Wohnungsbau: So prekär sind die Arbeitsbedingungen hinaus dem Bau
Wer sind sie?
Fürth, ein Altbauapartment.
Adrian Dobres.
Adrian steht an einem Sonntag vor dem Altbauapartment in Fürth und hämmert gegen einen der Briefkästen. Seit Adrian nicht mehr hier wohnt, schreibt er seinen Namen mit Edding auf die restlichen Kästen. Viermal steht sein Name jetzt dort. „Idiot“, sagt er. Und meint den Vermieter, der seinen Briefkasten von der Wand gerissen hatte. Adrian stellt ihn einfach wieder auf.
Fünf Monate lebte Adrian hier. Reinsehen kann man nicht, die Fensterscheiben im Erdgeschoss sind mit Sichtschutzfolie abgeklebt, mehrere Klingelknöpfe fehlen. Es wird aber sowieso nicht abgeschlossen, sagt er – und öffnet die Tür. Hinter der schweren Haustür bedeckt der Schimmel die Wände im Flur, die Fugen färbt er schwarz. Überall Gerümpel, überall Staub. Die Toilette im dritten Stock ist längst gelb von Urinspuren, die grün gekachelte Badewanne weiß vom Kalk. Es riecht nach Fäkalien, es riecht nach Schweiß. „Katastrophe“, sagt Adrian.
Die Wohnung, in der Adrian lebte, hat zwei Zimmer. Zu sechst waren sie, ein Bett stand in der Abstellkammer. Jeden Monat bezahlte er 400 Euro dafür. Die „zonă periculoasă“, wie er auf Rumänisch sagt. Bei dem Begriff muss er lachen. Die Gefahrenzone.
Mit einem neuen Job kam für Adrian eine neue Baustelle, kam eine neue Wohnung, diesmal in Nürnberg, wieder zu sechst in zwei Zimmern. Wieder Katastrophe, sagt er diesmal auf Deutsch, wieder lacht er. Gemeldet ist er dort nicht, deswegen braucht er den Briefkasten in Fürth.
Adrian kam vor zehn Jahren aus Rumänien nach Deutschland, um hier gutes Geld zu verdienen. Er sagt, ein gutes Leben hat er dafür nicht bekommen. Adrian ist 53 Jahre alt, die grau-blonden Haare lassen ihn älter wirken, seine Hände sind rau, der Bart seit ein paar Tagen nicht rasiert. Wenn er durch die Straße läuft, stecken seine Hände in der Jogginghose mit Militärmuster. Adrian heißt, wie alle Arbeiter in dieser Geschichte, eigentlich anders. Zu groß ist ihre Sorge, den Job zu verlieren, falls ihr Name veröffentlicht wird.
Adrian arbeitet seit zehn Jahren auf dem Bau in Deutschland, fünf davon im Raum Nürnberg. Davor war er auf Baustellen in Jamaika, in Tschechien und der Dominikanischen Republik. Nirgendwo konnte er so viel verdienen wie hier, in seinem Heimatland sowieso nicht. Bis zu 3000 Euro netto können Arbeiter in der Bundesrepublik bekommen, das meiste davon bar auf die Hand. Deswegen ist Adrian hier.
In Deutschland sollen jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden. Das hat sich die Bundesregierung als Ziel gesetzt, auch wenn jüngst bekannt wurde, dass sie es in 2022 wieder verfehlt hat. 500.000 Menschen arbeiten für dieses Ziel im Hochbau, fast die Hälfte der Arbeiter sind sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ausländer.
Dafür schleppt Adrian Zementsäcke, verputzt Wände und betoniert Fundamente. Harte körperliche Arbeit. An manchen Tagen für vierzehn Stunden. In manchen Wochen auch an den Samstagen.
Männer wie Adrian arbeiten für die großen Baukonzerne in Deutschland. Nur sind sie nicht von ebenjenen Konzernen angestellt, sondern von Subunternehmen. Das ist günstiger, als eigene Mitarbeiter auf die Baustelle zu schicken.
