Innere Sicherheit: Ich habe verknüpfen Traum

Während kein Tag vergeht, an dem das „Migrationsproblem“ beschworen wird, träume ich von innerer Sicherheit. Ich träume, dass Frauen keine Angst mehr haben. Dass sie sich nicht mehr verstecken und schämen müssen. Dass sie ihre Augen nicht senken, ihre Worte und Kleidung frei wählen können und im Dunkeln auf der Straße kein Schlüsselbund umklammern müssen. Ich habe einen Traum. Während mit Blick auf Geflüchtete „Grenzschließungen“, „Abschieben“ und „Abweisen“ ganz oben auf der Agenda stehen, träume ich davon, dass Gewalt gegen Frauen endlich abgewiesen wird, indem sie Prio eins erhält. Und höre, wie die Polit-Männer von „Fehlentwicklungen“ schwadronieren.

Die grandiose Fehlentwicklung ständiger Gewalt gegen Frauen ist so viel tiefer verankert, so viel zerstörerischer, betrifft so viel mehr Menschen und dauert schon so viel länger an, dass ich schreien will: Worüber redet ihr da draußen jetzt seit Wochen? Schlagt ihr, die ihr euch an die Brust schlagt für eure Härte gegen „irreguläre Migration“, auch im Stillen ganz regulär eure Frau? Oder wisst genau, dass es ein anderer tut? Kein Messermigrant, sondern ein Stefan oder Dieter, ein Leon oder Paul – einer, den ihr kennt? Es passiert ja jeden Tag, jede Stunde, vor euren Augen. Mit Worten, Fäusten, Messern, Hässlichkeiten, Ignoranz, Verächtlichkeit. Da rutscht nicht die Hand aus – das Ausrutschen gehört zum System.

Alltag für Frauen: bedroht, geschlagen, getötet von Männern

Jeden zweiten Tag wird aus der Gewalt tödlicher Ernst. Allein in Berlin starben an Männern im laufenden Jahr 28 Frauen. Jeden Tag werden Frauen geschlagen, bedroht, an die Sorgearbeit gefesselt, zum Kaffeemachen in die Büroküche geschickt, mundtot gemacht und beschämt. Sie werden gefangen gehalten in der Vorstellung, wie eine Frau zu sein hat: lieb, Mutter, gut im Bett, großbusig, glatthäutig undsoweiter. Jeden Tag geben Frauen wahnsinnig viel Zeit und Geld aus, um diesem Frauenbild zu entsprechen. Jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde wird ihnen eingeredet, dass sie es doch selbst wollen: die „Männlichkeit“ ihrer Männer, das Zuhausebleibenmüssen wegen der Kinder, die Lohnschere, die „weiblichen“ Klamotten.

Diese vernichtende Ungerechtigkeit, immer noch, nach Jahrzehnten des Kampfes und des Hinnehmens, pflanzt sich fort. Die Frau ist immer noch nicht frei, so wenig wie der Mann. Sie bleiben in Ketten der Zuschreibungen, bleiben in Gewaltspiralen. Der Mann, lernt er, muss Macht ausüben, um ernst genommen zu werden. Die Frau, lernt sie, muss ihm dabei helfen, muss sich unterwerfen. Wenn sie sich wehrt, muss er sie unterwerfen – Ehrensache. Das Unterwerfen endet oft tödlich. Und immer, wenn Kinder im Haus sind, erben sie Gewalt fürs Leben. Gewalt zeugt Gewalt. Macht macht blöd.

Nationaler Notstand: Frauenhäuser sind voll

Während Politik und Medien sich nicht mehr einkriegen nach dem Attentat in Solingen, kümmern niemanden die vielen Attentate auf Frauen. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, in jedem Land auf der Welt, auch bei uns. Werden Frauen attackiert, weil sie Frauen sind. Von Männern, weil sie Männer sind. Jeden Tag werden Grundrechte verletzt, kommen Menschen in Gefahr, werden Fäuste geschwungen, werden Messer gezückt, bleiben Frauenhausplätze knapp.

Während die Aufnahmezentren für Geflüchtete halb leer sind und Politiker wie Friedrich Merz trotzdem einen „nationalen Notstand“ herbeihyperventilieren, um die Grenzen legal schließen zu können, überschreiten Männer täglich die Grenzen von Frauen. Es gibt einen alltäglichen Notstand der Qual. Interessiert nur niemanden. Sind ja nur Frauen, ist ja vermeintlich privat. Und sind ja Männer aller Herkünfte, die Gewalt ausüben, nicht nur die mit Migrationshintergrund. Weiße, biodeutsche, ganz normale Männergewalt lässt sich im Wahlkampf nicht ausschlachten. Also schauen alle zu, wie Männer Frauen abschlachten. In den kurzen Meldungen ist höchstens leise von „Femizid“ die Rede, und sehr laut von „Beziehungstat“ oder Verletzung aus „Liebe“. Liebe!

