„The Soul Station“ im Kontext welcher Berlin Art Week: Zocken in welcher Halle am Berghain
Ein Amphitheater in der Halle am Berghain. In der Mitte steht ein Gaming-Sofa mit einer Art Lenkrad und einem Tablet, ein runder Screen davor, dessen Licht die Halle erleuchtet. Wir spielen ein Computerspiel, sollen mit Charakteren in Kommunikation treten, was bedeutet, dass sie uns etwas erzählen. Wir lauschen ihren Gesprächen und Gedanken in den letzten Momenten ihres Lebens, heißt es im Begleittext zum ersten Teil der Ausstellung The Soul Station. Zum Beispiel sprechen die Figuren in diesem Spiel über ihren Wunsch, einen anderen Körper zu bekommen. Wir steuern durch Räume, deren Wände Botschaften haben. Das Ganze spielt in einer Parallelgesellschaft, in der nach einer Revolution gegen die globale Sklaverei die Herren gestürzt wurden (warum die Charaktere dann doch ihre letzten Momente erleben, wird nicht ganz klar). Außen auf den Rängen sitzen die anderen Zuschauerinnen und Zuschauer und sollen den Spielenden helfen, und zwar dann, wenn Fragen zur Abstimmung gestellt werden. Etwa ob ein transfeindlicher Arzt weiter seinen Beruf ausüben sollte oder ob man ihn canceln sollte und ob man sich in einer Partnerschaft für sein Gegenüber traumatisieren lassen sollte. Wie man abstimmt, ist öffentlich sichtbar.
You Can’t Hide Anything heißt dieses Computerspiel, entwickelt von der in Berlin lebenden Künstlerin Danielle Brathwaite-Shirley, die Videospiele als Kunstwerke schafft. Spielen konnte man es bis 1. September, im Rahmen des nach diesem Computerspiel betitelten ersten Teils ihrer Ausstellung The Soul Station. Der zweite Teil eröffnet nun unter dem Titel Are You Soulless, Too? zur Art Week.
Mit diesen Videospielen schafft die Künstlerin virtuelle Welten, die das Leben Schwarzer trans Personen beschreiben, mit denen sie aber auch „Folgen individueller Entscheidungen für Marginalisierungsprozesse“ erforschen will. Ihre Ästhetik ist nicht hyperreal, es sind weltferne Räume, die für die Betrachterinnen und Betrachter auch zu einem Safe Space werden können. Wahrscheinlich.
Sind die Spielenden gut genug?
The Soul Station von Danielle Brathwaite-Shirley ist die dritte Ausstellung der LAS Art Foundation in der Halle am Berghain. Es ist eine Auftragsarbeit für die Foundation, die sich auf die Förderung des Austauschs zwischen Kunst, Technologie und Wissenschaft spezialisiert hat. Neben dem oben beschriebenen Spiel gab es im ersten Teil der Ausstellung auch „Soul Stations“, an denen der eigene „Seelencode“ (bekam man personalisiert am Eingang) eingegeben und die Seele laut den Screens hochgeladen und gescannt werden sollte. Um dann durch Fragen und Entschlüsselungen die Seele zu reinigen. „Deine Seele braucht eine gründliche Reinigung“, hieß es, oder: „Alles, was du je getan hast / ist in deiner Seele gespeichert / jeder Gedanke / jedes Gefühl / jedes Scheitern / jedes Begehren / jede Handlung / (…) / Sieh, wie du wirklich bist / (…) / Es ist nicht zu spät / dich zu ändern“. Und wer genug Zeit mitbrachte, hatte in einem weiteren Bereich der Halle die Möglichkeit, ältere Arbeiten von Brathwaite-Shirley zu spielen. Sie heißen Pirating Blackness, No Space for Redemption oder Into the Storm. In denen geht es etwa darum, sich gegen Ausgrenzung durch Behörden zu wehren, in öffentlichen Räumen nach Schutz zu suchen oder sich auf die Spuren des transatlantischen Sklavenhandels zu begeben. Zollbeamten kontrollieren Pässe, wir als Spielende haben es in der Hand, ob die kontrollierte Mutter und ihr Kind überleben. Mit wenigen Knöpfen müssen wir entscheiden, wer Gewalt erfährt. Hier wird also die Moralkeule geschwungen. Sind die Spielenden gut genug? Ist ihre Seele rein? Treffen sie die richtigen Entscheidungen, um genug Menschen zu retten? Und was wiegt schwerer, die eigenen Grenzen oder die Bedürfnisse des Gegenübers?
„The Soul Station“ im Berliner Berghain
Abb.: Danielle Brathwaite Shirley/LAS Art Foundation
Die Welten, die wir nun in der zweiten Folge der Ausstellung in der Halle sehen und bespielen, wirken ähnlich wie die im ersten Teil, aber das Lichtkonzept ist geändert, und wir bekommen einen Blick hinter die Kulissen des ersten Spiels, indem wir die echten Menschen und ihre Diskussionen kennenlernen, die You Can’t Hide Anything inspiriert haben. Auf dem großen Screen vor dem Amphitheater wird also die Weiterentwicklung dieses Spiels gespielt. Diesmal verfolgt das Publikum die Gespräche einer neuen Gruppe von Charakteren. Sie sind von einem unbekannten Planeten migriert und haben unterschiedliche Ideologien mitgebracht, die sie in Gesprächen reflektieren und diskutieren.
Pädagogisch wertvolles Zocken
Wie in der ersten Folge der Ausstellung sollen gemeinsame Erfahrungen gemacht werden: „Nur in einer Gruppe von Menschen besteht vielleicht die Möglichkeit, etwas zu ändern“, so die Künstlerin. Das klappt beim Besuch noch nicht so ganz, weil die Besucherinnen und Besucher etwas zu schüchtern oder auch zu ungeduldig sind, um gemeinsam zu spielen oder miteinander zu sprechen. Das Zusammenspiel soll im zweiten Teil mehr gefördert werden. Doch hier verändert sich die Dynamik zwischen den Spielenden, denn es wird nicht mehr für ein gemeinsames Ziel gekämpft.
Auch sind im zweiten Teil wieder ältere Spiele von Danielle Brathwaite-Shirley zu sehen und zu spielen. In Get Home Safe geht es darum, eine Person in einer dunklen Stadt nach Hause zu begleiten, um sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden und solidarisches Handeln zu üben. In einem anderen Spiel – She Keeps Me Damn Alive – geht es um Narrative Schwarzer trans Identitäten oder psychologische Bedingungen von (Selbst-)Verteidigung.
Garantiert pädagogisch wertvolles Zocken also. Und für die, denen das in Sachen Bildungsarbeit noch nicht genug ist, hat das Kuratorinnenteam um Mawena Yehouessi noch ein Begleitprogramm vorbereitet, das sich im zweiten Teil vor allem an BIPoC, queere Jugendliche und junge Erwachsene richtet, die sich dort mit „Kreativität als Tool für Selbstermächtigung und kollektives Empowerment“ beschäftigen können.
Danielle Brathwaite-Shirley. The Soul Station, Teil 2: Are You Soulless, Too? LAS Art Foundation 13. September bis 13. Oktober 2024