In Rumänien arbeitete Adrian als Mechatroniker. Er kann Baupläne lesen, auch wenn er kaum Deutsch spricht. Bekannte sagen über ihn, er sei einer der besten Facharbeiter auf der Baustelle. Dafür bekommt er pro Stunde 12,85 Euro, den Lohn eines ungelernten Helfers. Dabei sind sich die meisten Experten sicher, dass es kaum noch Helfertätigkeiten auf dem Bau gibt. Das zeigt sich an vielen Stellen: Während früher Kies, Zement und Wasser mühsam von Hand in stationäre Betonmischer geschaufelt werden mussten, mischen ihn heute moderne Lkw-Fahrmischer während des Transports.
Die Subunternehmen kommen aus dem Ausland, aus Polen, Serbien oder Rumänien, manche haben ihren Firmensitz in Deutschland. Ans deutsche Arbeitsrecht halten sie sich nicht.
Arbeitszeitregelung? Adrian lacht. Wegzeitentschädigung? Kennt er nicht. Neunzig Minuten hin, neunzig Minuten zurück, so lange fährt er gerade auf eine Baustelle in der Nähe von Aschaffenburg. Unbezahlt natürlich. Wenn Adrian krank wird, dann zahlt sein Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung.
Auch bezahlten Urlaub hat er nicht. Einmal im Jahr fährt er für mehrere Wochen nach Rumänien, meist im Dezember. „Sommer geht nicht.“ Das diktiert die Baustelle, die erst im Winter stillsteht. „Normal. Nix Arbeit. Warum nach Rumänien, wenn Arbeit da?“, fragt er. Der Bus in die Heimat kostet hin und zurück 300 Euro; viel Geld, findet Adrian.
Was auf seiner Lohnabrechnung steht, empfindet er als wenig: 1383,58 Euro. Dafür stand Adrian mehr als zweihundert Stunden im Monat auf der Baustelle. Offiziell abgerechnet wurde ihm viel weniger Zeit. „Normal“, sagt er wieder. Oft werden Arbeiter, die Vollzeit arbeiten, wie Teilzeitkräfte abgerechnet. Wer Glück hat, bekommt den Rest auf die Hand.
Auf der Baustelle arbeitet Adrian mit Rumänen, Serben oder Kroaten, manchmal auch Türken oder mal einem Georgier. Deutsche sehe er nur selten, die sitzen in Planungsbüros, sagt Adrian. Auf seinen Baustellen in der Großstadt seien sie jedenfalls nicht. Und wenn doch, dann nur als besser bezahlter Polier, der Ansprechpartner zwischen Subunternehmen und Generalunternehmen sein soll. Am Samstag stehen die dann aber nicht auf der Baustelle, am Freitag nur bis 13 Uhr.
Ohne die ausländischen Fachkräfte wären 400.000 Wohnungen nicht möglich. Beim Wort Wohnungsmangel muss Adrian lachen. Er findet ja auch keine neue Wohnung. Immerhin ist er nicht mehr im Altbau in Fürth.
„Wird viel getrunken hier, viel geraucht“, sagt Adrian über sein ehemaliges Zuhause. Die Kippenstummel der Mitbewohner landen nur selten in einem Aschenbecher, meist drückt sie einer auf dem Zimmerboden aus. „Katastrophe“, sagt Adrian, der vor ein paar Monaten mit dem Rauchen aufgehört hat. Die Zigaretten wurden ihm zu teuer.
Ein anderer würde so viel saufen, dass er sich ständig in die Hose pisst, sagt Adrian und lacht. Der müsse jetzt eine Windel tragen, sagt er, lacht noch lauter.
Das macht Deutschland mit dir, sagen sie hier.
