Elon Musk arbeitet an neuer Bauweise zu Gunsten von E-Autos: Wann kommt dieser Billig-Tesla?
Seit Jahren erfreuen sich Unboxing-Videos großer Beliebtheit in digitalen Medien. Dabei werden neu gekaufte Produkte ausgepackt und der Vorgang mehr oder weniger interessant in Szene gesetzt. Bei Teslas gleichnamiger neuer Produktionsmethode geht es aber um etwas anderes: Um das Unboxing eines über einhundert Jahre alten Prinzips in der Fahrzeugmontage, bei dem zuerst die Karosserie montiert und dann nacheinander sämtliche weiteren Komponenten hinzugefügt werden. Tesla plant in Zukunft seine Fahrzeuge zunächst in größeren Modulen zu bauen, und diese erst später zusammenzufügen. Tesla stellt so – einmal mehr – Branchentraditionen infrage.
Vor über einhundert Jahren gelang Henry Ford durch die Etablierung der Autoproduktion am Fließband, die benötigte Zeit für die Montage wesentlich zu reduzieren. Das war damals eine revolutionäre neue Produktionsmethode, denn ihr Einsatz ermöglichte erst die Massenmotorisierung. Aus einem in Handarbeit gefertigten Luxusprodukt für Wenige wurde ein günstiges, standardisiertes Konsumprodukt für Viele – das Auto wurde zum „Volkswagen“.
Am Anfang steht der Zusammenbau der gesamten Karosserie, die heute weitgehend automatisiert abläuft, über 90 Prozent der Arbeitsschritte werden von Robotern ausgeführt. Dann wird die circa fünf mal zwei Meter große Box lackiert, inklusive der Türen. Die Hülle des Autos ist dann schon fertig, die Hauptarbeit steht aber noch aus, der Einbau der Komponenten. Höhepunkt des Prozesses ist die „Hochzeit“, so heißt es im Fachjargon, wenn auf der Fertigungslinie Fahrwerk, Getriebe und Motor in die Karosserie eingesetzt werden. Eine Methode, die sich Opel 1936 patentieren ließ. Doch diese Produktionsmethode hatte seit jeher einen großen Nachteil. So muss auf dem Fließband immer das gesamte Fahrzeug, die „große Box“, bewegt werden, obwohl immer nur punktuell daran gearbeitet wird. Dafür werden meist die Türen wieder abgebaut, um ganz zum Schluss ein weiteres Mal eingesetzt zu werden. Seither wurde die Fließbandproduktion von Fahrzeugen immer weiter optimiert.
Doch Tesla genügt das nicht.
Elon Musk: „Wir werden am Fließband schlafen“
E-Autos haben eine große Batterie im Unterboden und bestehen nicht mehr aus einem 200 Kilogramm schweren Verbrennungsmotor im Herzen des Automobils. Die traditionelle „Hochzeit“ von Motor, Getriebe und Aggregaten mit der Karosserie kann somit entfallen. Vor gut einem Jahr stellte der Vizepräsident für Fahrzeugtechnik bei Tesla, Lars Moravy, das neue „Unboxing“-System erstmals beim Investorentag vor. Derzeit wird im Werk in Austin, Texas, intensiv an der Umsetzung gearbeitet.
Anstelle einer großen Karosseriebox, der sich entlang eines linearen Förderbands bewegt, werden die Teile gleichzeitig in dafür vorgesehenen Bereichen zusammengebaut und am Ende zusammengefügt. Die Folge sind mehrere Unter-Produktionslinien, an denen gleichzeitig an großen Teilen gearbeitet werden kann. Neu ist die Methode nur für die Autoindustrie. In der Flugzeugindustrie kommen allein seit Jahrzehnten eine ähnliche Methode zum Einsatz – allein schon wegen der Größe der Flugzeuge.
Ein Ford-Werk in Detroit (USA) im Jahr 1900
Foto: Kharbine-Tapabor
Der Vorteil eines späteren Zusammenbaus der Karosserie: Es kann parallel an mehreren Teilen des Fahrzeugs unabhängig voneinander gearbeitet werden. Diese sind auch besser zugänglich aus allen Richtungen. Tesla experimentiert mit S-förmigen Produktionslinien, die die seit Fords Zeiten gebräuchlichen linearen Fließbänder ablösen sollen, was die benötigte Fläche für die Montage reduzieren soll. Tesla erhofft sich, dass das neue Konzept die Arbeitskosten senkt, da insgesamt weniger Montagearbeiten an der Produktionslinie durchgeführt werden müssen.
