Frankreich: Keine Festtage welcher Demokratie
Emmanuel Macron muss nach der für ihn verunglückten Parlamentswahl Anfang Juli die Macht teilen. Freilich will er das nur dem rechtsnationalen Rassemblement National (RN) zugestehen, nicht der linken Volksfront. Während in Deutschland nach den Landtagswahlen in zwei Bundesländern Ost kollektive Hysterie herrscht, waltet im Frankreich Macrons kühler Hochmut – Erkenntnisse über den Zustand einer präsidialen Demokratie inklusive. Sie als simulierte Volksherrschaft zu beschreiben, ist angebracht, aber zu zaghaft formuliert. Der designierte Premier Michel Barnier kommt aus der 6,5-Prozent-Partei Les Républicains (LR), die in der Nationalversammlung lediglich über 47 von 577 Mandaten verfügt. Was empfiehlt ihn?
Dass er als Konservativer sozialen Konzessionen wie einer Reform der verhassten Rentenreform wenig zugetan ist? Oder als Anwalt einer harten Migrationspolitik die Gewähr dafür bietet, dass der RN ihn nicht stürzt, sondern stützt? Marine Le Pen lässt wissen, sie werde die Regierungserklärung Barniers abwarten und sich dann entscheiden, wie mit ihm zu verfahren ist. Allerdings steht sie viel zu sehr unter dem selbst auferlegten Zwang, nationale Verantwortung als präsidiales Format vorzuführen, als dass sie den Rückzug in eine komfortable Fundamentalopposition riskieren könnte.
Paradigmenwechsel
Diese Regierungsbildung enthält vor allem eine paradigmatische Botschaft: Man übergeht das Ergebnis von Wahlen und den Willen des Souveräns, sobald der auf eine Umverteilung von politischer Macht hinausläuft und vorhandene Machtgebäude erschüttert, die offenkundig als elektorale Erbhöfe gelten. Wahlen als Geschäftsgrundlage der repräsentativen Demokratie werden zu anrüchigen Vorgängen, sobald die Falschen gewinnen. In Frankreich war das der Fall, als neun Millionen Franzosen der Volksfront zum Sieg verhalfen und ihr als Linksallianz den Regierungsauftrag erteilten. Der wird für null und nichtig erklärt, auch wenn Barnier beteuert, er wolle alle Lager in seinem Kabinett abbilden. Bestenfalls kooperationswillige Sozialisten werden das annehmen. Sollten die Linksparteien stattdessen versuchen, im Parlament eine Mehrheit zu finden, um ihm das Vertrauen zu entziehen, dürfte das an der Fraktion Marine Le Pens scheitern. Eine informelle Kohabitation zwischen dem Élysée und der Rechtsaußen-Partei hätte sich bewährt, die Volksfront wäre vom Wahlgewinner zum Verlierer herabgestuft. Verheerender kann der Umgang mit demokratischen Standards und Wählererwartungen kaum sein.
Bereits vor der Präsidentenwahl 2017 tauchten in Paris Graffitis mit der Formel auf: Macron 2017 = Le Pen 2022, der Vorahnung geschuldet, dass Macron der Wegbereiter eines Rassemblement National in Regierungsverantwortung oder -teilhabe sein könnte. Dies reflektierte gegebene Kräfteverhältnisse, aber ebenso das Interesse, den neoliberalen Umbau des Landes mit der Ultrarechten als Machtreserve fortzusetzen.
Sieben Jahre später ist daraus Gewissheit geworden. Die Missachtung von politischer Willensbildung braucht den autoritären Staat und eine ebensolche Amtsführung. Alle, die in Verkennung historischer Tatbestände einen „neuen Faschismus“ heraufziehen sehen, sollten sich eher fragen, auf wen die demokratieabstinente Veranlagung eines politischen Systems inzwischen so alles zählen kann. Das ist gewiss keine neue Erfahrung. Neu ist, dass rechtsextreme Parteien auf der Schwelle zum Regieren wissen, worauf sie bauen können, um mit der Demontage von Demokratie voranzukommen. Wenn sie das denn wollen – und brauchen.