„Das wird dasjenige Regime im Iran untergeordnet in keiner Weise imponieren“
Iran-Expertin Ulrike Becker erhebt schwere Vorwürfe gegen Außenministerin Baerbock (Grüne) und Bundeskanzler Scholz (SPD): Die beiden hätten zu wenig für die Freilassung des hingerichteten Deutschen Jamshid Sharmahd getan. Die Zurückhaltung gegenüber dem Mullah-Regime habe einen besonderen Grund.
Am Montag wurde bekannt, dass Jamshid Sharmahd vom Mullah-Regime in Teheran hingerichtet worden ist. Der deutsche Staatsbürger ist 1962 im Alter von sieben Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen und lebte zuletzt in den USA. Über den Fall spricht Iran-Expertin Ulrike Becker, Historikerin und Forschungsleiterin im Mideast Freedom Forum Berlin.
WELT: Frau Becker, warum hat das Regime in Teheran das Todesurteil gegen Jamshid Sharmahd gerade jetzt vollstreckt, zwei Tage nach den israelischen Luftangriffen gegen den Iran?
Ulrike Becker: Der zeitliche Zusammenhang ist tatsächlich sehr auffällig. Offensichtlich nutzt das Regime im Iran den Fall, um die westlichen Regierungen unter Druck zu setzen und bestimmte politische Zugeständnisse zu erzwingen. Ich interpretiere das als Rache für den israelischen Angriff. Es zeigt auch erneut, dass sich das Regime immer an denen rächt, die im Iran oder im Exil für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen.
WELT: Richtet sich die Rache auch explizit gegen Deutschland?
Becker: Vielleicht. Der iranische Außenminister hat einen Zusammenhang hergestellt, als er im Zuge der Hinrichtung von Sharmahd auf Twitter erklärte, dass Deutschlands kritische Haltung in Menschenrechtsfragen scheinheilig sei, da es die „Kindermörder“ in Israel unterstütze. Der entscheidende Faktor war aber wohl, dass die Bundesregierung sich nicht entschieden für Jamshid Sharmahd eingesetzt hat.
WELT: Als Reaktion auf die Hinrichtung hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) den Leiter der iranischen Botschaft einbestellt und „scharfen Protest“ übermittelt. Reicht das aus?
Becker: Das reicht überhaupt nicht aus. Die Tochter von Sharmahd, Gazelle, hat eine harte Bestrafung gefordert, und das finde ich richtig. Die Bundesregierung hat es bisher mit stiller Diplomatie versucht, hat auf Dialog mit dem Regime gesetzt, wollte die Kanäle offenhalten – auch mit Blick auf das Atomprogramm. Diese Strategie ist ganz offensichtlich gescheitert. Man hat viel zu wenig getan, sich viel zu wenig für Sharmahds Freilassung eingesetzt. Jetzt ist die Zeit für harte Konsequenzen.
WELT: Was hätte die Bundesregierung konkret tun sollen?
Becker: Es braucht mehr Druck, auch öffentlichen. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit bei anderen Geiseln bewiesen, dass sie das kann. Als 2011 die Journalisten Marcus Hellweg und Jens Koch als politische Gefangene im Iran festgehalten wurden, war sofort ein Krisenstab damit befasst. Der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) ist persönlich in den Iran gereist und hat sich für die Freilassung eingesetzt. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die Bundesregierung bei deutschen Staatsbürgern, die einen iranische Namen haben, weniger engagiert ist.
WELT: Welche Rolle spielt es, dass Sharmahd zwei Staatsbürgerschaften hatte: die iranische, die er nicht zurückgeben kann, und die deutsche?
