Wahl in Großbritannien: Britische Medien sollen solange bis Wahlende Nachrichtensperre einhalten


  • Rund 50 Millionen Wahlberechtigte, 650 Sitze im Parlament, 4.515 Kandidierende: Bei der Wahl in Großbritannien entscheidet sich die Zusammensetzung des Unterhauses und damit indirekt auch die Frage, welche Partei künftig den Premierminister stellt. Die Wahllokale schließen um 22 Uhr Ortszeit (23 Uhr MESZ).
  • Dem Amtsinhaber Rishi Sunak und seiner konservativen Partei, den Torys, stehen aktuellen Umfragen zufolge herbe Verluste ins Haus. Alles deutet darauf hin, dass die Labour Party mit ihrem Spitzenkandidaten Keir Starmer stärkste Kraft wird.
  • Hintergrundinformationen und Nachrichten zur Wahl finden Sie auf unserer Großbritannien-Themenseite.
  • Neben eigenen Recherchen verwenden wir Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, AP, KNA und Reuters.
hier von einschlägigen Museumsfachleuten gewürdigt). Im britischen Wahlkampf war für allerlei bunte Einlagen diesmal Ed Davey zuständig, Chef der Liberal Democrats.

Vom britischen Wahlsystem werden die LibDems und andere kleinere Parteien chronisch benachteiligt, Wahlkämpfer Davey ließ sich davon nicht ausbremsen. Was hinter seinen Aktionen – einschließlich gescheitertem Versuch als Stand-up-Paddler – an politischen Konzepten steckt, hat Bettina Schulz hier analysiert.

Lesen Sie hier mehr dazu:

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Ein letzter Showdown

Eine Woche ist es her, dass sich Rishi Sunak und Keir Starmer in ihrem letzten TV-Duell gegenüberstanden. Solange wir hier auf die Schließung der Wahllokale um 23 Uhr warten, lohnt es sich, noch mal einen Blick auf diese Analyse meines Kollegen Jochen Bittner zu werfen. Er erlebte den mutmaßlichen Wahlverlierer "mit kaum verständlicher Stärke und den mutmaßlichen Gewinner, Keir Starmer, mit schwer begreiflicher Schwäche".

Die ganze Analyse lesen Sie hier:

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Von Umfragen und Ex-Frauen

"Mit Umfragen ist es wie mit Ex-Frauen", philosophierte unlängst der britische Komiker Andy Zaltzman: "Sie sind keine besonders verlässliche Quelle, aber wenn zehn von ihnen dasselbe sagen, dann könnte was dran sein."

Tatsächlich kommen aktuelle Umfragen unter britischen Wahlberechtigten im Kern zum selben Ergebnis: Für Labour wollen demnach rund 39 Prozent stimmen, für die Konservativen rund 21 Prozent. Wer sich die Zahlen genauer ansehen will: Die BBC zeigt hier gebündelt die Ergebnisse aller relevanten Wahlumfragen im Vergleich.

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Wie sähe ein Kabinett Starmer aus?

Wer bei einem Laboursieg der nächste Premierminister werden soll, steht fest: Keir Starmer ist eine bekannte Größe. Damit auch sonst niemand die Katze im Sack wählen muss, ist es in Großbritannien üblich, dass die jeweils größte Oppositionspartei ein Schattenkabinett aufstellt – und das nicht erst im Wahlkampf, sondern immer direkt zu Beginn einer Legislaturperiode.

So hat jedes Regierungsmitglied ein Oppositionsgegenstück, und die Wählerinnen und Wähler können absehen, wer nach einem Regierungswechsel das jeweilige Ministerium übernehmen soll. Zu den prominenten Namen in Starmers shadow cabinet gehören: 

  • die zur Parteilinken gehörende stellvertretende Labourvorsitzende Angela Rayner als Vizepremierministerin.
  • Rachel Reeves für das Finanzministerium – die Wirtschaftswissenschaftlerin wäre die erste Frau an seiner Spitze. 
  • der Jurist und Trump-Kritiker David Lammy als Außenminister.
  • John Healey als Verteidigungsminister – er müsste die von Labour angekündigte Erhöhung der Militärausgaben auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes umsetzen.
  • Yvette Cooper als Innenministerin – sie wäre damit künftig für die britische Migrationspolitik zuständig. 
  • Wes Streeting für das Gesundheitsministerium – der 41-Jährige wäre dann verantwortlich für die Zukunft des öffentlichen Gesundheitssystems NHS.

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Der Hieronymus Bosch des britischen Untergangs

Je schlechter die politischen Zeiten, desto besser der politische Humor. Hier ist eine Collage des politischen Kritikers und Satirikers Christopher Spencer zu sehen. Er veröffentlicht seine sarkastischen Kunstwerke als politische Kommentare bei X unter dem Namen Cold War Steve.

Spencer wuchs in Birmingham auf, wurde von drei Kunstschulen abgelehnt, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und stieg nach einer schweren Lebenskrise in seine Collagenarbeit ein. Heute veröffentlicht er Bücher und Kalender, stellt seine Werke aus und ist aus dem politischen Diskurs kaum wegzudenken.

Seine Werke ähneln bewusst den Höllen des niederländischen Malers Hieronymus Bosch. Hier werden die gescheiterten Tory-Politiker auf das Schafott geführt und mit der Kloake besudelt, die derzeit in Großbritannien von den Wasserwerken überall in die Flüsse und ins Meer eingeleitet wird. 