Adrian wollte unbedingt ausziehen, fand einen neuen Job und damit auch eine neue Wohnung. Sein Chef, ein Serbe, ist gleichzeitig auch sein Vermieter. Viel besser wurde es für ihn damit nicht.
So sei es immer im Bau.
Adrian sagt, er will erst mal in Nürnberg bleiben, hier mag er die U-Bahn, die sei schnell und sauber. Er bleibt aber auch in Nürnberg, weil es an anderen Orten noch schlechter für ihn sein könnte. Zum Beispiel in Frankfurt.
Frankfurt, in der Șerpărie.
Andrei Stoica.
Am Anfang fiel Andrei die Arbeit noch leichter, da war er noch jung. Jung, sagt Andrei, war er vor 20 Jahren. Heute ist er 51 Jahre alt. Andreis Haut ist braun gebrannt, wie bei jemandem, der zu lange im Urlaub war. Aber Andrei war nicht auf Reisen, nur auf der Baustelle.
Dass die Arbeit in Deutschland schwer für ihn werden würde, wusste er schon 2004, als er mit einer rumänischen Firma nach Deutschland kam. „Aber meine Bedürfnisse haben mich ins Land gebracht.“
Die Bedürfnisse von Andrei sind heute 18 und 28 Jahre alt, ein Sohn, eine Tochter. Die Tochter ist fleißig, studiert Naturwissenschaften an einer Universität in Rumänien. Der Sohn ist faul, schafft die Schule vielleicht nicht.
Wenn es mal wieder schlecht um den Abschluss steht, droht Andrei ihm: „Wenn du die Schule nicht schaffst, dann warten Schublade und Schaufel in Deutschland auf dich.“
So wie auf Papa.
Andrei sitzt in einem Zwanzig-Quadratmeter-Zimmer, das fast nur aus Betten besteht. Zwei auf der einen, zwei auf der anderen Seite. Für den Wäscheständer gab es keinen Platz, er ragt mit einem Bein aus dem Fenster.
Er kramt eine Lohnabrechnung unter einem der Betten hervor. 54 Stunden stehen darauf. Eigentlich hat er mehr als 200 Stunden gearbeitet, sagt er. „Du kannst jeden hier fragen, es ist allen schon passiert.“
Mit hier meint Andrei ein Arbeiterwohnheim am Stadtrand von Frankfurt, 800 Menschen können hier leben. Es gibt kleine Holzbaracken, größere Wohnhäuser und Bungalows. Überall stehen Männergruppen, manche grillen, viele trinken Alkohol. Auch ihre Lohnabrechnungen stimmen nicht, davon erzählen sie hier.
Das Viertel hier nennen die Menschen „Șerpărie“, das Schlangenfeld. In Rumänien werden damit Ghettos bezeichnet, die weit von der Stadt entfernt sind. Für ein Bett in einem Drei- oder Vier-Mann-Zimmer zahlen die Arbeiter 340 Euro.
Einmal hat Andrei seinen Job verloren. Er musste wegen einer familiären Angelegenheit nach Rumänien. Familie ist für Andrei das Wichtigste, ohne sie wäre er nicht hier. Als er wieder in Deutschland war, hatte der Chef keine Arbeit mehr für ihn. Auch das sei vielen in der Șerpărie schon passiert. Wenn sie dich nicht mehr brauchen, dann entledigen sie sich deiner, sagt Andrei auf Rumänisch.
Den Deutschen fällt vieles nicht auf, sagt er. „Wie kann ein Gebäude in die Höhe wachsen, wenn die Arbeiter so wenig Stunden auf dem Lohnzettel haben?“
Wiesbaden, Soka-Bau.
Gregor Asshoff.