Becker: Das darf meiner Meinung nach keine Rolle spielen. Herr Sharmahd ist als Kind nach Deutschland gekommen und hat hier sehr lange gelebt. Er hat hier seine Kinder großgezogen und bei Siemens gearbeitet. Deswegen sollte er so behandelt werden wie alle anderen deutschen Staatsbürger auch. Das Bündnis „Save Sharmahd“ hat sich übrigens auch direkt an Siemens gewendet und die Firma gebeten, sich öffentlich für ihren ehemaligen Mitarbeiter einzusetzen. Siemens machte im Energiesektor gute Geschäfte mit dem Regime in Teheran, hat die Bitte aber abgelehnt. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die vielen Mitarbeiter bei Siemens mit iranischer Herkunft.
WELT: Ministerin Baerbock teilte mit, man habe hier in Berlin „jeden Tag an diesem Fall gearbeitet“.
Becker: Es kann natürlich sein, dass sie hinter den Kulissen mehr gemacht hat, als wir wissen. Aber wir sehen am Ergebnis, dass diese stille Diplomatie nichts genützt hat. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich kein einziges Mal mit den Angehörigen der Familie Sharmahd getroffen. Er hat sich auch kein einziges Mal öffentlich geäußert und eine Freilassung gefordert. Das ist ein Armutszeugnis. Auch im Auswärtigen Amt gab es eine große Zurückhaltung, die Familie von Herrn Sharmahd hat sich sehr lange vergeblich um einen Termin mit Baerbock bemüht. Erst im vergangenen Herbst ist die Tochter Gazelle dann Baerbock in den USA am Rande einer Konferenz begegnet.
WELT: Es wird mitunter befürchtet, dass zu viel Öffentlichkeit den Preis bei Verhandlungen in die Höhe treiben könnte oder die Bedingungen für die Inhaftierten verschlechtert.
Becker: Das lässt sich nicht vorhersehen, das Regime im Iran handelt willkürlich und nicht berechenbar. Die Geiseln sind Spielbälle der iranischen Regierung. Ich kenne den umgekehrten Fall, dass politische Geiseln bessere Haftbedingungen bekommen haben, nachdem Presseartikel in westlichen Medien erschienen sind. Wichtig wäre es, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Stelle für die Bekämpfung von politischer Geiselnahme einzurichten, um in Verhandlungen geschlossen Druck auf das Regime ausüben zu können.
WELT: Baerbock hat „schwerwiegende Folgen“ angekündigt, würde Sharmahd hingerichtet werden, aber offengelassen, was sie genau meinte. Was muss jetzt passieren?
Becker: Es müssen alle Agenten und Funktionäre des Regimes aus Deutschland ausgewiesen werden. Die Revolutionsgarden müssen auf die Terrorliste der EU gesetzt werden, auch brauchen wir auf nationaler Ebene ein Betätigungsverbot. Wenn man den Druck erhöhen will, wären Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen möglich: Man kann Konsulate schließen, Botschafter ausweisen, Geld einfrieren, Lufthansa-Flüge streichen, die Handelsbeziehungen beenden, Sanktionen gegen iranische Banken verhängen.
Im Grunde muss jetzt die gesamte Iran-Politik auf den Prüfstand. Wir müssen zeigen, dass wir es nicht hinnehmen, dass ein deutscher Staatsbürger willkürlich unter fadenscheinigen Argumenten festgenommen und hingerichtet wird.
WELT: Gehen Sie davon aus, dass die Bundesregierung Schritte in diese Richtung unternehmen wird?
Becker: Ich rechne nicht damit. Trotzdem muss man Frau Baerbock beim Wort nehmen und sie auch medial immer wieder an ihre Ankündigung der „schwerwiegenden Folgen“ erinnern. Es ist schließlich auch noch eine weitere Geisel in Gefahr, die inhaftierte Menschenrechtsaktivistin Nahid Taghavi. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, alles zu tun, um zumindest sie zurück nach Deutschland zu bringen.
Politikredakteurin Kaja Klapsa ist bei WELT zuständig für die Berichterstattung über das Bundesgesundheitsministerium und das Auswärtige Amt.
Source: welt.de