Florentina Holzinger: Wieso ihr Stück „Sancta“ unbedingt in Stuttgart spaltet
Skandale sind seit jeher Bestandteil großer Theater-Aufführungen. Aber dass in der Staatsoper Stuttgart Florentina Holzingers Stück „Sancta“ so kontrovers aufgenommen wurde, sagt auch viel über den Kulturbetrieb (nicht nur) in Stuttgart aus
Theaterskandale sind eigentlich selten geworden: Was bringt denn bitte schön heute noch das Blut der Leute zum Kochen? Seit Kurzem wissen wir: Es sind sich küssende und liebkosende nackte Frauen, die noch das Zeug haben, Ausraster zu provozieren. Es ist Live-Piercing auf der Bühne. Es ist das Hinzufügen einer Schmuckwunde, auch Skarifizierung genannt.
Was die mediale Skandalisierung der Opernperformance Sancta an der Staatsoper Stuttgart jetzt aber zum Siedepunkt führte, scheint vor allem auch die „obszöne“ Verletzung christlicher „religiöser Gefühle“ zu sein, die sich da abgespielt haben soll. So lautete jedenfalls das Statement von Stuttgarts katholischem Stadtdekan, der die Aufführung selbst gar nicht gesehen hat.
Stell dir vor, alle drehen am Rad, aber keiner hat’s gesehen – so könnte man es auch beschreiben. Am Ende der medialen Eskalation stehen nun erhöhte Sicherheitsvorkehrungen für die Aufführung. „Eine absurde Umkehrung“, nannte das traurig die Regisseurin und Choreografin Florentina Holzinger jetzt im Interview. Aufhänger für die Entgleisungen war die Meldung gewesen, dass 18 Zuschauer:innen bei den Aufführungen von Sancta den Saal verlassen mussten, über Schwindel und Übelkeit klagten.
Florentina Holzinger macht hier nichts, was sie sonst nicht auch tut
Als es diese Nachricht erst mal auf die Seite der Tagesschau geschafft hatte, verbreitete sich mittels Copy-&-Paste-Dynamik die Kunde von der „blutigen Oper“ mit „lesbischen Szenen in aufreizender Deutlichkeit“ wie ein Lauffeuer bis in die internationale Presse, flankiert von Falschmeldungen auf Social Media, geposteten Auszügen der Triggerwarnungen und reichlich Boulevarderregung.
Ich selbst habe die Stuttgarter Premiere von Sancta gesehen und kann versichern: Hier gibt es nichts zu sehen, was nicht auch in allen anderen Inszenierungen von Florentina Holzinger als theatrales Mittel zum Einsatz kommt, um sich wie hier mit der Gewaltgeschichte der christlichen Religion auseinanderzusetzen.
Kann sehr gut sein, dass die explizit körperlichen Mittel der Performancekunst die Sehgewohnheiten des Stuttgarter Publikums strapazierten. Die Staatsoper berichtet, die meisten seien nach einem Schluck Wasser wieder in den Saal zurückgekehrt. Hätte die Presse mal lieber genauer nachgefragt. Liest man die Berichte über die Androhungen, die sich aufgrund der medialen Berichterstattung über den Beteiligten entladen, kommt man zu dem Schluss, dass christlicher Fundamentalismus in Deutschland eine ähnlich unterschätzte Gefahr sein muss wie der Rechtsradikalismus.
Ohne das Feindbild Frau kommt die Oper nicht aus
Von fanatischen Wünschen nach Höllenfeuer, Gottes Zorn und Strafe ist da die Rede sowie der Verdammung von Teufelskult und Satanismus. Als „gerechte Strafe“ für die feministische Performance werden, natürlich, auch Vergewaltigungsszenarien imaginiert; mir als Kritikerin schrieb ein engagierter Retter des Abendlandes, die einzige „Lösung“ für mich sei, als „biologisches Testwesen“ in den Iran zu kommen.
Ach ja, das Feindbild Frau. Die Hochkultur Opernwelt kommt ohne es bekanntlich nicht aus. Sie muss sterben – entweder aus Liebe (Tristan und Isolde) oder an Tuberkulose (La Traviata). Besser noch, sie bringt sich selbst um (Madame Butterfly), wird erdolcht (Carmen) oder erdrosselt (Othello). Doch wenn eine nackte Frau am Kreuz hängt, dann hört der Spaß anscheinend auf. Es ist auch diese Gewaltgeschichte gegen die Frau, der Florentina Holzinger mit Sancta etwas entgegensetzt. Dass das noch das Zeug zu einem Skandal hat, heißt, der Weg ist noch weit.