Im Juni 2015 wurde Gregor Asshoff in den Vorstand der Soka-Bau, der Sozialkassen der Bauwirtschaft, gewählt. Kurz danach sagte er in einem Interview mit einer Regionalzeitung: „Wenn 20 Prozent des Marktes oder der Beschäftigungsverhältnisse in diese illegalen Strukturen abgeglitten sind, dann hat man eigentlich keine Chance mehr. Dann passiert nichts anderes, als dass der Rest des Marktes mit einbricht und sich diesen illegalen Formen anschließt.“
Spricht man ihn heute auf diesen Satz an, sagt er: „Die 20 Prozent haben wir längst erreicht.“
Gregor Asshoff sitzt in seinem Büro in Wiesbaden und blättert durch Dokumente. Sein Arbeitsraum ist größer als die meisten Zimmer in Arbeitsunterkünften, es ist heller und aufgeräumter. Asshoff kennt Zahlen und Fakten. Die Soka-Bau finanziert Urlaub, Ausbildung und Zusatzrenten. Da kommt einiges an Daten zusammen.
Er spricht über Flyer in vierzehn Sprachen, die schlechte Konjunktur und den Fachkräftemangel. Er war mal Anwalt, sein Pressesprecher sitzt neben ihm.
Wie steht es um das deutsche Baugewerbe, Herr Asshoff?
„Die Baubranche ist eine Schmutzbranche, da es ein hohes Maß an illegalen Beschäftigungsverhältnissen gibt.“ Die größte, wenn es nach Mitarbeiterzahlen geht. Auch darüber geben die Zahlen Auskunft.
Allein ist Asshoff mit seiner Meinung nicht. Das sagen alle, mit denen die F.A.S. gesprochen hat, Stiftungen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und der Zoll.
Aber wieso ist das so?
Asshoff beginnt zu erzählen: Seit jeher haben große Baukonzerne schon Subunternehmen mit Spezialtätigkeiten beauftragt, so blieb mehr Zeit für die Kernaufgaben. Eine rein organisatorische Entscheidung also. Völlig unproblematisch, sagt Asshoff. Heute lagern aber viele Konzerne auch Tätigkeiten aus, die eigentlich zum Kern des Baugeschäfts gehören. Es ist nur noch eine Preisfrage. Und damit beginnen die Probleme. Der ganze Hochbau ist voll davon.
„Oft wird nach einer Verschärfung von Gesetzen gerufen. Aber das, was passiert, ist längst illegal. Die Kontrollen müssen effektiver werden.“ Aber der Zoll sei schon völlig überlastet.
Asshoff kennt die Geschichten von Menschen, die nach Deutschland kommen, um irgendwann mit mehr Geld zurück in die Heimat zu kehren. Die dort ein Haus bauen wollen, die Familie unterstützen. Sie bekommen erzählt, mit einer Arbeit in Deutschland hätten sie das große Los gezogen. „Umso schlimmer ist es, wenn sie damit scheitern.“
So wie Daniel Popescu.
Frankfurt, ein Imbiss.
Daniel Popescu.
Daniel ist erschöpft. Fünf Stunden hat er heute gearbeitet, wie schon so oft an einem Samstag. Es war der erste Tag in seinem neuen Job, wieder im Hochbau, wieder auf der Baustelle, diesmal in Mainz.
Vom ersten Tag ist Daniel enttäuscht. Nur zwei Rumänen arbeiten mit ihm auf dem Bau, der Rest kommt aus Serbien oder Kroatien, sein Bauleiter ist 23 Jahre alt. „Der denkt, er wüsste alles“, sagt Daniel. Er kennt solche Leute, nur selten wüssten die irgendetwas.
Daniel sitzt schon viele Stunden hier. Es ist schließlich Samstag, und an einem Samstag arbeitet er nur fünf Stunden. Daniel ist 34 Jahre alt, aber er sieht älter aus. Das sagt er selbst und lacht dabei. Er trägt kurze, ungekämmte Haare und Sneakers ohne Marke.