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Bester britischer Sarkasmus

In schlechten Zeiten blüht der Humor – bei den Engländern und Engländerinnen sowieso. Hier erklärt eine Engländerin, die unter ihrem Pseudonym Supertanskiii gern die Regierung aufs Korn nimmt, warum und wie die Wählerinnen und Wähler taktisch wählen sollen. Der Grund: In Großbritannien gilt das relative Mehrheitswahlrecht. Alle Stimmen, die in einem Wahlkreis nicht auf die stärkste Partei fallen, werden nicht berücksichtigt.

Wer eine Partei loswerden will, zum Beispiel jetzt die Konservativen, muss in seinem Wahlkreis also die stärkste Partei nach den Torys wählen. Das ist nicht überall Labour. In vielen Wahlkreisen sind es die Liberal Democrats. Im Westen von London und weit in den Westen von England hinein werden die Leute daher mehrheitlich nicht Labour, sondern die Liberalen wählen. Nach jetzigen Prognosen werden die Liberal Democrats daher etwa 72 Abgeordnete ins Unterhaus schicken können – 61 mehr als bisher. 

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T’was the day before the elections and all fucks were lost, because if the Tories win again, we’ll all pay the cost. pic.twitter.com/SlH2eNxKV4

— Supertanskiii (@supertanskiii) July 3, 2024

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Warum wählen die Leute Labour? 

Voraussichtlich wird es in dieser britischen Unterhauswahl einen erdrutschartigen Sieg für die Labourpartei geben. Aber warum? Die Antwort: nicht etwa, weil die Wähler und Wählerinnen von dem Parteivorsitzenden Keir Starmer und dem Wahlprogramm der Partei so überzeugt wären.

Nach einer Umfrage der Analysegesellschaft YouGov wählen 48 Prozent der Öffentlichkeit Labour, um die Konservativen loszuwerden. Etwa 13 Prozent der Wähler und Wählerinnen wollen nach 14 Jahren Konservativen und den Skandalen der Regierung endlich Änderung. Alles andere ist (fast) egal. 

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We asked Labour voters to tell us in their own words the main reason they are backing the party. For the largest number by far the key motivation is ousting the Conservatives

Top 5 reasons
Get the Tories out: 48%
Country needs a change: 13%
Agree with their policies: 5%
To… pic.twitter.com/i76S3Zlghu

— YouGov (@YouGov) July 3, 2024

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We asked Labour voters to tell us in their own words the main reason they are backing the party. For the largest number by far the key motivation is ousting the Conservatives

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Das Ende der erfolgreichsten Partei der Welt?

Wenn die Umfragen auch nur halbwegs stimmen, steht in Großbritannien nicht nur ein historischer Sieg für Labour bevor, sondern eine womöglich vernichtende Niederlage der Torys – einer Partei, die der Economist einmal "die erfolgreichste Partei der Welt" nannte.

Tatsächlich verbrachten die britischen Konservativen von 190 Jahren ihrer Geschichte zwei Drittel an der Regierung, sie steuerten (mit Unterbrechungen) Großbritannien, während es ein Viertel der Erdoberfläche eroberte, der Welt die erste industrielle Revolution bescherte, Englisch zur Lingua franca des Planeten wurde, der Kapitalismus und das Common Law zum Betriebssystem des Westens und das Vereinigte Königreich zwei Weltkriege gewann.

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Zur Bilanz der Torys gehört es auch, die erste Frau (Margaret Thatcher) und den ersten Hindu (Rishi Sunak) in die Downing Street befördert, die erste Muslimin ins Kabinett geholt und den ersten schwarzen Außenminister gestellt zu haben.

Sollten die Torys auf 100 oder weniger Sitze von 650 Unterhausmandaten reduziert werden, könnte es allerdings gut sein, dass innerhalb der verbleibenden Parlamentarier eine Auseinandersetzung darüber entbrennt, ob die Marke Tory tot ist – und ob man sich nicht der aufstrebenden Reform-Partei von Nigel Farage anschließen sollte. Es wäre, nach dem Tod von Elizabeth II., das Ende einer zweiten britischen Ära innerhalb weniger Jahre.

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Die Royals wählen nicht. Warum?

Der König steht über aller Politik, darf sich nicht zur Politik äußern und darf daher auch nicht wählen. Das liegt an der britischen konstitutionellen Monarchie.

Er ist nicht das Volk. Das Volk wählt die Abgeordneten, die das Volk im Parlament (Unterhaus) vertreten sollen und für das Volk Politik machen sollen. Da hat der König nicht reinzureden. Im Gegenteil: Der König muss den Premierminister erklären. Der führt dann – im Auftrag des Königs – die Regierungsgeschäfte.

König Charles III. wählt daher nicht und auch nicht die engere königliche Familie, da auch für sie das Gebot gilt, sich aus der Politik rauszuhalten. Die weitere Familie könnte wählen. Es ist ihr nicht gesetzlich untersagt. Es ist aber nicht bekannt, wer von ihnen wählt.

Interessanterweise dürfen auch alle Mitglieder des britischen Oberhauses nicht wählen. Schließlich sind sie Teil des Parlamentes, und ein Teil des Parlamentes darf nicht den anderen Teil des Parlamentes wählen. Zudem sollen sie ja eine relativ unabhängige Kontrollinstanz des Unterhauses in der Gesetzgebung sein. 

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Im Leben keine Rückkehr in die EU

In seinem Leben, sagte der Labourchef und wahrscheinliche Wahlgewinner Keir Starmer gestern in aller Klarheit, werde Großbritannien nicht zurückkehren in die Europäische Union. Aus kontinentaler Sicht mag das überraschen, Starmer war schließlich nicht nur ein Remainer. Er setzte sich nach dem Brexitreferendum auch für eine zweite Volksabstimmung ein, um die Austrittsentscheidung rückgängig zu machen.

