Die Gewinner beim Filmfestival Venedig 2024: Von Löwen und Welpen

Nun hat er endlich einen Preis! Seit 44 Jahren macht Pedro Almodóvar Filme und hat sich vom Wunderknaben des queeren Underground Madrids der frühen 1980er zu Spaniens renommiertestem Regisseur entwickelt, weltweit gefeiert vor allem für seine Frauen-Melodramen. Auch auf den großen Filmfestivals. Doch ein Hauptpreis war ihm bislang verwehrt. Vergangenen Samstag nun erhielt sein neues Werk, das Sterbehilfedrama The Room Next Door, den Goldenen Löwen des Filmfestivals in Venedig. Eine späte Wiedergutmachung, mit der die Jury um Präsidentin Isabelle Huppert den Altmeister würdigt, der am 25. September 75 Jahre alt wird. Es ist auch der erste Löwe für das spanische Kino, obwohl die Adaption des Sigrid-Nunez-Romans Was fehlt dir mit Julianne Moore und Tilda Swinton in den Hauptrollen Almodóvars ersten englischsprachigen Langfilm darstellt.

Damit ging am Samstagabend die 81. Ausgabe des ältesten Filmfestivals der Welt zu Ende. Die Entscheidungen trugen deutlich die Handschrift von Huppert, gleich zwei Schauspielpreise gingen an französische Kollegen. Die Coppa Volpi für den besten Hauptdarsteller erhielt Vincent Lindon als verwitweter Vater in dem durchwachsenen Drama Jouer avec le feu, wo er nicht verhindern kann, dass einer seiner Söhne in rechtsradikale Kreise abrutscht. Als bester Schauspielnachwuchs wurde der 22-jährige Paul Kircher im Jugenddrama Leurs enfants après eux ausgezeichnet. Nicole Kidman erhielt für ihre Rolle im Erotikdrama Babygirl den Darstellerinnenpreis.

Einer der Kritikerfavoriten des Festivals, Brady Corbets Künstlermigranten-Epos The Brutalist über einen jüdischen Architekten, erhielt den Regiepreis. Den Spezialpreis vergab die Jury sehr verdient an das georgische Drama April der 38-jährigen Dea Kulumbegashvili, die sehr eigenwillig und ästhetisch streng von einer jungen Ärztin erzählt, die in der Provinz heimlich Schwangerschaftsabbrüche durchführt und mit den patriarchalen Strukturen Georgiens in Konflikt gerät.

Die Namen von morgen

Den Schatten der Vergangenheit Brasiliens widmet sich I’m Still Here von Walter Salles, der von einer Frau und Mutter handelt, deren Mann in der Haft „verschwindet“. Fernanda Torres ist eine Wucht in der Rolle und wäre mehr als preiswürdig gewesen, ausgezeichnet wurde der Film immerhin für sein exzellentes Drehbuch.

Leer ausgegangen ist dagegen Queer von Luca Guadagnino, eine kongeniale Adaption nach William S. Burroughs, in der Daniel Craig den schwulen Junkie spielt, der in Mexiko nach Liebe und Entgrenzung sucht. Wie Guadagnino Begehren und Einsamkeit inszeniert und auch für den Drogentrip neue, berührende Bilder findet, macht Queer zu einem der Highlights dieser Ausgabe. Als große Enttäuschung des Festivals erwies sich dagegen Todd Phillips’ Joker-Fortsetzung. Joker. Folie à Deux ist über weite Strecken als Musical inszeniert, neben Joaquin Phoenix spielt Lady Gaga die psychotische Pyromanin Harley Quinn und macht die angeblich 200 Millionen teure Produktion zu ihrer Show, der Phillips wenig entgegenzusetzen weiß.

Etliche Entdeckungen ließen sich in den Nebensektionen machen. In The Witness von Nader Saeivar, einem der wichtigsten oppositionellen Filmemacher im Iran, der das Drehbuch gemeinsam mit Jafar Panahi geschrieben hat, wird eine ältere Frau Zeugin, wie ein Regierungsmitarbeiter seine Ehefrau ermordet. Das heimlich in Teheran gedrehte Drama seziert packend und präzise, wie die Tat vertuscht werden soll und sie für die Wahrheit kämpft, gegen alle Bedrohungen durch das Regime.

In Dani Rosenbergs Dokudrama Of Dogs and Men ist eine 16-Jährige auf der Suche nach ihrem Hund, der seit dem Massaker der Hamas verschwunden ist. Rosenberg drehte nur wenige Wochen nach dem 7. Oktober im Kibbuz Nir Oz, in dem zahlreiche Bewohner ermordet oder entführt wurden, und improvisiert dabei Begegnungen mit Überlebenden, die sich selbst spielen. Ein eindringliches Zeitzeugnis über das Leid und Traumata israelischer Zivilisten, die in der gegenwärtigen Berichterstattung kaum vorkommen. Und in The New Year that Never Came widmet sich der Rumäne Bogdan Mureșanu dem 20. Dezember 1989, als das Ceaușescu-Regime durch Studentenproteste kurz vor dem Kollaps steht. Sein intensives Panorama des Umbruchs wurde am Ende als bester Film der Orizzonti-Sektion ausgezeichnet. Das sind die neuen, aufregenden Stimmen des Weltkinos, von denen noch zu hören sein wird.

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