Godo Röben-Interview zu veganem Essen und Laborfleisch
Neue Märkte werden gern mal abgeschrieben. Solchen Abgesang kenne ich, seit wir vor nunmehr zehn Jahren bei Rügenwalder die vegetarische Mortadella ins Sortiment aufgenommen haben. Trotz vieler Rückschläge machte das Unternehmen schon 2022 mehr Umsatz mit dem veganen Sortiment als mit tierischen Produkten. Der Markt für fleischlose Lebensmittel ist im vergangenen Jahr in Deutschland um 7 Prozent gewachsen, im März gab es schon wieder ein Umsatzplus von 18 Prozent. In den Supermärkten gibt es nicht so viele Segmente mit Zuwachsraten zwischen 7 und 70 Prozent, wie sie vom Veggie-Sortiment in den vergangenen zehn Jahren geliefert wurden.
Man sollte lieber fragen, warum Lebensmittel aus Lebewesen bisher so billig verramscht werden. Aber zurück zu Ihrer Frage: Die Preise der Veggie-Artikel und der tierischen Artikel werden sich nach und nach angleichen, und dann werden die pflanzlichen Artikel meines Erachtens nach sogar günstiger werden. Denn auf der einen Seite werden bei den pflanzlichen Artikeln Skalierungseffekte durch höhere Mengen entstehen. Auf der anderen Seite werden die tierischen Produkte in Zukunft teurer. Neben den besseren Haltungsbedingungen, die Geld kosten, wird es wahrscheinlich auch zu einer Tierwohlabgabe und oder zu einer höheren Mehrwertsteuer für Fleischprodukte kommen. Und noch ein Satz zur Preissenkung von Lidl: Dort hat man sich aus Nachhaltigkeitsgründen zum Ziel gesetzt, den Anteil der alternativen Proteine zu verdoppeln – und mit der Preissenkung schon jetzt einen großen Zuwachs im pflanzlichen Sortiment erreicht.
Ja, auf jeden Fall. Bis in die 70er-Jahre hinein war es ohnehin normal, nicht so viel Fleisch zu essen. Erst danach ist man auf diese ungeheuren Fleischmengen von bis zu einem Kilo pro Woche gekommen. Heute sieht sich etwa die Hälfte der Bevölkerung als Flexitarier und ist gewillt, den Konsum von tierischen Produkten zu reduzieren.
Auf Fleisch verzichten mit Blick auf den Klimaschutz oder das Tierwohl ist das eine. Was hat man denn selbst davon, wenn man zu veganen Wurst- oder Fleischalternativen greift?
Klimawandel und Tierleid ziehen nicht so. Die Leute haben aktuell keinen Bock, die Welt zu retten. Aber es gibt doch zu denken, wenn Ihnen der Arzt sagt, Sie sollen besser jeden Tag pflanzliche Fette zu sich nehmen, zum Beispiel einen Löffel Leinöl, statt tierisches Fett zu konsumieren. Mit dem Fleischverzehr steigt das Risiko für viele Krankheiten, auch für Krebs. Auf rohem Fleisch können zudem resistente Bakterien sitzen – das macht nachdenklich mit Blick auf die Gefahr von Antibiotika-Resistenzen.
Was hat mehr Potential: Nachahmer-Produkte für Fleisch oder Wurst oder eher ganz andere, neue Gerichte?
Es wird immer so bleiben, dass wir Fleisch essen wollen, die meisten von uns jedenfalls. Mir geht es auch so. Ich mag den Geruch, den Geschmack, den Biss. Trotzdem will ich auf echtes Fleisch verzichten, weil ich so viele Schlachthöfe von innen gesehen habe, und auch, weil mein Arzt es mir empfiehlt. Übrigens ist das auch gut für die Landwirtschaft. Wenn ich mit Niedersachsens Ministerpräsident Weil spreche, sagt der ganz klar, dass keine neuen größeren Ställe mehr genehmigt werden. Aber die Landwirte können mit dem Pflanzenanbau ein zweites Standbein etablieren: Soja, Erbsen, Weizen aus Deutschland werden immer mehr verarbeitet. Da wird viel in die Forschung investiert, und daher wird sich dort auch viel entwickeln.
