Campusromane: Drittmittel und Hegemonie
Es ist kompliziert: In den politischen und medialen Debatten der Gegenwart bekommen Universität und Wissenschaftspolitik eine Aufmerksamkeit, die in einem krassen Gegensatz zur finanziellen Ausstattung der Institutionen steht: ständig sinkende Grundfinanzierung, immer größere Abhängigkeit von Drittmitteln. In fast jeder Fakultät wird gekürzt und gespart, dass es quietscht. Wir streiten über Wissenschaftsfreiheit, Identitätspolitik, Cancel Culture in maroden Räumen mit zugigen Fenstern und auf Social-Media.
Der umstrittene Auftrag im Hause Bettina Stark-Watzinger, die Verfassungstreue von Drittmittelempfängern zu prüfen, die einen offenen Brief gegen Polizeieinsätze gegen Studierendenproteste unterschrieben haben, offenbart dabei vor allem, dass die Abhängigkeit von Drittmitteln viel zu hoch ist. Die wahre Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit liegt in der grenzenlosen Ökonomisierung von Forschung und Lehre, nicht in irgendwelchen Prüfaufträgen an subalterne Referate im Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Auch scheint es im Verhältnis der Universität zur politischen Öffentlichkeit zu kriseln, wie anhand der von der Eliteuniversität Harvard ausgehenden Say-Less-Kampagne zu beobachten ist: Ihre Leitung wird nur noch Stellung zu politischen Sachverhalten beziehen, die die Universität selbst betreffen. Dies steht im krassen Gegensatz zur Aufforderung der Wissenschaftspolitik hier in Deutschland, doch permanent Wissenschaftskommunikation zu betreiben und sich zu allem Möglichen zu äußern. Der Rückzug aus der medialen Öffentlichkeit könnte den Effekt haben, sich auf das zu konzentrieren, wozu man in der Universität angetreten ist: zu forschen, zu lehren und zu verwalten.
„Tremor“ von Teju Cole
Ein Panorama universitärer Themen und Aufgeregtheiten präsentiert Teju Coles autofiktionaler Roman Tremor (Ullstein). Cole hat bereits in seinem Debütroman Open City von 2012 eine Melange aus verschiedenen Genres (Essay, Prosa und Kunstkritik) vorgelegt, die durch die autofiktionale Verschränkung von Leben und Text zusammengehalten wird. Tunde, so heißt nun sein Protagonist, ist wie der Autor Ende vierzig, im nigerianischen Lagos aufgewachsen, er unterrichtet Kreatives Schreiben an einer Spitzenuniversität, er hat sich der Kunst und der Fotografie verschrieben. Er hält kunstgeschichtliche Vorträge, die sich vor allem mit der derzeit heftig diskutierten Frage nach der Restitution von Kunstwerken beschäftigen. Damit bespielt Cole ein populäres Feld der gegenwärtigen Postkolonialismus-Debatten.
Ein anderes, durchaus ähnlich heftig diskutiertes Thema ist das der kulturellen Aneignung fremden Leidens durch Kunstwerke, wie es Cole fast lehrbuchhaft an William Turners Bild Das Sklavenschiff vorführt. Das kommt trotz der geschmeidigen Übersetzung von Anna Jäger etwas holzschnittartig rüber. Unterbrochen wird der akademische Diskurs im Text lediglich, wenn auf einmal Geschichten von in Lagos lebenden Menschen erzählt werden, die plötzlich im Text auftreten: namenlose Fahrer, Unternehmer*innen, Künstler*innen und andere mehr. Dies schildert Cole auf eine fast schon protokollarische Art und Weise, die etwas ermüdend ist und nur durch den autofiktionalen Charakter des Ganzen Sinn bekommt. Einer fragt nämlich die Erzählerfigur: „Dein Vater hat dir das nie erzählt?“
Auf der anderen Seite durchzieht den Text ein elegischer Ton, der danach fragt, was eigentlich noch bleibt, wenn die westliche Kulturtradition ihre Werke und ihre Überlieferungszusammenhänge delegitimiert und sie damit vergessen werden. Er setzt – und hier ist Coles Text wirklich sehr gut – an die Stelle der Delegitimierung die Empathie mit einem Schuss Nostalgie. „Er hielt sie in seinen Armen“, heißt es an einer Stelle über Tundes Geliebte Sadako. Es macht uns Angst, „wenn geliebten Menschen etwas Schreckliches widerfahren ist“ – nämlich das Erdbeben von Kobe im Jahre 1995. Aber der Roman bleibt nicht dabei: Er zeigt nämlich, dass eine einfache Geste der Humanität, jemanden in den Arm zu nehmen, mehr bewirken kann als alles andere.
