Serie „Joan“ mit Sophie Turner für Magenta TV: Sie nannten sie die „Patin“

„Ich tue nicht immer das, was man mir sagt“, sagt Joan (Sophie Turner) in einer Szene des Sechsteilers „Joan“, „besonders, wenn ich eine bessere Idee habe.“ Wir befinden uns Mitte der Achtzigerjahre in einem Vorort von London, und Joan wird, vor allem von den Männern, die sie umgeben, ständig gesagt, was sie zu tun habe.

Meist sind dies idiotische, egoistische oder gar gefährliche Anweisungen, bei denen eine bessere Idee nicht schwer zu formulieren ist. Als ihr ein paar Gangster, mit denen ihr gewalttätiger Freund Gary (Nick Blood) sich eingelassen hat, zu Leibe rücken und nicht nur Joan, sondern auch ihre sechsjährige Tochter Kelly (Mia Millichamp-Long) bedrohen, entschließt sie sich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie flüchtet mit Kelly, gibt das Kind in die Obhut der Sozialbehörden und schwingt sich zu einer berüchtigten Figur der Londoner Unterwelt auf, die man dort schließlich als „Godmother“, die Patin, kennt.

Sophie Turner glänzt in der Rolle

Die britische Produktion „Joan“ erzählt den Aufstieg der Mittzwanzigerin, die als Opfer von Armut und männlicher Rage zur Kriminellen aufsteigt, nach der wahren Geschichte von Joan Hannington, die 2004 ihre Memoiren in dem Bestseller „I Am What I Am: Die wahre Geschichte von Englands berüchtigster Juwelendiebin“ aufschrieb. Die Serienschöpferin Anna Symon verwandelte diese Story in einen Sechsteiler, dessen zumindest erste zwei Episoden (mehr waren vorab nicht verfügbar) schnörkellos und mit ganzer Konzen­tration auf kaum eine Handvoll Hauptfiguren inszeniert sind .

Sophie Turner, die bereits in ihrer vielleicht bislang berühmtesten Rolle als Sansa Stark in „Game of Thrones“ die Launen und Erniedrigungen schrecklicher Männer erdulden musste, glänzt in der Rolle der Juwelendiebin, die teils talentierte Verbrecherin, teils Löwenmutter ist. In einer frühen Szene, in der Turner mit zerschlagenem Gesicht das Sozialamt verlässt, wo ihre kleine Tochter zurückbleiben muss, vermischen sich in ihrer Miene Schmerz und Wut und Entschlossenheit zur erschütternden Momentaufnahme einer Frau, die brutal in die Ecke gedrängt wurde und erkennt, dass es zur Befreiung daraus harter Maßnahmen bedarf.

Keine Stereotype der „starken Frau“

Aber Turners Joan besticht vor allem deswegen, weil sie die müden Stereotype der „starken Frau“ umschifft, die nur nach männlichem Vorbild Durchsetzungswillen demonstriert und ihre Kontrahenten mit der Härte ihrer Fäuste überrascht. Turner zeichnet vielmehr eine Frau unter Druck, deren Heidenangst im Angesicht brutaler Kerle ebenso spürbar ist wie ihre Schuldgefühle gegenüber ihrer kleinen Tochter, die sie in fremden Händen (aber zumindest in Sicherheit) zurücklassen muss. Als ihr die zuständige Sozialarbeiterin mitteilt, dass Kelly in ihrer Pflegefamilie „wirklich gut aufgehoben ist“, ist das für Joan ein Affront – und weiterer Ansporn, sich ein Leben aufzubauen, das sie auch Kelly zumuten kann.

„Joan“ ist bei aller Sympathie für seine Hauptfigur keineswegs ein Rührstück. Diese Frau hat durchaus ein Faible für Symbole des Wohlstands – hier: Pelzmäntel und teurer Schmuck, der richtige Dialekt und Flugreisen in den Süden. Turner ist in den zahlreichen verschiedenen Aufzügen, die die Arbeitskleidung ihrer Figur sind, eine Offenbarung; dem Kostümbild und der Maske gilt ebenso wie der Ausstattung dieser Serie ein Kompliment. Joan will vor allem eines: Unabhängigkeit. Und dazu werden ihr Jobs wie der im Friseursalon ihrer Schwester oder die in der Zeitung ausgeschriebenen Stellen für Putzkräfte und Barkeeper kaum verhelfen. Also schleicht sie sich unter dem Motto „fake it till you make it“ in die Juwelenbranche ein, wo ihr ein aufdringlicher Chef (Alex Blake) die Entscheidung zum Abzweig in eine kriminelle Laufbahn nur erleichtert.

Auch als sie den Antiquitätenhändler Boisie (Frank Dillane) kennenlernt und der sie unter seine Fittiche im Geschäft mit heißer Ware nimmt, wird Joan zu ihren eigenen Bedingungen seine Partnerin. Boisie erkennt in Joan nicht eine Mitarbeiterin, sondern eine Ebenbürtige. Bald verbindet sie mehr als das Berufliche. Ihre Beziehung zieht ihre Spannung vor allem aus der Frage, ob oder wie sehr sie einander vertrauen können.

Bisweilen greift „Joan“ zu arg in die Tasten. So sagt Joan in einer Szene Boisie auf den Kopf zu, dass sie nie wieder bloß Anhängsel eines Mannes sein wird, obwohl das längst glasklar ist, und manche ihrer Fehler wirken eher plakativ, als dass sie Facetten der Figur freilegen. Sophie Turner spielt Joan jedoch mit so viel Herz und Mut, und die Geschichte wird so dicht und ohne die im US-Serienfernsehen üblich gewordene Umschweife erzählt, dass man sich von diesem Kriminaldrama einfach gut unterhalten fühlt.

Die Serie Joan läuft bei Magenta TV.

Source: faz.net