Dies ist nicht die Zeit, sich den Luxus der Beschwichtigung zu gönnen, das Beruhigungsmittel des „Wird schon“ zu verabreichen. Es ist Zeit, echte Gleichberechtigung zu fordern, jeden Tag, jede Stunde, sie zu verwirklichen, auch im privaten Raum, in der Beziehung, in den verdammten eigenen vier Wänden, in denen sich so viele Frauen ihres Lebens nicht sicher fühlen. Es ist jetzt die Zeit, sich aus dem dunklen und trostlosen Tal der Gewalt gegen Frauen zu erheben. Es ist jetzt die Zeit, die ständigen Gewalttaten zu ächten, Frauen zu stärken, sie und ihre Kinder zu schützen, und Männern aus der Gewaltspirale zu helfen.

Es gibt diejenigen, die Frauen fragen: „Wann werdet ihr zufrieden sein?“ Aber wie sollen sie zufrieden sein, solange die Frau zum Opfer gemacht wird? Solange ihr Körper, schwer von Müdigkeit und Überlastung, benutzt, ausgebeutet, entfremdet und misshandelt wird? Solange ihre Bedürfnisse lächerlich gemacht und sie selbst für verrückt erklärt wird? Solange sie eingesperrt bleibt in toxische Vorstellungen von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ und „Liebe“ und „Mutterschaft“?

Wir haben ein Problem mit Männergewalt, Herr Merz, Herr Lindner, Frau Faeser!

Ich habe einen Traum: dass keiner mehr wegguckt. Dass kein Kind alleingelassen wird mit Schmerz und Schuld und Todesangst im Haus. Dass keine Frau bei einem Mann bleiben muss, aus Furcht, verfolgt und ermordet zu werden. Dass kein Mann mehr glaubt, zuschlagen zu müssen, um ein Mann zu sein, mit Worten oder Händen oder Gleichgültigkeit.

Ich habe einen Traum: dass das ganze Land darüber nachdenkt, wie wir die Grenzen zur Gewalt schließen. Wie wir sie abweisen, die patriarchale Unkultur, bevor sie eindringt in unsere Gehirne, in unsere Seelen, in unsere Häuser, in unsere Körper. Ich habe einen Traum, dass Politiker sagen: „Wir haben ein Patriarchatsproblem“ oder „Wir haben ein Problem mit Männergewalt“. Wir! Männer! Ich träume davon, dass die Gesellschaft endlich die Prioritäten erkennt: Das „Migrationsproblem“ ist klitzeklein im Vergleich zum Männergewaltproblem. Hier braucht es tatsächlich „Kontrolle“ und „Konsequenz“, Herr Christian Lindner!, Herr Marco Buschmann, Frau Nancy Faeser, Herr Bundeskanzler.

Ich habe einen Traum: dass Frauen sich gegenseitig nicht zusätzlich das Leben schwer machen, sondern Schwestern werden im Kampf um sich selbst. Dass Männer ihre Brüder werden. Dass es Freude gibt, und Lust, mit Männern und ohne Männer, mit Kindern und ohne Kinder, mit dunkler und mit heller Haut, mit sogenannten Behinderungen, mit allen Geschlechtern, mit Dummen und mit Klugen, mit Alten, mit Jungen, mit Professorinnen, Handwerksleuten und Putzmännern, mit Gott und ohne Gott. Ich habe einen Traum, dass jeder Mensch gleich viel wert ist und nie auf die Idee käme, eine Frau unterdrücken zu müssen, um sich wertvoll zu fühlen. Dass innere Sicherheit bedeutet, geborgen zu sein.

Ich habe einen Traum, dass deutsche Männer es nicht mehr nötig haben, gegen Männer aus anderen Ländern zu polarisieren. Dass es nicht mehr als „führungsschwach“ gilt, sich um andere zu kümmern, Geflüchtete, Benachteiligte, Kinder. Ich habe einen Traum, dass keiner mehr glaubt, was falsch abgebogene Männer denken. Dass sie irgendwann umkehren, weil es sich besser anfühlt, Mensch zu sein als Arschloch. Ich habe einen Traum, dass Frauen und Männer zusammenleben, nicht gegeneinander. Ich habe einen Traum, dass jede Gewalttat zur Vertrauensfrage gegen die Regierung wird, zu Gewaltgipfeln führt, zu erregten Grenzdebatten und aufregenden Talkshows zur Frage: Wie sicher ist Deutschland für Frauen?

Ich habe einen Traum.