Um zu verstehen, warum Starmer einer EU-Rückkehr jetzt eine solch heftige Absage erteilt, muss man allerdings wissen: Schätzungsweise ein Drittel der Labouranhänger hat 2016 für den Brexit gestimmt. Die politische Identifikation als Brexiteer oder Remainer verläuft nicht nur quer durch die Parteilager, sie ist auch emotionaler verankert und sitzt dadurch tiefer als die Parteiloyalität. Und da sich die Remainer vor allem in den Städten ballen, sind die Brexiteers unter den Labouranhängern in sehr vielen Wahlkreisen im Land entscheidend für den Sieg der dortigen Labourkandidaten. Starmer darf sie also auf keinen Fall vergrätzen.

Aber war es deswegen nötig, eine Ansage über seine gesamte Lebenszeit zu machen? Nein, war es nicht. Über Starmers kategorischen Ton darf man also durchaus überrascht sein.

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Good afternoon!

Pünktlich zum Five o’clock Tea blicken wir nach Großbritannien und starten mit Ihnen in einen langen Wahlabend. Gemeinsam mit unseren Korrespondenten auf der Insel – Bettina Schulz und Jochen Bittner – beobachten wir im Liveblog die Wahl, die den konservativen Tories eine beispiellose Pleite bringen könnte.

Premierminister Rishi Sunak und sein Herausforderer Keir Starmer haben am Vormittag schon abgestimmt. Spannend wird es kurz vor Mitternacht: Um 23 Uhr deutscher Zeit werden die ersten Prognosen bekannt. Bis dahin finden Sie die wichtigsten News und Hintergrundberichte hier.

Let’s go!

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Labours größter Wahlhelfer

Der größte Wahlhelfer für Labour ist, so paradox es klingt, Nigel Farage, der Ex-Chef der Ukip-Partei. Farage, auf dem Kontinent besser bekannt als Mr. Brexit, tritt mit seiner Reform-Partei bei den Unterhauswahlen an. Sie ist eine Anti-Establishment-Bewegung, die vor allen Dingen auf das Thema Einwanderung setzt.

Farages Rückkehr auf die politische Bühne haben die Torys lange Zeit befürchtet, denn:

Fast jede Stimme für Reform dürfte eine Stimme weniger für die Torys sein. Farage spaltet also das rechte Lager, und davon profitiert Labour, weil deren Kandidaten jetzt bessere Chancen haben, in den Wahlkreisen die notwendigen relativen Mehrheiten zu erlangen.

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Farages Partei selbst dürfte gar nicht viele Wahlkreise holen. Aber das ist auch gar nicht sein Hauptziel. Was er will, ist, die Konservative Partei zu zerstören, um auf den Trümmern eine, wie er sagt, "Massenbewegung“ aufzubauen, die dann in fünf Jahren die Chance hätte, die Parlamentswahlen zu gewinnen.

Sein Vorbild ist die Reform-Partei in Kanada. Bei den dortigen Wahlen 1993 wurde die Progressiv-Konservative Partei vernichtend geschlagen. Zehn Jahre später taten sich ihre verbliebenen Kräfte mit Reform zu einer neuen Konservativen Partei zusammen.

In landesweiten Umfragen kommt Farages Reform auf über 15 Prozent der Stimmen, und das, obwohl Farage sich erst vor sechs Wochen entschlossen hat, bei der Wahl anzutreten.

Was Reform-Unterstützer über ihre Motivlage sagen, lesen Sie ausführlich in dieser Reportage aus Farages Wahlkreis Clacton-on-Sea.

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Abrechnung mit Farages Brexit-Projekt

Der Vorsitzende der Partei Reform UK (einst Brexit-Party) hat große Pläne: Falls er in seinem Wahlkreis Clacton gewählt wird, hält Nigel Farage erstmalig Einzug in das Unterhaus. Er träumte bereits offen davon, die große offizielle Opposition zu stellen, meinte gar, er wolle 2029 möglicherweise Premierminister werden.

Welch Schaden der von Farage einst propagierte Brexit indessen angerichtet hat, sagt er nicht. Dafür gibt es Peter Stefanovic, Anwalt und politischer Kommentator, der trocken allerlei politische Lügen Satz für Satz, Zahl für Zahl widerlegt. Mit fast beleidigtem Unterton über die Anmaßung der Politiker, die Öffentlichkeit für so dumm zu verkaufen, hält er den Politikern Statistiken entgegen. Er hat immer denselben Auftritt des vermeintlichen Buchhalters mit weißem Bürohemd und dunkler Weste, der mit spitzem Bleistift nachrechnet. Stefanovic hat auf X 571.000 Follower. So wichtig ist den Leuten der Versuch, an die Wahrheit zu kommen. 

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This is getting ridiculous – how can Farage constantly get airtime with no one pointing out to him & viewers the Brexit he championed has by almost every economic & financial measure been disastrous for the UK?

If that outrages you as much me RT this widely pic.twitter.com/lhZrWJXOsA

— Peter Stefanovic (@PeterStefanovi2) June 30, 2024

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Eine Partei zerlegt sich selbst

In meinem Artikel beschreibe ich heute, warum es zudem Niedergang der einst großen Partei der Konservativen gekommen ist. Immerhin gibt es die Torys seit 190 Jahren. Es ist die Partei der Margaret Thatcher. Aber eine Kette von Fehlentscheidungen hat letztlich zum Brexit geführt, der die Partei praktisch zerstört hat. Es ist auch eine Wirtschaftsgeschichte.