„Der Frauenbeauftragte“ von Kim Wakker
Auf ganz andere Art und Weise erzählt Kim Wakker, Berliner Autor*in, die gegenwärtige Universität. Im Zentrum des Debütromans Der Frauenbeauftragte (Alexander-Verlag), ein laut Klappentext „queerer Campuskrimi“, steht der junge Privatdozent Dr. Hartmut Frohmann, der, wie so viele Privatdozent*innen dieser Tage, nur ein einziges Ziel verfolgt: Professor zu werden. Frohmann scheitert trotz seines optimierten Lebenslaufs, seiner Erfolge in der Lehre, seiner Reputation bei den Studierenden und den Fachkolleg*innen immer an der letzten Hürde. Frohmann beginnt am System zu zweifeln. Für ihn ist das Scheitern ein Schicksal, für das „die Frauen“ verantwortlich sind. Regelmäßig landet er nämlich hinter Frau Prof. Dr. Heidelind Hausinger auf Platz zwei der Berufungsliste. Eines Tages wird diese tot im Berliner Tiergarten aufgefunden, von einem Kampfhund zerfleischt.
Wakkers Roman speist sich aus den Erfahrungen als Student*in der Theaterwissenschaften und vielleicht auch aus der Erfahrung, dass Paranoia oder Ressentiment noch keine Karriere in der Wissenschaft vorangebracht haben. Wakker verarbeitet gekonnt die Campusthemen der Zeit: Konkurrenz, Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit, Genderfragen. Der Text changiert zwischen Krimi, Universitätsparodie und Gremiensatire. Insgesamt ist er ein unterhaltsames Feuerwerk von Dialogen, Szenen und Szenarien mit einem furiosen Finale, über das hier nichts verraten werden soll.
„Black Box. Biotop linker Ideologien“ von Franca Bauernfeind
Clemens Spoerhase hat jüngst in der Süddeutschen auf das boomende Genre der Autotheorie hingewiesen. Autobiografische Erfahrungen werden als so bedeutsam, als so exemplarisch durch ein Ich wahrgenommen, dass es sie an die Öffentlichkeit drängt. Solch eine Form von Autotheorie ist Franca Bauernfeinds Black Box. Biotop linker Ideologien (Langenmüller-Verlag). Das erzählende Sachbuch der Erfurter Studentin, die in der CDU und im Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) engagiert ist und auf dem Campus als „Nazischlampe“ beschimpft worden sein soll, liest sich gut, ist aber mit zunehmender Länge nichts anderes als der Bericht über eine studentische Sozialisation in nicht gerade christdemokratischen Umwelten. Sie führt damit eine Tradition fort, in der viele Politiker*innen stehen: Die Erfahrungen studentischer Politik sind der erste Schritt in die politische Karriere.
Svenja Schulze, die derzeitige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, war in den 1990ern Vorsitzende des Allgemeinen Studierendenausschusses (ASTA) der Ruhr-Universität Bochum als Repräsentantin der JUSO-Hochschulgruppe. Manche, die beispielsweise Schulze als Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen 2012 – 2017 erlebt haben, sagen, sie sei habituell und politisch niemals dieser Rolle als ASTA-Vorsitzende entwachsen. Bauernfeinds Text geht auch noch keinen Schritt weiter, sie perpetuiert in ihrem Buch Themen, die bereits von Akteuren wie dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit öffentlichkeitswirksam bespielt worden sind. Die konservativ-liberale Studentin, die Bauernfeind ist, wird so zur Repräsentantin einer Minderheit.
Die konservativ-liberalen Studierenden, die es ja ohne Zweifel gibt, werden zu den Außenseitern innerhalb der linken Hegemonie hochstilisiert. Man hofft, dass Bauernfeind, wenn es sie in die Wissenschafts- und Hochschulpolitik ziehen sollte, nicht das Muster Svenja Schulze kopiert. Die Universität ist immer schon heterogen gewesen – politisch, kulturell, habituell. Die Sozialisation in der Universität und in der Hochschulpolitik findet nun einmal nicht in einem homogenen Milieu von JU-Anhänger*innen, Christian-Lindner-Imitaten und Zahnarzttöchtern statt. Das ist auch gut so!
Die Texte führen uns in das Universum der Universität, ihrer Debatten, ihrer Bedeutung für unser demokratisches Gemeinwesen. Bauernfeind zeigt auf, was Universität ist, nicht ist oder sein könnte. Kim Wakker popularisiert universitäre Konkurrenzkämpfe, die sich in rein gar nichts von denen in der sogenannten Wirtschaft unterscheiden. Das schönste Buch ist aber der Roman von Teju Cole. Es inszeniert eine literarische Soziologie des Verlusts, wie der Soziologe Andreas Reckwitz es nennt. Ihm zufolge ist Verlust für die Spätmoderne der Gegenmodus zum Fortschrittsmodus der Moderne. Das politische Gefühl ist das der Nostalgie, jenes Gefühl also, nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit zu Hause zu sein. Und diese Vergangenheit ist die der europäischen oder westlichen Kulturtradition, in der Coles Protagonist sich im Wissen wähnt, dass es damit vorbei ist.