Hintergrund der neuerlichen Produktionsinnovation liegt in Teslas langfristiger Strategie begründet. Noch haftet das Image als Hersteller teurer E-Autos an dem Unternehmen. Doch Musks langfristiges Ziel ist schon immer gewesen, günstige E-Autos in großen Stückzahlen zu produzieren.
Bislang ging noch jeder Modellwechsel bei Tesla mit Skalierung hin zu größeren Stückzahlen und günstigeren Preisen, sowie jeweils mit einer umfassenden Veränderung der Produktionsmethoden einher.
Tesla will in Zukunft zehn Millionen Fahrzeuge jährlich verkaufen. Das geht nur mit einem günstigen Einstiegsmodell, wovon Tesla bei den aktuellen Herstellungskosten noch weit entfernt ist. Lars Moravy sagt: „Um so zu skalieren, wie wir es wollen, müssen wir die Fertigung überdenken und die Kosten noch einmal deutlich senken.“ Ein massentauglicher Tesla mit dem Codenamen „Redwood“ soll Mitte 2025 auf den Markt kommen und für 25.000 US-Dollar erhältlich sein. Bei diesem Fahrzeug könnte die Unboxing-Methode erstmals zum Einsatz kommen.
Für die Montagearbeit verändert sich zunächst nicht viel, abgesehen von der Verringerung der insgesamt nötigen Arbeit. Vermutlich bietet die neue Produktionsmethode gute Voraussetzungen für einen erhöhten Automatisierungsgrad beziehungsweise Robotereinsatz in der Endmontage.
Für die Beschäftigten im Werk könnte die Arbeit durch Unboxing ergonomischer werden. Zum Beispiel müssen die Sitze nicht mehr durch die Türöffnungen hindurch eingebaut werden, sondern werden – von allen Seiten zugänglich – auf die Bodenplatte mit der Batterie montiert. Beim alten Fließbandsystem hingegen müssen viele Arbeiten durch die Öffnungen in der Karosserie durchgeführt werden, wie bei einem Buddelschiff. Das Armaturenbrett und die Sitze müssen mühsam eingesetzt werden, oft wird die Karosserie in der Luft gedreht, um besser erreichbar zu sein. Aber die neue Methode könnte auch Nachteile für die Angestellten haben.
Gilt nicht gerade als arbeitnehmerfreundlich: Tesla-Chef Elon Musk
Foto: Suzanne Cordeiro/ Getty Images
Elon Musk drohte kürzlich damit, bei der Implementierung des neuen Verfahrens werde vermutlich „am Fließband schlafen“ anstehen. Das Schlafsack-Szenario war schon einmal bittere Realität, beim Hochlauf der Produktion des Model 3, der berühmt-berüchtigten „Produktionshölle“. Beim Versuch, mit dem Model 3 auf ein Volumen von 5.000 Fahrzeugen pro Woche zu kommen, hatte sich Tesla bei der Neuerfindung der Produktion übernommen und zu viel automatisiert.
Die Kombination aus Silicon Valley Startup-Kultur und industrielle Massenproduktion unter Kostendruck können leicht zum toxischen Cocktail werden. Auch aus Grünheide wird von hoher Fluktuation beim Personal, hohem Krankenstand und Mängeln im Arbeitsschutz berichtet. Hier sind die betrieblichen Vertretungen gefragt, um ein solches Experimentieren auf Kosten der Beschäftigten zu verhindern.
Es bleibt abzuwarten, ob Tesla ein weiteres Mal versuchen wird, den Endmontageprozess stärker zu automatisieren und im zweiten Anlauf durch Unboxing eine hochautomatisierte Fabrik zum Laufen zu bringen. Tesla versucht mit der neuerlichen Prozessinnovation seine Technologieführerschaft nicht nur bei der Fahrzeugtechnik, sondern auch bei der Herstellung zu behaupten.
Tesla zielt damit auf eine ähnliche Rolle einzunehmen, wie sie vor einhundert Jahren Ford besetzt hat: die elektrische Massenmotorisierung anzuführen. Teslas Konkurrenz ist längst nicht mehr die im E-Sektor abgehängte deutsche und amerikanische Industrie, sondern die Konkurrenz aus China. Günstige kleine E-Autos braucht die Welt, ob sie von BYD oder von Tesla kommen werden, das wird sich zeigen.