Wäre es nicht schlauer, die Köche würden tolle neue Rezepte aus Gemüse kreieren?
Ja sicher, das ist auch ein Hebel. Der Verzicht auf Fleisch wird derzeit nicht eins zu eins durch Fleischalternativen ersetzt. Während der Verzehr von Fleisch in den vergangenen 15 Jahren um 10 Kilo je Person jährlich abgenommen hat, ist der Veggie-Markt nicht im gleichen Umfang gewachsen. Übrigens lehrt ein Blick zurück, dass Verzicht nicht klappt. Die Grünen haben immer Verzicht gepredigt, wenn es um eine Wende ging. Das war bei den Autos so, bei Strom und eben auch bei der Ernährung – und das flog ihnen immer um die Ohren.
Der Riesenerfolg etwa von Beyond Meat beruhte ja darauf, dass die Veggie-Burger kaum von anderen Burgern zu unterscheiden waren. Ähnlich begründet ist wohl der Erfolg von Rügenwalder – die Veggie-Wurst schmeckte nicht nach Verzicht. Ist das inzwischen Standard, sind die alternativen Fleisch- und Wurst-Produkte inzwischen alle so gut?
Nein. Ich kaufe alles, was neu auf den Markt kommt, und finde: 80 Prozent der Fleisch-Alternativen sind schlecht, in vielerlei Hinsicht. Es geht um den Geruch beim Braten, um die Textur, um die Verwendung von Zusatzstoffen. Da ist noch viel zu tun. Das haben die großen Unternehmen aber alle verstanden.
Tatsächlich liest sich die Zutatenliste mancher Veggie-Produkte aufregender als die vom Chemiebaukasten im Kinderzimmer.
Das war vor zehn, zwölf Jahren Stand der Dinge. So schlimm ist es nicht mehr. Inzwischen gibt es einige Unternehmen, die komplett auf Zusatzstoffe verzichten, etwa Billie Green oder Like Meat oder Planted Foods in der Schweiz.
Ist es eine Frage von Geld, um das zu erreichen?
Geld und Leidenschaft. Im Fall von Billie Green waren es zwei Studenten aus Münster, die auf die Idee kamen, die Technologie der Fermentation einzusetzen. Sie brauchen für die Salami-Alternative Weizen, Rapsöl, Wasser und Gewürze, aber keine Zusatzstoffe mit E-Nummern. Obwohl ich dort im Beirat bin, weiß ich leider selbst nicht genau, wie das funktioniert. Inzwischen arbeiten viele Unternehmen an fermentierten Produkten.
Bei Fermentation denkt die schwäbische Hausfrau . . .
. . . an Sauerkraut, ja. Oder an Joghurt. Kefir. Kimchi. Fermentation ist ewig lang bekannt. Heute fließt das Geld in Präzisionsfermentation. Da können Sie durch Technologie ganz präzise bestimmen, welche Eigenschaften ein Produkt haben soll hinsichtlich Aroma, Textur und so weiter.
Welche Unternehmen sind das, die in solche Technologien investieren?
Billie Green gehört zu Infamily Foods, dem zweitgrößten Wursthersteller in Deutschland, der das Thema pflanzliche Proteine seit einigen Jahren forciert. Ansonsten: die Aromenhersteller, wie Givaudan oder Symrise, die dafür riesige Innovationscenter gebaut haben, weil sie mit Blick auf den Weltmarkt die stärksten Wachstumschancen im Bereich der pflanzlichen Proteine sehen. Unterstützt werden sie von Maschinenbauern wie Bühler oder Handtmann. Während wir bei Rügenwalder für die erste Veggie-Mortadella einfach die vorhandenen Wurst-Cutter genutzt haben, ist die Produktion mittlerweile viel komplexer geworden und braucht ganz andere Technologie. Und natürlich stecken auch die großen Konzerne wie Nestlé und Unilever viel Geld in die Entwicklung, weil sie von ihren Investoren wie etwa Blackrock explizit dazu aufgefordert werden.