Er sitzt gemeinsam mit einem Bekannten in einem griechischen Imbiss in einem Arbeiterviertel in Frankfurt, hier sind die osteuropäischen Bauarbeiter öfters. Nicht nur, weil der Laden ganz in der Nähe ihrer Arbeiterunterkunft ist. Hier kann Daniel noch anschreiben. Auch heute wird er das wieder machen. Er trinkt Fanta, lässt am Ende für alle Getränke anschreiben. Geld hat er gerade keines.
Wenn Daniel könnte, dann würde er lieber heute als morgen zurück nach Rumänien gehen, zu seinen Eltern und seinem zehnjährigen Sohn. In die schöne Landschaft Rumäniens, wo es Seen und Berge gibt. Aber das geht nicht.
Daniel hat Schulden, einen Bankkredit in Deutschland, er ist betrunken Auto gefahren. Und musste für einen teuren MPU-Test zahlen. Seither trinkt er keinen Alkohol mehr. Noch 10.000 Euro muss er davon abbezahlen. Vor einigen Jahren hat er begonnen, ein Haus in Rumänien zu bauen, das musste er längst stoppen. Denn: In den vergangenen zwei Monaten hatte er keine Arbeit. Viele Baustellen standen still. Sein früherer Arbeitgeber hatte keine Jobs mehr für ihn. Er schickte ihn einfach von einem auf den anderen Tag nach Hause.
Das passiert vielen Arbeitern. Denn im Baugewerbe brummt es nicht mehr. Lieferengpässe und steigende Materialkosten, Energiekrise durch den Ukrainekrieg, die steigenden Zinsen. Es gibt viele Gründe, weshalb die deutsche Bauwirtschaft in einer Krise steckt.
Daniel interessieren die Gründe nicht, das Ergebnis kennt er ja. Er ist müde. Mehr als einmal schließt er die Augen im Gespräch. Den Job plötzlich zu verlieren, das passiere den Arbeitern gerade öfters.
Daniel wollte nie in Deutschland bleiben. Und doch ist er nun seit 12 Jahren hier.
Daniel versuchte lange, das Beste aus seinem Leben zu machen. Er lernte sogar die deutsche Sprache, in einem Sonntagskurs des Peco-Instituts, eines gewerkschaftsnahen Bildungsvereins. An den anderen Tagen stand er in Mainz, Frankfurt oder Darmstadt auf der Baustelle. Nur einmal habe er gefehlt, sonst war er immer da, sagt er. Aber die vielen Stunden harte körperliche Arbeit würden ihn müde machen. Dreimal hatte er schon einen Bandscheibenvorfall. Und dann unterhalten sich die Deutschen ja doch nicht mit ihm.
Von einem Bekannten hat er gehört, dass er in Rumänien auch 1500 Euro netto verdienen könnte. Nicht so viel wie in Deutschland, aber mit besseren Arbeitszeiten, besserer Behandlung. Hier wird er nur belogen, sagt er. Sein neuer Arbeitgeber hatte ihm eine Arbeitsjacke versprochen. Bekommen hat er sie nicht. Schuhe muss er sich sowieso allein besorgen. „Ist dein Fuß, sagen sie dir.“
Im Grüneburgpark sammelt Adrian manchmal Blaubeeren, dann macht er Schnaps daraus. Dann denkt er an die Heimat.
Nächstes Jahr, hofft Adrian, kann er die letzten Schulden abbezahlen. Dann will er zurück.
Was er und viele Männer gebaut haben, bleibt in Deutschland. Er erinnert sich an das Gallusviertel in Frankfurt, an vielen Baustellen war er dort. An manchen Orten sei es dort jetzt richtig schön. „Wir Ausländer haben in Deutschland wirklich etwas hinterlassen“, sagt Adrian. Wenn er weg ist, werden andere ihr Glück in Deutschland versuchen.
Nürnberg, in einem Motel.
Domas Jankauskas.
„Als ich das erste Mal mit Asbest gearbeitet habe, meinte mein ungarischer Kollege, eine Maske brauch ich nicht.“
Kostenlos gebe es nur den billigsten Arbeitsschutz. Immerhin sein Chef habe auf der Maske bestanden.