Die Probleme: Zerstörung der verarbeitenden Industrie unter Thatcher, Boom und dann Finanzkrise und Rezession. Drastische Sparwelle der Regierung und Frust der Bevölkerung, vor allem der verarmten working class. Dann die Illusion, die Wirtschaft könne sich unabhängig von den EU-Vorschriften schneller erholen und wettbewerbsfähiger werden. Dann immer mehr ideologischer Streit innerhalb der Partei und jahrelang kein vernünftiges Regieren mehr.

Die Öffentlichkeit fühlt sich verschaukelt, und die Partei ist am Ende. Heute sehen wir die gnadenlose Reaktion der Öffentlichkeit, die die Konservativen nach ihrem ideologischen und populistischen Experiment abwählt.

Den ganzen Text lesen Sie hier:

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Zeit für eine Bilanz

Zu den aktuell kontroversen Themen in der britischen Öffentlichkeit gehören Gesundheitswesen, Wirtschaftswachstum und Einwanderung. Ich erlebe es am eigenen Leib: Die soziale Kluft reißt immer mehr auf. Es gibt immer mehr Milliardäre, Leute, die mit Lamborghini durch London brausen, gleichzeitig Schulkinder, die hungernd in die Schule gehen, und wirklich abgewirtschaftete, ausgemergelte, kaputte Arbeiter, die es nie schaffen, genug für ihre Familien nach Hause zu bringen. Hinzu kommt das Problem des Alkoholismus.

Das Gesundheitssystem ist furchtbar. Ich muss morgens um Punkt acht Uhr beim Arzt anrufen, sonst bekomme ich keinen Termin. Als ich vor einem Jahr Herzbeschwerden hatte, war ich viermal im Krankenhaus, und jedes Mal haben sie mir erklärt, ich sei noch nie dort gewesen. Es war wie bei Kafka. Bei meinem Meniskusriss vor drei Jahren erklärte mir mein Hausarzt, ich sei zu alt. Der Riss dürfe bei Personen um die 60 Jahre nicht mehr diagnostiziert werden, weil das Geld für eine Operation rausgeworfenes Geld sei. Ich habe mich dann privat operieren lassen.

Auch die Art, wie hier mit Geflohenen umgegangen wird, erschüttert mich. Gestern gerade holte ein befreundeter Geflohener aus dem Iran seine Frau und sein Kind vom Flughafen ab, die er drei Jahre nicht gesehen hatte. Er hatte im Iran eine öffentliche Wutrede auf das Regime gehalten, musste sofort untertauchen und ließ sich dann heimlich von Schleppern aus dem Land nach Calais bringen. Kosten: 20.000 Dollar. Die kurdische Schlepperorganisation brachte ihn in einer halsbrecherischen Nachtfahrt über den Kanal. Dann musste er zwei Jahre in einem Hotelzimmer auf sein Asylverfahren warten. Er spricht ziemlich gut Englisch und war im Iran Lebensmitteltechniker. Arbeitet jetzt als Mechaniker. Hat jetzt sein Asyl. Warum muss man diese Leute politisch als Sündenbock für die Probleme im Land anprangern?

Mehr dazu lesen Sie hier:

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Kinder rein, Hunde raus

In der Wahlkabine herrschen strenge Regeln. Eine kleine Auswahl der Dos and Don’ts:
  • Selfies in der Wahlkabine sind streng verboten! Darauf stehen hohe Geldstrafen oder ein Freiheitsentzug bis zu sechs Monate. Die Wahlkommission sieht nämlich das Wahlgeheimnis gefährdet und empfiehlt das Outdoor-Selfie.
  • Auch Hunde müssen draußen bleiben. Nur mit einer Spezialgenehmigung und in Ausnahmefällen darf das Tier mitgenommen werden.
  • Kinder in der Wahlkabine sind hingegen ausdrücklich erlaubt, die Kommission nennt es eine "Bildungsmaßnahme für Demokratie". Nur das Kreuzchen ist ihnen untersagt, das müssen die Wahlberechtigten selbst machen. 
  • Beware of political discussions! Hier kennt die Kommission keinen Spaß. Die Wahlhelfer sind sogar befugt, bei solchen Gesprächen einzuschreiten und diese zu untersagen. 

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Abstimmen im Waschsalon

Noch bis 22 Uhr Ortszeit können die Britinnen und Briten ihre Stimme abgeben. Nicht alle der Hunderte Wahllokale sind dabei in Schulen oder Gemeindezentren untergebracht, auch einige skurrile Orte sind dabei.

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Im Oxforder Stadtteil Headington haben die Behörden das Wahllokal in einem Waschsalon untergebracht. Und doch dürfte man dort heute nicht das Nützliche mit dem Nützlichen verbinden können – um die Wähler vor neugierigen Blicken zu schützen, sind die Maschinen wohl für die Dauer der Abstimmung außer Betrieb.

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Ein Mann verwandelt diesen unscheinbaren Container in den Morgenstunden in eine Wahlkabine. Er steht auf einem Supermarktparkplatz im zentralenglischen Loughborough. Die rund 60.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Stadt ist vor allem bekannt für ihre Universität und für die Industrie.

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Auch in dieser alten Feuerwache im Stadteil Hackney können Londoner ihre Stimmen abgeben. Wenn nicht gerade Wahltag ist, finden von Yoga über Akupunktur und Karate unzählige Aktivitäten in dem Gemäuer statt.

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Zuerst abstimmen, dann beten? Und falls der göttliche Beistand nicht reicht, hat zumindest der Wähler auf dem Bild seinen weltlichen Begleiter dabei.