Hört sich an, als hätte der Mittelstand kaum eine Chance.
Da gab es lange viel Skepsis. Wegen unserer Veggie-Offensive wurden wir von Rügenwalder als Vaterlandsverräter bezichtigt, die Bauernverbände und die CDU in Niedersachsen sind durchgedreht. Tatsache ist, dass der Fleisch- und Wurstmarkt Jahr für Jahr schrumpft. Ein Drittel der Hersteller aus diesem Bereich werden das nicht überleben. Das ist nicht meine persönliche Prognose, sondern Ergebnis einer Studie von Ebner Stolz.
Was bräuchten die Firmen am dringendsten, um selbst in diesem Geschäft mitzuspielen?
Ganz klar geht es erst mal um den Willen, um die Überzeugung, dass der Weg richtig ist. Viele Mittelständler haben ja lange gehofft, das wäre eine Welle, die nach ein paar Jahren wieder abebbt. Und dann geht es darum, sich mit Know-how einzudecken. Das war für mich auch die Motivation, mit meiner Erfahrung bei Rügenwalder nicht woanders als Chef anzufangen, sondern als Beirat und Aufsichtsrat diesen jungen Markt voranzubringen. Übrigens ist auch die Politik gefordert. So langsam gibt es auch Fördergelder – ausgelöst durch eine Expertenrunde um die frühere Landwirtschaftsministerin Renate Künast, zu der ich auch gehöre. Unser Ziel ist, auch die Forschung im Feld der pflanzlichen Proteine gezielt zu fördern.
Ich frage mich ja, ob wir nicht unseren Kompass für gesunde Ernährung verlieren, wenn wir zunehmend Produkte zu uns nehmen, die hochgradig verarbeitet wurden.
Also, täuschen Sie sich mal nicht: Salami und Mortadella sind auch künstliche Produkte. Was die Studienlage angeht, weiß man, dass ultraprozessiertes Essen nicht generell ungesund ist, außer in zwei Fällen: bei Softdrinks wie Cola und bei Wurst aus Tier.
So richtig gruselig wird es aber doch, wenn das Fleisch eines Tages nicht mehr aus Weizen oder Soja oder Erbsen zusammengemixt und aromatisiert wird, sondern aus tierischen Zellen gezüchtet. Das funktioniert ja auch schon?
Ja, und in diesem Geschäft kann sogar der Bauer mitspielen. Neben seinem Stall mit 3000 Schweinen stellt er in einen anderen Stall Fermentationstanks, wo er mit Schweinezellen und Nährstoffen Fleisch wachsen lassen kann. Angenommen es käme ein Außerirdischer und müsste das beurteilen, käme ihm das wohl schlauer vor als die Verwendung von Fleisch aus den Ställen nebenan, wo die Schweine sich gegenseitig die Schwänze abbeißen.
Was hemmt die Entwicklung noch?
Erstens unsere Gedanken: Für uns ist das immer noch Frankenstein-Food. Dann die Genehmigungsverfahren. In Singapur und den USA gibt es so was schon, in der EU wird es sicher noch einige Jahre dauern. Und dann die Kosten. Der erste Burger kostete ein paar Hunderttausend Dollar, wobei da natürlich der Forschungsaufwand abgebildet wurde. Aber generell werden die Kosten hoch sein für die nötige Nährlösung und die Energie.
Das hört sich nicht danach an, als ob wir bald Laborfleisch im Restaurant bekommen.
Bei Infamily Foods höre ich, die Kosten könnten schon mit denen von Fleisch und Wurst konkurrieren. Aber trotzdem wird es noch mindestens fünf bis zehn Jahre dauern, bis wir Steaks aus dem Fermentationstank im Supermarkt bekommen. Manche Restaurants werden womöglich schneller dran sein. Man muss aber sehen: Jede große Wende dauert fünfzig bis sechzig Jahre. Und wir haben in Sachen Ernährungswende gerade erst zehn Jahre hinter uns.