KI-Markt: Alle wollen dies nächste Nvidia sein
Kurz halten alle die Luft an, als Lisa Su den Präsidenten von Microsoft, Satya Nadella, ankündigt. Sollte der Vorstandschef des amerikanischen Computerkonzerns wirklich als Überraschungsgast auf der Computex-Messe in Taiwan auftauchen und dann als Ko-Redner der Chefin des Mikrochip-Herstellers AMD? Ganz ausgeschlossen erscheint das nicht, nachdem schon die Chefs großer Computerhersteller wie hp, Lenovo und Asus zu Su auf die Bühne im Kongresszentrum von Taiwans Hauptstadt gekommen waren, um die Vorzüge der neuesten AMD-Prozessoren zu preisen, die sie allesamt in ihren neuen Produkten verarbeiten wollen.
Doch Nadella meldet sich nur per Videobotschaft. Sus Auftritt ist dennoch eindrucksvoll. Die in Taiwan geborene Chefin des amerikanischen Konzerns stellt eine ganze Reihe neuer Mikroprozessoren für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz (KI) vor, mit denen sie die Jagd auf den Konkurrenten Nvidia aufnehmen will. Nvidia, ebenfalls in Kalifornien beheimatet und ebenfalls von einem Taiwaner, Jensen Huang, geführt, hat mit seinen KI-Chips für die ChatGPT-Anwendungen alle Wettbewerber weit hinter sich gelassen. Doch eine ganze Reihe von ihnen, das wird am Eröffnungstag einer der wichtigsten Computermessen der Welt deutlich, machen sich nun an die Verfolgung. Der Branchen-Primus hatte schon am Vorabend eine ganze Sportarena in Taipeh gefüllt, um einen neuen Prozessoren für KI-Rechenzentren zu präsentieren.
Die „Wiedergeburt des PC“ durch KI
Vor allem ein Thema beflügelt die Phantasien in der Branche: die „Wiedergeburt des PC“ durch KI, wie Cristiano Amon, Chef des Chip-Produzenten Qualcomm, es nennt. Der Konzern aus San Diego hat gerade bewiesen, wie schnell die Karten in der Branche neu gemischt werden können: Als Microsoft vor zwei Wochen seinen neuen Copilot+PC vorstellte, der KI in Laptops und Computern in aller Welt integrieren soll, übernahm darin nicht wie gewohnt ein Intel-Prozessor die zentrale Rolle, sondern der als besonders energieeffizient geltende „Snapdragon“ von Qualcomm. Produkte mit Prozessoren von AMD und Intel sollen erst später auf den Markt kommen.
Damit hat sich Qualcomm weit nach vorne katapultiert im Rennen um die Zukunft am Halbleiter-Markt. So kommt Amon auch demonstrativ in weißen Turnschuhen auf die Bühne, die auf der einen Seite das Logo von Qualcomms Snapdragon zeigen und auf der anderen das von Copilot+. Und als er später einige Chefs von Partnerunternehmen zu sich auf die Bühne ruft, sagen so viele von ihnen, dass sie ihn um die Schuhe beneideten, dass er scherzt: „Vielleicht sollten wir eine neues Geschäft als Schuhverkäufer starten.“
Wer kann was auf den neuen Microsoft-Computern? Wer arbeitet mit welchen Partnern zusammen, um neue Produkte für Copilot+ zu entwickeln? Darum drehen sich die Gespräche auf der Computex. Schließlich wird der Implementierung der KI direkt auf dem Computer eine enorme Veränderung des Nutzerverhaltens zugetraut. Die Nutzer müssen dann nicht mehr ins Internet gehen, um mit KI-Anwendungen zu arbeiten. Der Computer selbst beantwortet Fragen, generiert neue Bilder, macht Simultanübersetzungen während Videokonferenzen und ermöglicht individuellen Gitarrenunterricht mit einer virtuellen Lehrerin – um nur einige der vielen Möglichkeiten zu nennen, die die Industrieentscheider in Taiwan ausmalen. Das soll nicht zuletzt Strom und Zeit sparen und die Arbeit effizienter machen.
„Anders als bisher wird ein Windows-PC so mit der Zeit immer besser“
Ein Satz, der immer wieder fällt, ist: „Wir sind gespannt, was unsere Kunden damit anfangen werden.“ Er zeigt, wie die Zukunft aussehen soll: Jeder Nutzer soll mithilfe der KI-Anwendungen seinen Computer zu dem machen, was er braucht und für wichtig hält. Statt Software auf den Computer zu laden, soll der Rechner die nötigen Anwendungen einfach selbst generieren. „Anders als bisher wird ein Windows-PC so mit der Zeit immer besser“, sagt Amon.
Wie hart der Wettbewerb in der Branche derzeit ist, zeigt sich darin, wie unverhohlen die Keynote-Speaker gegen ihre Konkurrenten schießen. Immer wieder zeigen sie Charts und Grafiken auf der Videowand hinter sich, die die Überlegenheit ihrer Produkte gegenüber denen der Konkurrenz belegen sollen: Surfen im Netz gehe mit dem Snapdragon-Prozessor bis zu 57 Prozent schneller als mit dem vergleichbaren Produkt von Intel und 35 Prozent schneller als mit dem vom AMD, sagt Amon. AMD-Chefin Su rechnet dagegen vor, dass das jüngste Produkt aus ihrem Haus 3,9-mal so schnell Texte zusammenfassen könne und 2,5-mal so schnell Sätze übersetzen könne wie das Konkurrenzprodukt von Intel . Gegenüber dem H100 von Nvidia könne der MI300X von AMD 1,3-mal so schnell KI-Anfragen beantworten.
Eine Branche sucht den KI-Superstar
Die Maßeinheiten erscheinen dabei ebenso vielfältig wie die Möglichkeiten der KI. Ein Ko-Redner von Su bringt ins Spiel, dass sich mit dem AMD-Prozessor besser größere Bilder gestalten lassen als mit dem von Nvidia. Qualcomm-Chef Amon führt an, dass Snapdragon die besten Werte biete, wenn es um die Leistung pro Watt, also die Energieeffizienz gehe.
Wer am Ende wirklich der neue Superstar in der KI-Welt werden könnte, ist in dieser Gemengelage schwer auszumachen – zumal die Beteiligten mal Kontrahenten sind, mal Zulieferer und mal auch zusammenarbeiten in der Entwicklung.
Nur eines ist sicher: „Dies ist ein unglaublich spannender Moment, um in dieser Branche zu arbeiten“, sagt Su. Und in unterschiedlichen Formulierungen sind sich alle Redner an diesem Tag in einem einig: Die Zukunft ist hier. Die Ausbreitung der KI auf alle Computer, in Industrieanlagen und Autos werde einen Technologieschub geben wie zuvor vielleicht die Erfindung des Internets oder die Einführung des iPhones.
An diesem Eröffnungstag der Computex spielt Apple indes überhaupt keine Rolle. Nur einmal kommt der iPhone-Konzern in einer der vielen Reden vor – als Negativbeispiel. Qualcomm-Chef Amon spielt ein Video ab, in dem ein Mann an einem Apple-Macbook arbeitet und von vielen Störfaktoren genervt wird. In die Suchmaske tippt er ein: „Wo kann ich einen PC finden, der mit Snapdragon läuft?“ Dann schaut der Mann in die Kamera und sagt: „Was? Zeiten ändern sich.“