„FFP2 würde reichen, wenn ich FFP3 will, muss ich selbst zahlen.“
Nürnberg, U-Bahn-Linie S1.
Adrian Dobres.
Von seiner alten Wohnung im Altbaukomplex in Fürth bis zu seiner neuen Bleibe braucht Adrian 28 Minuten mit der U-Bahn. So schnell, so sauber hier. Sein Auto ist jetzt bei der Tochter in Rumänien.
Adrian zeigt mehrmals aus dem Fenster der U-Bahn, hier habe er Häuser gebaut oder Schulen oder Kindergärten. Nicht selten war der Staat der Bauherr, am Ende arbeiteten auch hier Subunternehmen auf den Baustellen. Ist immer gut ausgegangen, sagt er. Die Menschen konnten einziehen.
Gerade baut Adrian eine Schule, in der irgendwann einmal Kinder lernen sollen. Er spricht nur gebrochen Deutsch, in einem deutschen Sprachkurs war er noch nie. Unter den rumänischen Bauarbeitern erzählt man sich, dass die Osteuropäer am ersten Tag in Deutschland ankommen, am zweiten Tag stehen sie auf der Baustelle.
Manchmal fährt Adrian zu einem der Häuser und Wohnungen, die er gebaut hat. Jetzt schlafen dort Menschen, wo er vor Kurzem noch gearbeitet hat. Immer gut ausgegangen, sagt er, darauf ist er stolz.
Nürnberg, eine kroatische Bar.
Adrian Dobres.
Zeigen will er seine neue Wohnung nicht. Seine fünf Mitbewohner sind an den Sonntagen alle zu Hause. Wenn sie nicht arbeiten, würden sie den ganzen Tag saufen und nur in Unterhose bekleidet vor dem Fernseher sitzen. Adrian schüttelt den Kopf. „Bierkasten nach Bierkasten. Nix gut. Gar nicht“, sagt er. Er will sich lieber in einer kroatischen Bar, zwei Straßen von seiner Wohnung entfernt, unterhalten.
Denn was für Adrian Dobres viel schlimmer als Dreck und betrunkene Mitbewohner ist: Sein Chef betrügt ihn um sein Geld, in manchen Monaten bezahlt er ihn gar nicht. So geht es vielen Arbeitern im Hochbau.
Davon kann auch Alexandru Firus vom Peco-Institut erzählen. Er sitzt neben Adrian, während dieser in einer kroatischen Bar in Nürnberg seinen zweiten Whiskey Red Bull trinkt. Es ist Sonntag kurz vor 11 Uhr. Firus sagt: „Schwarzarbeit und verlängerte Arbeitszeiten halten den Hochbau am Leben.“ Das Institut berät Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus Osteuropa. Firus hat die Kontakte zu den Männern hergestellt, er spricht rumänisch.
„Idiot. Mafiosi, kein Geld, nix bezahlen“, sagt Adrian und nimmt noch einen Schluck aus dem Whiskey Red Bull. Wenn es etwas gibt, das für ihn im Leben wichtig ist, dann ist es sein Kontostand. Kurzfristig entscheidet der darüber, wie viel Geld seine Frau und Tochter in Rumänien von ihm bekommen werden, wie viele Whiskey Red Bulls er am Tag trinken kann – und wie oft er seine neue Freundin im Bordell besuchen wird. Langfristig entscheidet der Kontostand darüber, wie lange Adrian noch in Deutschland bleiben wird, dem Land, in dem die Menschen keine Seele haben, wie er sagt.
Sein Chef, „der Serbe“, hat seinen Lohn noch nie vollständig bezahlt. Manchmal bekommt er fünfhundert Euro zugesteckt, mal tausend. Nie genug. 4992 Euro schuldet ihm der Serbe für sechs Monate Arbeit, sagt Adrian. Er zeigt einen Whatsapp-Verlauf, wo er mit ihm über das Geld streitet. „Der behauptet, ich hätte wenig Stunden gearbeitet.“ Eine Lüge. So laufe es immer.
