Geflüchtete gen Lesbos: Die Baustelle dieser Schande

Zwischen Pinienbäumen und Kiefernwäldern, mitten im Herz von Lesbos, thront eine riesige Baustelle. Seit zwei Jahren wird hier schon gebaut, ein Ende lässt auf sich warten. 97 Millionen Euro hat die EU-Kommission bislang in das Projekt gesteckt. Es ist das teuerste und größte Lagerprojekt der Europäischen Union auf den Ägäischen Inseln. Ein Bauvorhaben, das eigentlich schon vor einem Jahr hätte fertiggestellt werden sollen.

Das Closed Controlled Access Center ist eines von fünf neuen Hochsicherheitslagern, das geordnete Registrierungen und ein schnelleres Verfahren fördern soll. Es ist das Vorzeigeprojekt einer neuen europäischen Migrationspolitik. Was es von Lagern wie Moria unterscheidet sind die strengen technischen Bedingungen: Überwachungskameras, Drehkreuze mit Chipcard-Zugang, Drohnen und Röntgenscanner. 2021 eröffnete auf der Nachbarinsel Samos die erste solcher Einrichtungen.

Doch der Bau stockt: Wegen des Widerstandes der Inselbewohner. Wegen Brandschutzbedenken. Wegen einer Klage am obersten Gericht von Griechenland. Auf Anfrage von ZEIT ONLINE schreibt das griechische Migrationsministerium jetzt, dass die
Bauarbeiten Ende des Jahres fertiggestellt sein sollen. Doch vor Sommer 2025 wird das Lager nicht eröffnen können, heißt es weiter. Der Bau der Zufahrts- und Fluchtwege sowie der Wasserentsalzungsanlage hinge von der Genehmigung der zuständigen Behörden ab, auf die das Ministerium keinen Einfluss habe.

Was hat es mit diesem Lager auf sich, das für die einen als „neues
Kapitel in der Migrationspolitik“ gilt – und für die anderen als Symbol einer europäischen Schaufensterpolitik, die Asylsuchende wie Kriminelle behandelt?

„Keine zweiten Morias“

„Das Problem ist, dass die Regierung die Bewohner nie in die Planung einbezogen hat“, sagt Michalis Bakas, Koordinator der ökologischen
Grünen auf Lesbos. Experten und Bewohner gleichermaßen fürchten sich vor schweren Auswirkungen für die Umwelt. Schon vor zwei Jahren sagte
Yiorgos Dinos, Vorsitzender der Feuerwehrgewerkschaft der Region, der Ort sei der denkbar schlechteste für ein solches Lager. Im Harz der Bäume könnten
sich leicht Feuer entzünden, die „die halbe Insel niederbrennen“ könnten. Die Zufahrtsstraßen, das Wassernetz, die Leitungen
für die Elektrizität im unerschlossenen Hinterland, all das würde sich durch ein
EU-Naturschutzgebiet schlängeln.

Michalis Bakas wartet auf eine
Entscheidung des obersten Gerichtshofs bezüglich einer laufenden Klage gegen das
Lager, weil es gegen Naturschutzauflagen verstößt. Das
griechische Migrationsministerium hatte damals die Bauarbeiten begonnen, ohne
zuvor eine Umweltverträglichkeitsstudie zu erstellen. Dadurch würde nicht nur
die Sicherheit der Menschen in dem Lager gefährdet, die im Fall eines Feuers
keine gesicherten Fluchtrouten hätten, sondern auch die der Inselbewohner. Ein Feuer wäre ein „Desaster“ in der Gegend, sagt Bakas.

Desaster gab es schon viele auf der Insel. Moria, das größte Flüchtlingslager in Europa, brannte im September 2020
bis auf seine Grundfeste ab. „Keine zweiten Morias“ dürfe es
mehr geben, hatte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zwei Wochen nach dem
Feuer vor dem EU-Parlament in Brüssel gewarnt. „Wir müssen nachhaltige Lösungen für die Migration finden, und wir alle müssen
mehr Verantwortung übernehmen“, sagte damals auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen
. Die EU-Kommission vereinbarte gemeinsam mit dem
griechischen Migrationsministerium ein Budget von 276 Millionen Euro, um fünf
neue Lager zu bauen. Eines davon auf Lesbos. 

Der Ort dafür könnte isolierter nicht sein. Am Wegrand ziehen kleine Steinformationen
vorbei, die an Stone-Hedge-Miniaturen erinnern. Nicht weit von hier beginnt der mit
30.000 Hektar größte Pinienwald der östlichen Ägäis. Eine Landschaft, in der
nur alle paar Kilometer ein Brettervorschlag für die Ziegen auftaucht. Das Telefonnetz bricht hier schnell zusammen. 

Das Ziel, das Lager weit entfernt von der Öffentlichkeit zu bauen,
wird rasch deutlich. Die Folge: Die zukünftigen Bewohner werden abgeschirmt sein, der Weg für humanitäre Helfer wird länger. Schon die grundsätzlichen Bedingungen der Hochsicherheitslager stehen oft in der Kritik. In vielen Lagern, wie auf der Nachbarinsel Samos, stecken immer wieder Menschen in willkürlichen Haftverhältnissen fest. Sie werden Berichten zufolge nach der Ankunft wochenlang nicht registriert oder geraten in Abschiebehaft, obwohl es bereits seit März 2020 keine Rückführungen mehr in die Türkei gibt. Einmal im Hafttrakt, können die Menschen das Gelände nicht mehr verlassen.