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So viele Kandidaten wie noch nie stehen zur Wahl

Die Briten entscheiden heute über die 650 Sitze im Londoner Unterhaus, das auch House of Commons heißt. Diese verteilen sich auf die Abgeordneten aus den vier Landesteilen des Vereinigten Königreichs. Jeder Abgeordnete vertritt jeweils einen Wahlkreis: 543 der Wahlkreise liegen in England, 57 in Schottland, 32 in Wales und 18 in Nordirland.

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Insgesamt treten bei der Wahl 4.515 Kandidaten an und damit so viele wie noch nie zuvor. Die Zahl der Bewerber ist so hoch, weil die rechtspopulistische Partei Reform UK erstmals Kandidaten in Wahlkreisen aufstellt, in denen die Konservativen ebenfalls antreten. Zudem haben die Grünen mehr Kandidaten nominiert.

Die meisten Bewerber schicken die Torys ins Rennen: Sie stellen Kandidaten in 635 Wahlkreisen. Für Keir Starmers Labourpartei treten 631 Kandidaten an – ebenso viele haben die Liberaldemokraten aufgestellt. Die Grünen stellen 629 Kandidaten. Reform UK von Nigel Farage hat 609 Kandidaten aufgestellt. Auch gibt es Kandidaten, die für kleinere Parteien oder als Unabhängige antreten.

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Keep calm and carry on

In unserem Liveblog geht es derzeit vor allem um Kontext und Hintergrund. Im Newsroom hier in Berlin reichen die Kolleginnen Salt-and-Vinegar-Chips und Shortbread, auf manchen Schreibtischen stehen halb volle Teetassen. Dass es so ruhig zugeht, hat auch einen ganz ernsthaften Grund.

Bis 23 Uhr deutscher Zeit gibt es in Großbritannien nämlich eine Nachrichtensperre für alles, was mit britischer Politik zu tun hat. Diese Ansage wird auch ganz streng eingehalten: In der BBC läuft seit Stunden die Übertragung aus Wimbledon, zwischendurch gab es sogar einen Beitrag zur heimischen Schweinezucht.

Aber keine Sorge: Sobald um 23 Uhr die Prognosen bekannt werden, bekommen Sie von uns eine Eilmeldung!

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Ein Nationalgericht in Gefahr

Fish and Chips – die Rede ist vom Nationalgericht und patriotischen Symbol der Briten. Dieses Gericht galt lange als delikates, nahrhaftes, aber erschwingliches Volksnahrungsmittel für alle, schreibt meine Kollegin Fiona Weber-Steinhaus. Doch viele Menschen können sich das durch die schwierige finanzielle Lage nicht mehr leisten. Denn die Preise für das Gericht steigen rasch, sie sind fast 60 Prozent höher als noch vor sechs Jahren.

Für die ZEIT hat Weber-Steinhaus einen Fish-and-Chips-Laden in einer Kleinstadt im Nordosten von England besucht und mit einem Fischfrittierer in zweiter Generation gesprochen. Gerade dort, in South Shields, ist das Wahlergebnis eigentlich schon klar.

Mehr dazu lesen Sie hier: 

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Bettina Schulz
Bettina Schulz

Abrechnung mit Farages Brexit-Projekt

Der Vorsitzende der Partei Reform UK (einst Brexit-Party) hat große Pläne: Falls er in seinem Wahlkreis Clacton gewählt wird, hält Nigel Farage erstmalig Einzug in das Unterhaus. Er träumte bereits offen davon, die große offizielle Opposition zu stellen, meinte gar, er wolle 2029 möglicherweise Premierminister werden.

Welch Schaden der von Farage einst propagierte Brexit indessen angerichtet hat, sagt er nicht. Dafür gibt es Peter Stefanovic, Anwalt und politischer Kommentator, der trocken allerlei politische Lügen Satz für Satz, Zahl für Zahl widerlegt. Mit fast beleidigtem Unterton über die Anmaßung der Politiker, die Öffentlichkeit für so dumm zu verkaufen, hält er den Politikern Statistiken entgegen. Er hat immer denselben Auftritt des vermeintlichen Buchhalters mit weißem Bürohemd und dunkler Weste, der mit spitzem Bleistift nachrechnet. Stefanovic hat auf X 571.000 Follower. So wichtig ist den Leuten der Versuch, an die Wahrheit zu kommen. 

Claudia Thaler
Claudia Thaler

Ein Nationalgericht in Gefahr

Fish and Chips – die Rede ist vom Nationalgericht und patriotischen Symbol der Briten. Dieses Gericht galt lange als delikates, nahrhaftes, aber erschwingliches Volksnahrungsmittel für alle, schreibt meine Kollegin Fiona Weber-Steinhaus. Doch viele Menschen können sich das durch die schwierige finanzielle Lage nicht mehr leisten. Denn die Preise für das Gericht steigen rasch, sie sind fast 60 Prozent höher als noch vor sechs Jahren.

Für die ZEIT hat Weber-Steinhaus einen Fish-and-Chips-Laden in einer Kleinstadt im Nordosten von England besucht und mit einem Fischfrittierer in zweiter Generation gesprochen. Gerade dort, in South Shields, ist das Wahlergebnis eigentlich schon klar.

Mehr dazu lesen Sie hier: 

Katrin Scheib
Katrin Scheib
Keir Starmer und sein Schattenkabinett bei einem Fototermin über den Dächern von Manchester
Keir Starmer und sein Schattenkabinett bei einem Fototermin über den Dächern von Manchester. Anthony Devlin/Getty Images

Wie sähe ein Kabinett Starmer aus?