Gerade weigert sich Adrian, auch am Wochenende zu arbeiten, der Lohn würde ja doch nicht kommen.
Vor dem Serben war Adrian bei einem Türken beschäftigt. Der Türke, der Serbe, der Rumäne. Im Bau spielt die Herkunft eine Rolle. Ganz oben stehen die Serben, sie kamen als Erstes nach Deutschland, heute haben sie oft eigene Firmen. Eine der größten Gruppen sind inzwischen die Rumänen. Aber selbst die Rumänen würden die Rumänen bescheißen und die Serben die Serben, sagt Adrian. Eigentlich also auch egal.
Aber der Türke hätte immerhin bezahlt. Bis zu 3000 Euro im Monat, nicht offiziell natürlich, aber auf die Hand. Von dem Geld hat Adrian seiner Tochter eine Eigentumswohnung gekauft, fünfzehn Minuten von Bukarest entfernt. Dann meldete der Türke Insolvenz an, wollte auch nicht mehr zahlen. Alle Unternehmen sind schlecht, aber manche sind schlechter. So ist das am Bau.
Der Serbe, Adrians neuester Chef, ist am schlechtesten. Ein Subsubunternehmer, kleiner Gauner, sagen sie hier zu Unternehmen wie diesen. Sie haben oft keine festen Baustellen, sondern springen dort ein, wo Mitarbeiter gebraucht werden. Dem Serben hat Adrian ein Haus gebaut. Vier Zimmer oben, vier Zimmer unten, ein Keller. Das Mauerwerk hat Adrian allein gebaut.
Sowieso war er oft allein auf der Baustelle – nach deutschem Recht verboten. Aber das deutsche Recht zählt hier nichts.
Und für Adrian ist es auch nicht so wichtig. Mehr ärgert er sich darüber, dass der Serbe jetzt überhaupt ein Haus hat, während er ihn in seiner alten Mietwohnung verrotten lässt. Wie viel er dafür bezahlt, weiß er nicht. Das zieht der Serbe ihm einfach vom Lohn ab, der ja sowieso nicht kommt.
Weil das offizielle Gehalt auf der Lohnabrechnung so gering ist, findet Adrian keine eigene Wohnung. Nur ein Bett, das so viel kostet wie sonst ein WG-Zimmer in der Großstadt. Nur sind die WG-Zimmer schöner. Adrian sagt, er hasse Schmutz. Deswegen würde er lieber allein leben. Damit meint er keine eigene Wohnung. „Ein Zimmer für mich passt schon.“
Nur einmal hatte Adrian eine eigene Wohnung, in der Nähe von Hof in Bayern. Die Baustelle war so klein, eine große Arbeiterunterkunft lohnte sich hier nicht. Da kam erst seine 28-jährige Tochter zu Besuch, danach seine Frau, die blieb länger. Die Kleinstadt hat ihr nicht gefallen, jetzt ist sie wieder in Rumänien. Nach Nürnberg würde sie gern häufiger kommen, aber in der Stadt gibt es keine Wohnung für ihn, da wollen Vermieter Lohnabrechnungen, auf denen etwas draufsteht. Auf Facebook hat er es mal versucht mit der Wohnungssuche, geklappt hat es bisher nicht.
Alexandru Firus vom Peco-Institut sagt, damit sich etwas ändert, müssten die deutschen Baukonzerne wieder zu ihrer Kerntätigkeit zurückkehren: Fundamente gießen, Wände hochziehen, einfach bauen. Danach sieht es gerade nicht aus.
Und Adrian?
„Katastrophe“, fasst er seine eigene Situation zusammen. „Was tun?“, fragt er und erwartet keine Antwort. Dann lacht er wieder.