Kneipensterben: Leitungswasser, harte Drogen – sind dasjenige die Clubs jener Zukunft?
Es ist gleichermaßen spannend wie unheilvoll, sich vorzustellen, wie die Menschheit in Zukunft einmal auf unsere, die gegenwärtige Epoche blicken wird. In was für einer Zeit befinden wir uns? Häufen sich Krisen und Kriege gerade, wird’s noch mal besser? Zerbricht der Kapitalismus vielleicht irgendwann an seinen inneren Widersprüchen, wie Marx prophezeite, oder haben wir noch Hunderte Jahre ausbeuterische Moderne vor uns?
Wie auch immer unsere Gegenwart einmal gedeutet werden wird, eine Sache lässt sich schon jetzt recht schwer von der Hand weisen: Das 21. Jahrhundert ist eines der fortschreitenden Vereinzelung. Nur ein Indiz von etlichen: 20.000 Eckkneipen gab es in den 1970er Jahren in Berlin, jetzt sind es noch knapp 500. Öffentliche Orte als Begegnungsfundament einer Stadt scheinen zunehmend eine Idee von vorgestern zu werden.
Die Liste an Gründen für das Verschwinden von Clubs und Kneipen liest sich oft gleich: Verdrängung, hohe Mieten, Lärmbeschwerden, wachsende Betriebskosten, zunehmender Konkurrenzdruck. Jüngst betraf das auch den bekannten Hamburger Club „Hafenklang“. Schon einmal, in den 1990ern, wurde er dank Protesten erfolgreich vorm Abriss bewahrt. Nun bat der Laden erneut um Hilfe: 160.000 Euro werden benötigt, um dringend notwendige Instandsetzungen zu ermöglichen. Als diese Kolumne geschrieben wurde, stand die Spendenkampagne bei knapp 156.000 Euro. Es sieht also danach aus, als würde alles gut werden.
Die Krisen ruinieren die Feierlaune
Allerdings: Solche Spendenaufrufe von Clubs und Kneipen gab es in jüngster Zeit etliche, nicht nur in den Partyhauptstädten. Warum? Von einem „radikal veränderten Ausgehverhalten nach der Pandemie“ ist im Spendenaufruf vom „Hafenklang“ die Rede. Diese Formulierung ist neu, taucht aber immer öfter auf: Vom „Salon Hansen“ in Lüneburg über das „objekt klein a“ in Dresden bis hin zum „About Blank“ in Berlin – all diese Clubs nennen ein „verändertes Ausgehverhalten“ als Grund für ihre finanzielle Notlage. Seltsam: Sollte nach den Corona-Jahren mit stark reduziertem Vergnügungsangebot nicht eigentlich die große Ausgeh-Renaissance folgen?
Offenbar nicht. Von „schlechter Energie“ sprach etwa der Veranstalter einer bekannten Party-Reihe in Augsburg – die Feierlaune leide unter den bedrückenden Weltnachrichten. Und: Selbst wenn sie gut gelaunt sind, bleiben insbesondere junge Menschen immer öfter zu Hause. Anfang dieses Jahres befand das etwa eine unter 13.000 Personen in 30 Ländern durchgeführte Befragung der Medienagentur Havas. Statt in den Club oder in die Bar zu gehen, verlegen insbesondere Jugendliche die Party nach Hause oder an öffentliche Orte. Das Bedürfnis nach Geselligkeit und Dating lässt sich in sozialen Netzwerken befriedigen. Laute Musik schafft jede günstige Bluetooth-Box.
Nun wird es anekdotisch, aber auch das fügt sich in ein Gesamtbild ein: Vor ein paar Monaten klagte mir gegenüber die Mitarbeiterin eines Berliner Technoclubs darüber, dass selbst die Gäste, die noch kommen, kaum Geld dalassen. Statt zu trinken, konsumierten immer mehr Menschen harte Drogen. Die bringen sie natürlich mit – und begnügen sich dann vor Ort mit Leitungswasser. Das ist schlecht für jeden Laden, dessen finanzielles Fundament nicht allein auf Eintrittspreisen beruht – also für so ziemlich jeden.
Vielleicht sind das noch die Nachwehen der Corona-Jahre, vielleicht nur ein vorübergehender Trend, eine Laune, die wieder besser werden kann oder aus der etwas gänzlich ungeahntes Neues erwächst. Vielleicht wird man aber auch einmal sagen: Das war der Anfang vom Ende dessen, was einmal „Nachtleben“ hieß. Es wäre gleichermaßen spannend wie unheilvoll, sich das vorzustellen.