Wer bei einem Laboursieg der nächste Premierminister werden soll, steht fest: Keir Starmer ist eine bekannte Größe. Damit auch sonst niemand die Katze im Sack wählen muss, ist es in Großbritannien üblich, dass die jeweils größte Oppositionspartei ein Schattenkabinett aufstellt – und das nicht erst im Wahlkampf, sondern immer direkt zu Beginn einer Legislaturperiode.

So hat jedes Regierungsmitglied ein Oppositionsgegenstück, und die Wählerinnen und Wähler können absehen, wer nach einem Regierungswechsel das jeweilige Ministerium übernehmen soll. Zu den prominenten Namen in Starmers shadow cabinet gehören: 

  • die zur Parteilinken gehörende stellvertretende Labourvorsitzende Angela Rayner als Vizepremierministerin.
  • Rachel Reeves für das Finanzministerium – die Wirtschaftswissenschaftlerin wäre die erste Frau an seiner Spitze. 
  • der Jurist und Trump-Kritiker David Lammy als Außenminister.
  • John Healey als Verteidigungsminister – er müsste die von Labour angekündigte Erhöhung der Militärausgaben auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes umsetzen.
  • Yvette Cooper als Innenministerin – sie wäre damit künftig für die britische Migrationspolitik zuständig. 
  • Wes Streeting für das Gesundheitsministerium – der 41-Jährige wäre dann verantwortlich für die Zukunft des öffentlichen Gesundheitssystems NHS.

Bettina Schulz
Bettina Schulz

Bester britischer Sarkasmus

In schlechten Zeiten blüht der Humor – bei den Engländern und Engländerinnen sowieso. Hier erklärt eine Engländerin, die unter ihrem Pseudonym Supertanskiii gern die Regierung aufs Korn nimmt, warum und wie die Wählerinnen und Wähler taktisch wählen sollen. Der Grund: In Großbritannien gilt das relative Mehrheitswahlrecht. Alle Stimmen, die in einem Wahlkreis nicht auf die stärkste Partei fallen, werden nicht berücksichtigt.

Wer eine Partei loswerden will, zum Beispiel jetzt die Konservativen, muss in seinem Wahlkreis also die stärkste Partei nach den Torys wählen. Das ist nicht überall Labour. In vielen Wahlkreisen sind es die Liberal Democrats. Im Westen von London und weit in den Westen von England hinein werden die Leute daher mehrheitlich nicht Labour, sondern die Liberalen wählen. Nach jetzigen Prognosen werden die Liberal Democrats daher etwa 72 Abgeordnete ins Unterhaus schicken können – 61 mehr als bisher. 

Bettina Schulz
Bettina Schulz

Zeit für eine Bilanz

Zu den aktuell kontroversen Themen in der britischen Öffentlichkeit gehören Gesundheitswesen, Wirtschaftswachstum und Einwanderung. Ich erlebe es am eigenen Leib: Die soziale Kluft reißt immer mehr auf. Es gibt immer mehr Milliardäre, Leute, die mit Lamborghini durch London brausen, gleichzeitig Schulkinder, die hungernd in die Schule gehen, und wirklich abgewirtschaftete, ausgemergelte, kaputte Arbeiter, die es nie schaffen, genug für ihre Familien nach Hause zu bringen. Hinzu kommt das Problem des Alkoholismus.

Das Gesundheitssystem ist furchtbar. Ich muss morgens um Punkt acht Uhr beim Arzt anrufen, sonst bekomme ich keinen Termin. Als ich vor einem Jahr Herzbeschwerden hatte, war ich viermal im Krankenhaus, und jedes Mal haben sie mir erklärt, ich sei noch nie dort gewesen. Es war wie bei Kafka. Bei meinem Meniskusriss vor drei Jahren erklärte mir mein Hausarzt, ich sei zu alt. Der Riss dürfe bei Personen um die 60 Jahre nicht mehr diagnostiziert werden, weil das Geld für eine Operation rausgeworfenes Geld sei. Ich habe mich dann privat operieren lassen.

Auch die Art, wie hier mit Geflohenen umgegangen wird, erschüttert mich. Gestern gerade holte ein befreundeter Geflohener aus dem Iran seine Frau und sein Kind vom Flughafen ab, die er drei Jahre nicht gesehen hatte. Er hatte im Iran eine öffentliche Wutrede auf das Regime gehalten, musste sofort untertauchen und ließ sich dann heimlich von Schleppern aus dem Land nach Calais bringen. Kosten: 20.000 Dollar. Die kurdische Schlepperorganisation brachte ihn in einer halsbrecherischen Nachtfahrt über den Kanal. Dann musste er zwei Jahre in einem Hotelzimmer auf sein Asylverfahren warten. Er spricht ziemlich gut Englisch und war im Iran Lebensmitteltechniker. Arbeitet jetzt als Mechaniker. Hat jetzt sein Asyl. Warum muss man diese Leute politisch als Sündenbock für die Probleme im Land anprangern?

Mehr dazu lesen Sie hier:

Claudia Thaler
Claudia Thaler

Keep calm and carry on

In unserem Liveblog geht es derzeit vor allem um Kontext und Hintergrund. Im Newsroom hier in Berlin reichen die Kolleginnen Salt-and-Vinegar-Chips und Shortbread, auf manchen Schreibtischen stehen halb volle Teetassen. Dass es so ruhig zugeht, hat auch einen ganz ernsthaften Grund.

Bis 23 Uhr deutscher Zeit gibt es in Großbritannien nämlich eine Nachrichtensperre für alles, was mit britischer Politik zu tun hat. Diese Ansage wird auch ganz streng eingehalten: In der BBC läuft seit Stunden die Übertragung aus Wimbledon, zwischendurch gab es sogar einen Beitrag zur heimischen Schweinezucht.

