein und hat stabile politische Strukturen, die Bürger sind vergleichsweise zufrieden mit ihrer Demokratie. Marokko ist in unserem Ranking auf Platz 8 aufgestiegen, das Land hat heute die modernste digitale Infrastruktur Afrikas, Indikatoren wie die Unabhängigkeit der Justiz haben sich deutlich gebessert. Wie ich aber bereits sagte: Verbesserungen sind relativ zu sehen. Bei der Versammlungsfreiheit oder dem Zugang für Frauen zu staatlichen Leistungen hat Marokko Rückschritte gemacht.

ZEIT ONLINE: Ein ermutigender Befund Ihrer Studie lautet, dass mehr Menschen als früher in Afrika Geschlechtergerechtigkeit befürworten. Wie äußert sich das?

Asunka: Das ist ein Beispiel dafür, dass globale Trends sich auch positiv niederschlagen. Forderungen danach, dass die Politik Themen wie Gewalt gegen Frauen angeht, werden in afrikanischen Gesellschaften lauter. Es sagen mehr und mehr junge Menschen, auch Männer, dass Frauen Führungspositionen übernehmen sollten. Das ist für mich ein Zeichen, dass viele trotz der Zunahme autoritärer Tendenzen den Führungsstil alter Männer satthaben.