Postpartum Punk: Wie Mutterschaft die Kreativität entfesselt
Zwei extravagant gekleidete Frauen stehen an einem grauen Spätsommernachmittag auf der Bühne eines Straßenfestes in London und shouten den Text ihres neuen Songs Kiddy Ska Party, drei Musiker begleiten sie mit Schlagzeug, Gitarre und Bass: „I told you about my stitches / I told you about my stitches / Stop talking about my stitches / Stop talking about my stitches“, schreit die eine („Ich hab dir von meiner Naht erzählt / Hör auf, über meine Naht zu reden“). Vorn im Publikum gestikuliert ihre fast zweijährige Tochter in ihre Richtung, während ältere Typen mit Bier und junge Eltern mit Kinderwagen abwechselnd begeistert und amüsiert gucken. Mein eigener Sohn rennt irgendwo in der Nähe der Hähnchenbude auf und ab. Es herrscht schönes, exzentrisches Chaos.
Postpartum-Punk nennt sich das Ethos der Band Pushy Pushy Pushy, „zwei freshe Mütter und drei Sound-Candies“, so die Selbstbeschreibung. Leadsängerinnen Ania Poullain-Majchrzak und Florence Devereux machten schon Musik, bevor sie Kinder bekamen. Aber erst die Mutterschaft, sagen sie, habe sie kreativ befreit.
Ich treffe die beiden in einem Pub bei uns in Nordlondon. „Ich will ja nicht fluchen“, sagt Devereux mit einem verlegenen Grinsen, wie man es aufsetzt, wenn Kinder zuhören, „aber so vieles wird einem scheißegal. Wenn man Mutter wird, hat man weniger Nerv, sich um alles zu scheren. Also hat uns das irgendwie entfesselt.“
Mutterschaft ist keine künstlerische Nische
Angesichts all des Geschreis, der Körperflüssigkeiten und der langen Nächte ist es eigentlich eine Ironie, dass Punk und Mutterschaft nicht dafür bekannt sind, Hand in Hand zu gehen (obwohl Nico und Siouxsie and the Banshees Ausnahmesongs darüber schrieben und Patti Smith mit ihrer Tochter zusammenarbeitete). Aber im Allgemeinen kämpfen Frauen mit Kindern, wie auch in der bildenden Kunst, seit jeher darum, ernst genommen zu werden – obwohl jedes menschliche Leben auf diesem Planeten von einer Mutter geboren wurde, sodass Mutterschaft kaum die künstlerische Nische ist, als die sie dargestellt wird. Pushy Pushy Pushy hat es sich zur Aufgabe gemacht, Müttern in der Musikindustrie ihren Platz zu verschaffen, um diese Ungleichheit zu überwinden.
Poullain-Majchrzak sagt, sie habe sich früher selbst zensiert, aber nachdem sie ein Kind bekommen hatte, fühlte sie sich freier, „den Deckel zu lüften und es rauszulassen“. Ich kenne dieses Gefühl gut. Seit ich Mutter bin, kenne ich Momente, in denen ich in die Küche gehen und schreien will. Warum also nicht in ein Mikrofon? Der Verlust von Identität, Zeit, Schlaf und sozialem Leben kann einen wütend machen – aber einem auch das Gefühl geben, vor Kreativität zu bersten wie nie zuvor. „Nach einer Geburt verzweifelt man über die begrenzte Zeit, die man hat, um sich auszudrücken“, sagt Devereux. „Diese Verknappung bedeutet, dass man die Zeit umso mehr schätzt. Sie fokussiert unseren Geist, unsere Energie“, fügt Poullain-Majchrzak hinzu. „Man versucht verzweifelt, sich zu retten, weil man unter einem Haufen Windeln liegt.“
Pushy Pushy Pushy verweigert sich einer perfekten Vision von Mutterschaft und ist damit die Antithese zur Tradwife-Bewegung mit ihrer Fixierung auf Nestbau. Für einen Auftritt Anfang des Jahres stellte die Band einen Punk-Mutter-Chaos-Chor zusammen, den sie mit Postern an Kindercafés rekrutiert hatte, wo sonst Flyer für Stillgruppen ausliegen (was hätte ich für so ein Poster gegeben!). Sie träumen davon, eines Tages auf der Akropolis aufzutreten („An dem Tag, an dem ich in die Menopause komme“, heißt es in ihrem Lied Ciao Darwin), aber ihr nächster Plan ist erst mal, einen kinderfreundlichen Tourbus zu entwickeln.