Aber keine Sorge: Sobald um 23 Uhr die Prognosen bekannt werden, bekommen Sie von uns eine Eilmeldung!

Bis die Wahllokale schließen, darf in Großbritannien nicht über Politisches berichtet werden. Stattdessen läuft auf BBC 1 etwa Wimbledon.
Bis die Wahllokale schließen, darf in Großbritannien nicht über Politisches berichtet werden. Stattdessen läuft auf BBC 1 etwa Wimbledon. Hannah Mckay/Reuters

Katrin Scheib
Katrin Scheib

Narrenspäße mit Substanz dahinter

Liberale und Spaßwahlkampf, da kann man gut noch mal an Guido Westerwelle und seine 18-Prozent-Schuhe denken (hier von einschlägigen Museumsfachleuten gewürdigt). Im britischen Wahlkampf war für allerlei bunte Einlagen diesmal Ed Davey zuständig, Chef der Liberal Democrats.

Vom britischen Wahlsystem werden die LibDems und andere kleinere Parteien chronisch benachteiligt, Wahlkämpfer Davey ließ sich davon nicht ausbremsen. Was hinter seinen Aktionen – einschließlich gescheitertem Versuch als Stand-up-Paddler – an politischen Konzepten steckt, hat Bettina Schulz hier analysiert.

Lesen Sie hier mehr dazu:

Sarah Vojta
Sarah Vojta

So viele Kandidaten wie noch nie stehen zur Wahl

Die Briten entscheiden heute über die 650 Sitze im Londoner Unterhaus, das auch House of Commons heißt. Diese verteilen sich auf die Abgeordneten aus den vier Landesteilen des Vereinigten Königreichs. Jeder Abgeordnete vertritt jeweils einen Wahlkreis: 543 der Wahlkreise liegen in England, 57 in Schottland, 32 in Wales und 18 in Nordirland.
Die 650 Sitze im Londoner Unterhaus stehen heute zur Wahl.
Die 650 Sitze im Londoner Unterhaus stehen heute zur Wahl. UK Parliament/Andy Bailey/Reuters
Insgesamt treten bei der Wahl 4.515 Kandidaten an und damit so viele wie noch nie zuvor. Die Zahl der Bewerber ist so hoch, weil die rechtspopulistische Partei Reform UK erstmals Kandidaten in Wahlkreisen aufstellt, in denen die Konservativen ebenfalls antreten. Zudem haben die Grünen mehr Kandidaten nominiert.

Die meisten Bewerber schicken die Torys ins Rennen: Sie stellen Kandidaten in 635 Wahlkreisen. Für Keir Starmers Labourpartei treten 631 Kandidaten an – ebenso viele haben die Liberaldemokraten aufgestellt. Die Grünen stellen 629 Kandidaten. Reform UK von Nigel Farage hat 609 Kandidaten aufgestellt. Auch gibt es Kandidaten, die für kleinere Parteien oder als Unabhängige antreten.

Jochen Bittner
Jochen Bittner

Das Ende der erfolgreichsten Partei der Welt?

Wenn die Umfragen auch nur halbwegs stimmen, steht in Großbritannien nicht nur ein historischer Sieg für Labour bevor, sondern eine womöglich vernichtende Niederlage der Torys – einer Partei, die der Economist einmal „die erfolgreichste Partei der Welt“ nannte.

Tatsächlich verbrachten die britischen Konservativen von 190 Jahren ihrer Geschichte zwei Drittel an der Regierung, sie steuerten (mit Unterbrechungen) Großbritannien, während es ein Viertel der Erdoberfläche eroberte, der Welt die erste industrielle Revolution bescherte, Englisch zur Lingua franca des Planeten wurde, der Kapitalismus und das Common Law zum Betriebssystem des Westens und das Vereinigte Königreich zwei Weltkriege gewann.

Der amtierende Premierminister Rishi Sunak könnte in seinem Wahlkreis dem Labourkonkurrenten unterliegen.
Der amtierende Premierminister Rishi Sunak könnte in seinem Wahlkreis dem Labourkonkurrenten unterliegen. Peter Nicholls/Getty Images
Zur Bilanz der Torys gehört es auch, die erste Frau (Margaret Thatcher) und den ersten Hindu (Rishi Sunak) in die Downing Street befördert, die erste Muslimin ins Kabinett geholt und den ersten schwarzen Außenminister gestellt zu haben.

Sollten die Torys auf 100 oder weniger Sitze von 650 Unterhausmandaten reduziert werden, könnte es allerdings gut sein, dass innerhalb der verbleibenden Parlamentarier eine Auseinandersetzung darüber entbrennt, ob die Marke Tory tot ist – und ob man sich nicht der aufstrebenden Reform-Partei von Nigel Farage anschließen sollte. Es wäre, nach dem Tod von Elizabeth II., das Ende einer zweiten britischen Ära innerhalb weniger Jahre.

Bettina Schulz
Bettina Schulz

Der Hieronymus Bosch des britischen Untergangs

Je schlechter die politischen Zeiten, desto besser der politische Humor. Hier ist eine Collage des politischen Kritikers und Satirikers Christopher Spencer zu sehen. Er veröffentlicht seine sarkastischen Kunstwerke als politische Kommentare bei X unter dem Namen Cold War Steve. Spencer wuchs in Birmingham auf, wurde von drei Kunstschulen abgelehnt, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und stieg nach einer schweren Lebenskrise in seine Collagenarbeit ein. Heute veröffentlicht er Bücher und Kalender, stellt seine Werke aus und ist aus dem politischen Diskurs kaum wegzudenken.

