Berliner Theater: Ein Kanadier zeigt den Deutschen, wie es geht – WELT

Die Theater der Hauptstadt kämpfen gegen ein angekündigtes Sparprogramm. Die Zahl der Neuinszenierungen wird wohl reduziert. Das lässt jede einzelne Premiere noch existenzieller und wichtiger werden. Doch von zwei großen Berliner Bühnen nutzte jetzt nur eine ihre Chance.

Die neue Spielzeit beginnt mit großer Unsicherheit: Den Berliner Theatern drohen, wie der gesamten Kultur der Hauptstadt, drastische Kürzungen. Was im Gesamthaushalt nur ein kleiner Posten ist, nimmt das für die einzelnen Häuser – die bereits mit den Nachwirkungen der Corona-Maßnahmen und den Preissteigerungen zu kämpfen haben – bedrohliche Ausmaße an. Weil die Theaterleiter wie der Berliner Finanzsenator nicht einfach bei den festen Posten sparen können, kann nur bei den Neuproduktionen gekürzt werden. Und so wird das Problem an die weitergegeben, die in der sozialen Hierarchie am weitesten unten stehen: die vielen Künstler, die nicht angestellt sind.

Nun ist also die Krise in den Hauptstadttheatern nicht nur auf, sondern auch hinter der Bühne angekommen. Eifrig werden Unterschriften unter Protestschreiben gesammelt. Iris Laufenberg, die Intendantin des Deutsches Theaters Berlin, trat sogar zur Eröffnungspremiere persönlich vor das Publikum und bat um Unterstützung. So schlimm steht es also. Wie eine Parodie auf den Appell wirkte allerdings, was danach auf der Bühne zu sehen war. „Das Schiff der Träume (fährt einfach weiter)“, nach dem Filmklassiker von Federico Fellini, zeigt eindringlich die belanglose Selbstbespiegelung des Theaters. Das mag sogar kritisch gemeint sein, lässt einen aber ratlos zurück.

Dass die Inszenierung so banal ausfällt, liegt an einer dramaturgischen Entscheidung: Bei Fellini werden die dekadenten Diven durch den Einbruch der Realität aus ihren Träumen gerissen, die sie auf ihrem Luxusdampfer in nostalgischer Verklärung pflegen konnten. Auf dem Balkan, es ist das Jahr 1914, bricht der Weltkrieg aus und die illustre Gesellschaft wird durch die Ankunft der Flüchtlinge in ihren narzisstischen Ritualen gestört. Aus diesem Konflikt machte Karin Beier 2015 eine gefeierte Inszenierung, die mit starken Mitteln – sie brachte Flüchtlinge als Laiendarsteller auf die Bühne – diesen Realitätseinbruch in die Gegenwart holte. Daran konnte man sich kräftig reiben.

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Am Deutschen Theater fehlt jegliche Reibungsfläche, das Schiff fährt tatsächlich unbeeindruckt weiter, hinterlässt allerdings auch keinerlei Eindruck. Ein paar nette Albernheiten, ein paar schöne musikalische Momente, mehr ist nicht. Der Wirklichkeitsverlust des Theaters, auf der Bühne verdoppelt, ermüdet mehr als dass es anstachelt. Die Inszenierung selbst stand unter keinem guten Stern: Die Regisseurin Claudia Bauer musste, wie das Theater mitteilte, ihre Arbeit mitten in den Proben aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, es übernahm Anna Bergmann. Die beiden Regiestile sind im Endresultat noch erkennbar, das ist insgesamt nicht stimmig.

Es ist ein unglücklicher Start für das Deutsche Theater. Zudem mit „Die drei Leben der Hannah Arendt“ die nächste große Premiere bereits in die nächste Spielzeit verschoben wurde. Mit „Sonne und Beton“, nach dem erfolgreich verfilmten Bestseller von Felix Lobrecht, hat man zwar neu ein wunderbares Klassenzimmerstück im Repertoire – die Premiere war in einer Neuköllner Schule –, das deutlich wirklichkeitsnäher ist als der Theaterabgesang auf der Hauptbühne in Berlin-Mitte. Doch mit Blick auf das gesamte Programm knüpft das Deutsche Theater unmittelbar an die vergangene Spielzeit an, in der man den Erwartungen nicht wirklich gerecht werden konnte.

Das Gegenprogramm

Was die Berliner Schaubühne zur Eröffnung auf den Spielplan gesetzt hat, wirkt auf den ersten Blick wie das Gegenprogramm zum Deutschen Theater: kein Rückzug von der Wirklichkeit, sondern eine Großerzählung mit Deutungsanspruch. Der kanadische Regiestar Robert Lepage bringt mit „Glaube, Geld, Krieg, Liebe“ einen Vierteiler auf die Bühne, dessen Handlung 1945 beginnt und 2022 endet. Also grob gesagt von der mythischen „Stunde Null“ bis zur nicht weniger mythischen „Zeitenwende“. Das will vom eigenen Anspruch ein Panorama bundesrepublikanischer Geschichte sein, das ästhetisch näher am Filmmittwoch im ZDF als den Berliner Theatergepflogenheiten ist.

Lepage hat eine perfekt abgestimmte Theatermaschine geschaffen, in der – unterstützt von vier über der Bühne hängenden, drehbaren Bildschirmen – rasche Szenen- und Kostümwechsel durch das breit aufgefächerte Geschehen führen. Fünf Stunden, vier Geschichten, sieben Schauspieler, unzählige Rollen, das ist gut geöltes Erzähltheater, das in keinem Moment dem Bedürfnis nachgibt, sich selbst zum Thema zu machen. Der „International Style“ des Theatererzählens, nicht der Berliner Sonderweg. Mehr neuer Midcult, wie Moritz Baßler das für die Literatur beschrieben hat, als postmoderne Irritationsstrategien. Nicht sehr aufregend, aber doch deutlich wirklichkeitszugewandter.

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Wo die Fahrt des Traumschiffs durch keinerlei Inhalt unterbrochen wird, setzt Lepage auf debattentaugliche Themen: Es geht um Waisenkinder, altes Nazi-Geld und Spielsucht, posttraumatische Belastungsstörungen von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan und zuletzt – am stärksten erzählt – um ein schwules Paar mit Kinderwunsch und eine ukrainische Leihmutter, die plötzlich in die Wirren des Ukraine-Krieges geraten. Das erweist sich, so glatt und selten überraschend die Inszenierung auch ist, zumindest an einer Wirklichkeit außerhalb des Theaters interessiert. Und ohne dieses Interesse wird es für das Theater in Zukunft vermutlich schwierig werden.

Source: welt.de