Thomas Gottschalk: Seine Saalwette hat er schon jetzt gewonnen


Thomas Gottschalks neues Buch heißt "Ungefiltert".

Thomas Gottschalks neues Buch heißt „Ungefiltert“.

Thomas Gottschalks momentan arg gescholtenes Buch Ungefiltert. Bekenntnisse von einem, der den Mund nicht halten kann (Heyne, 24 Euro) ist schon jetzt ein Quotenbringer: dank eines raubeinigen Spiegel-Interviews und Bild-Pro-und-Contras. So etwas ist im Fernsehen nicht mehr möglich, was Gottschalk mal süffisant, mal klagend den Nachwachsenden unter die Streamer-Nase reibt. Vermutlich läuft es auf der Bestsellerliste bald auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Hape Kerkeling hinaus, einem anderen, reiferen Ex-TV-Entertainer (Gebt mir etwas Zeit).

Gottschalks drittes Buch sei eine „Flucht nach vorn“, gegen die öffentliche Stille seiner Generation, sagt der Autor selbst. Sein Versprechen, dass kein weiteres kommt, sollte man so sehr für bare Münze nehmen wie seine ungezählten, wirklich endgültigen Wetten, dass..?-Abschiede.

Es sind oft larmoyante Hits, die Gottschalk offenherzig zur aktuellen gesellschaftlichen Lage auflegt, nervig und feinnervig, selbstgerecht und selbstkritisch, aber mit einigen genauen Beobachtungen. Vor allem beklagt er noch einmal die ja allgemeine private und öffentliche Angst, etwas Falsches zu äußern – ein „Hat er das wirklich gesagt?“ als wichtigster Reflex in Debatten heutzutage. Seine Welt von gestern wird ein bisschen beschworen, aber auch nicht zu arg, eher wie auf dem Familiengeburtstag zu Hause. Nur eben völlig nehmen lassen möchte sich der Großvater diese Welt nicht.

Ein Höhepunkt auf dem Sofa, um im Duktus des Buches zu bleiben, gelingt ihm mit Marcel Reich-Ranicki und der selig vergessenen Porno-Darstellerin und -Produzentin Teresa Orlowski: Gottschalks anarchische Talkshows erinnerten bisweilen an manche Schlingensief-Momente. Umso treffender klingt seine scharfe Kritik am risikofreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk heute. Und das Buch sagt bereits die Erregung über den alten weißen Mann voraus, die jetzt natürlich schon erwartbar eingetreten ist. Der Profi Gottschalk hat mit seinen Hatern im Netz gerechnet, weil sie ihm sittenstreng Schub geben wie einst Kardinal Ratzinger, als der das lose Mundwerk des Moderators via Rundfunkrat vom bayrischen Mikro verbannen wollte.

Kritik an ihm wiederum, die ihn als peinlich und von gestern attackiert, kann Gottschalk locker und machtbewusst abperlen lassen, weil er in diesem Buch ja wieder virtuos den deutschen Mehrheitskünstler gibt: Er formuliert publikumsgewiss die gesellschaftlichen Entfremdungsgefühle, die wohl die stillen 80 Prozent der Deutschen über 60 Jahren heute so spüren mögen. Würdiges Altern, das heißt eben beim ewig quasselnden Gottschalk nicht stummes Abtreten mit Hörgerätewerbung, sondern robust-rüpelige Verteidigung seiner Generation. Und vielleicht ist diese Supernase sogar plötzlich Avantgarde, weil Friedrich Merz drauf und dran ist, mit dieser Mehrheit Kanzler zu werden. Ob es einem gefällt oder nicht: Seine Saalwette hat Thomas Gottschalk jedenfalls schon jetzt gewonnen.