Seine Werke ähneln bewusst den Höllen des niederländischen Malers Hieronymus Bosch. Hier werden die gescheiterten Tory-Politiker auf das Schafott geführt und mit der Kloake besudelt, die derzeit in Großbritannien von den Wasserwerken überall in die Flüsse und ins Meer eingeleitet wird. 

pic.twitter.com/r8gTaDD5k9

— Cold War Steve (@coldwarsteve) July 3, 2024

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X
Cold War Steve on Twitter / X
pic.twitter.com/r8gTaDD5k9— Cold War Steve (@coldwarsteve) July 3, 2024

x.com

Katrin Scheib
Katrin Scheib

Von Umfragen und Ex-Frauen

„Mit Umfragen ist es wie mit Ex-Frauen“, philosophierte unlängst der britische Komiker Andy Zaltzman: „Sie sind keine besonders verlässliche Quelle, aber wenn zehn von ihnen dasselbe sagen, dann könnte was dran sein.“

Tatsächlich kommen aktuelle Umfragen unter britischen Wahlberechtigten im Kern zum selben Ergebnis: Für Labour wollen demnach rund 39 Prozent stimmen, für die Konservativen rund 21 Prozent. Wer sich die Zahlen genauer ansehen will: Die BBC zeigt hier gebündelt die Ergebnisse aller relevanten Wahlumfragen im Vergleich.

Bettina Schulz
Bettina Schulz

Warum wählen die Leute Labour? 

Voraussichtlich wird es in dieser britischen Unterhauswahl einen erdrutschartigen Sieg für die Labourpartei geben. Aber warum? Die Antwort: nicht etwa, weil die Wähler und Wählerinnen von dem Parteivorsitzenden Keir Starmer und dem Wahlprogramm der Partei so überzeugt wären.

Nach einer Umfrage der Analysegesellschaft YouGov wählen 48 Prozent der Öffentlichkeit Labour, um die Konservativen loszuwerden. Etwa 13 Prozent der Wähler und Wählerinnen wollen nach 14 Jahren Konservativen und den Skandalen der Regierung endlich Änderung. Alles andere ist (fast) egal. 

Sarah Vojta
Sarah Vojta

Abstimmen im Waschsalon

Noch bis 22 Uhr Ortszeit können die Britinnen und Briten ihre Stimme abgeben. Nicht alle der Hunderte Wahllokale sind dabei in Schulen oder Gemeindezentren untergebracht, auch einige skurrile Orte sind dabei.
REUTERS/Dylan Martinez
Im Oxforder Stadtteil Headington haben die Behörden das Wahllokal in einem Waschsalon untergebracht. Und doch dürfte man dort heute nicht das Nützliche mit dem Nützlichen verbinden können – um die Wähler vor neugierigen Blicken zu schützen, sind die Maschinen wohl für die Dauer der Abstimmung außer Betrieb.
DARREN STAPLES/AFP
Ein Mann verwandelt diesen unscheinbaren Container in den Morgenstunden in eine Wahlkabine. Er steht auf einem Supermarktparkplatz im zentralenglischen Loughborough. Die rund 60.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Stadt ist vor allem bekannt für ihre Universität und für die Industrie.
PAUL ELLIS/AFP via Getty Images
Auch in dieser alten Feuerwache im Stadteil Hackney können Londoner ihre Stimmen abgeben. Wenn nicht gerade Wahltag ist, finden von Yoga über Akupunktur und Karate unzählige Aktivitäten in dem Gemäuer statt.
REUTERS/Lesley Martin
Zuerst abstimmen, dann beten? Und falls der göttliche Beistand nicht reicht, hat zumindest der Wähler auf dem Bild seinen weltlichen Begleiter dabei.

Katrin Scheib
Katrin Scheib

Ein letzter Showdown

Eine Woche ist es her, dass sich Rishi Sunak und Keir Starmer in ihrem letzten TV-Duell gegenüberstanden. Solange wir hier auf die Schließung der Wahllokale um 23 Uhr warten, lohnt es sich, noch mal einen Blick auf diese Analyse meines Kollegen Jochen Bittner zu werfen. Er erlebte den mutmaßlichen Wahlverlierer „mit kaum verständlicher Stärke und den mutmaßlichen Gewinner, Keir Starmer, mit schwer begreiflicher Schwäche“.

Die ganze Analyse lesen Sie hier:

Claudia Thaler
Claudia Thaler

Kinder rein, Hunde raus

In der Wahlkabine herrschen strenge Regeln. Eine kleine Auswahl der Dos and Don’ts:
  • Selfies in der Wahlkabine sind streng verboten! Darauf stehen hohe Geldstrafen oder ein Freiheitsentzug bis zu sechs Monate. Die Wahlkommission sieht nämlich das Wahlgeheimnis gefährdet und empfiehlt das Outdoor-Selfie.
  • Auch Hunde müssen draußen bleiben. Nur mit einer Spezialgenehmigung und in Ausnahmefällen darf das Tier mitgenommen werden.
  • Kinder in der Wahlkabine sind hingegen ausdrücklich erlaubt, die Kommission nennt es eine „Bildungsmaßnahme für Demokratie“. Nur das Kreuzchen ist ihnen untersagt, das müssen die Wahlberechtigten selbst machen. 
  • Beware of political discussions! Hier kennt die Kommission keinen Spaß. Die Wahlhelfer sind sogar befugt, bei solchen Gesprächen einzuschreiten und diese zu untersagen. 
In die Wahlkabine darf er nicht rein: Hunde müssen draußen bleiben
In die Wahlkabine darf er nicht rein: Hunde müssen draußen bleiben. Foto: Paul Ellis/AFP/Getty Images