Titanic: Nach 163 Jahren – droht jetzt dasjenige Ende jener Titanic-Werft? – WELT
Bei Harland & Wolff ging einst die legendäre Titanic vom Stapel. Seit über 20 Jahren wurde aber im nordirischen Belfast kein Schiff mehr gebaut. Jetzt befindet sich die Werft in ihrem zweiten Insolvenzverfahren binnen fünf Jahren – auf politische Unterstützung kann sie nicht mehr zählen.
Samson und Goliath heißen die beiden riesigen, gelben Kräne, die das Stadtbild von Belfast bestimmen. H&W steht in schwarzen Lettern auf den Brückenkränen, für Harland & Wolff. Hier in der Werft war 1911 die Titanic vom Stapel gelaufen, und in Nordirland waren dank eines wichtigen Auftrags für die Royal Navy die Hoffnungen groß, dass der Standort wieder anknüpfen könnte an die Historie als Schiffbauzentrum.
Doch fürs Erste sind diese Ambitionen erheblich gedämpft. Seit vergangener Woche befindet sich die traditionsreiche Werft im Insolvenzverfahren, zum zweiten Mal binnen fünf Jahren. Das würde zu einem Stellenabbau unter den Beschäftigten führen, wie H&W mitteilte. Genaue Zahlen nannte die Werft nicht.
Zuvor hatte die britische Regierung eine Kreditbürgschaft ausgeschlagen. Die insgesamt vier Werftbetriebe von H&W können während des laufenden Insolvenzverfahrens weiter arbeiten. Für sie soll rasch ein neuer Eigentümer gefunden werden.
Idealerweise soll der staatliche, spanische Werftenkonzern Navantia die Standorte übernehmen, darauf würden die zuständigen Minister nach Informationen der „Financial Times“ hinarbeiten. Navantia hat an den Aktivitäten in Belfast Interesse, weil die Spanier das Konsortium leiten, das vor zwei Jahren einen 1,6 Milliarden Pfund (1,9 Milliarden Euro) schweren Auftrag für den Bau von drei Logistikschiffen für die britische Marine erhalten hat. In den vergangenen Jahren hat H&W zudem eine Werft in Appledore im englischen Devon sowie zwei Standorte in Schottland gekauft.
Bei dem Auftrag konnte sich das Konsortium gegen die beiden etablierten Verteidigungskonzerne BAE Systems und Babcock durchsetzen, die Teil einer nationalen Schiffbaustrategie mit dem Ziel sind, Werftenkonzernen im Land auch mit Rüstungsaufträgen eine Zukunft im Land zu verschaffen. Mit dem Scheitern des 163 Jahre alten H&W-Konzerns hat auch dieser Ansatz einen Rückschlag erhalten.
Ein entscheidender Teil des Projekts wäre der erste Stapellauf eines Schiffes in Nordirland nach über zwei Jahrzehnten, der auch der darbenden Wirtschaft der Region im Norden der irischen Insel einen Schub hätte verleihen sollen.
Schon 2019 hatte H&W Insolvenz anmelden müssen, nachdem ein geplanter Verkauf durch den früheren Eigner aus dem norwegischen Schifffahrtskonzern Fred. Olsen & Co., gescheitert war. Schließlich bekam InfraStrata, ein kleiner britischer Anbieter von Energie- und Infrastrukturlösungen, den Zuschlag und richtete H&W auf ein Portfolio rund um Infrastruktur für erneuerbare Energie, aber auch Schiffsreparaturen aus. Das Geschäft wurde kontinuierlich ausgebaut. Im vergangenen Jahr konnte H&W die Umsätze auf 87 Millionen Pfund verdreifachen. Unter dem Strich stand ein Verlust, der mit 25 Millionen Pfund nur halb so groß ausfiel wie 2022.
Doch grundsätzlich sind „die Kosten deutlich schneller gestiegen als die Umsätze“, sagte Russell Downs, ein Restrukturierungsexperte, der im Sommer als Vorstandschef eingesetzt wurde. Deutlich gestiegene Stahlpreise fanden dabei genauso Niederschlag wie die rasant gestiegenen Finanzierungskosten des Unternehmens. Zudem war für H&W der Zugang zu Krediten immer schwieriger geworden.
Labour-Regierung hat sich gegen staatliche Kreditgarantie entschieden
Mit dem Regierungswechsel verlor H&W politische Unterstützung. Die konservative Vorgängerregierung unter Rishi Sunak hatte im Grundsatz einer staatlichen Kreditgarantie durch die staatliche Agentur UK Export Finance zugestimmt, um so günstigere Finanzierungskonditionen zu sichern. Die seit Juli regierende Labour-Regierung hat sich indes mit dem Verweis auf ein erhebliches Risiko des Verlusts von Steuergeldern gegen diesen Schritt entschieden.
„Wir sind nach sorgfältiger Prüfung der finanziellen Situation des Unternehmens überzeugt, dass zum jetzigen Zeitpunkt die beste Lösung für die Herausforderungen am Markt gefunden werden kann und bei einer Finanzierung mit öffentlichen Mitteln ein maßgebliches Risiko bestanden hätte, das Steuermittel verloren würden“, sagte ein Regierungssprecher.
Die besten Zeiten von H&W liegen Jahrzehnte zurück. In den Spitzenzeiten waren 20.000 Menschen auf der Werft beschäftigt, sie war der größte Arbeitgeber im einst industriell starken Nordirland.
Gegründet wurde das Unternehmen 1861 von Edward James Harland und dem gebürtigen Hamburger Gustav Wilhelm Wolff. Eine Reihe von Innovationen unter Harland, etwa die Verstärkung der Oberdecks mit Eisen anstelle von Holz und eine überarbeitete Form des Schiffskörpers für mehr Stauraum, verschafften der Werft einen erfolgreichen Start.
Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt H&W den Auftrag für drei Ozeandampfer der Olympic-Klasse: die Olympic, die Britannic und die Titanic. Letztere galt dank ihrer technischen Ausstattung als unsinkbar, ist aber auf der Jungfernfahrt über den Atlantik 1912 nach dem Zusammenstoß mit einem Eisberg gesunken.
Der Auftragslage von Harland & Wolff tat das Unglück indes keinen Abbruch. Schwierig wurde die Lage – wie für den Schiffbau in ganz Europa – erst ab den 1960er-Jahren, als die Nachfrage nach Ozeandampfern nachließ, gleichzeitig wurde der Wettbewerb aus Asien immer stärker. In diesem Umfeld wurde H&W 1975 verstaatlicht. Vierzehn Jahre später übernahm eine Gruppe um den norwegischen Industriellen Fred Olsen die Werft.
Die MV Anvil Point war 2003 das letzte Schiff, das in Belfast gebaut wurde. Ob H&W daran wie geplant anknüpfen kann, müssen die Verhandlungen in den kommenden Wochen zeigen. Interim-Vorstand Downs ist zuversichtlich, dass es weitergeht für H&W. „Wir haben ein überzeugendes Geschäftsmodell mit den Aufträgen, die wir aktuell bearbeiten und die wir künftig anpacken wollen.“ Ob gemeinsam oder jede alleine – die Werften hätten eine vielversprechende Zukunft.
Claudia Wanner schreibt für WELT vor allem über die britische Wirtschaft.
Source: welt.de