Arbeitsmarkt: Teilzeit-Hochburg Deutschland
Die Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften. Doch in Deutschland wächst die Zahl derer, die derzeit nicht für den Arbeitsmarkt verfügbar sind, etwa aufgrund der Kinderbetreuung oder aus gesundheitlichen Gründen, die prinzipiell aber gerne arbeiten würden. 3,2 Millionen Menschen zählten im vergangenen Jahr zu dieser sogenannte Stillen Reserve, teilte das Statistische Bundesamt am Donnerstag mit. Im Vorjahr waren es rund 3 Millionen Menschen, rund 16 Prozent der sogenannten Nichterwerbspersonen zwischen 15 und 74 Jahren. Der Frauenanteil in der Stillen Reserve beträgt 57 Prozent. Mehr als die Hälfte der Menschen, die dem ungenutzten Arbeitskräftepotential zugerechnet werden, hatten 2023 eine abgeschlossene Berufsausbildung oder die Hoch- beziehungsweise Fachhochschulreife.
Die größte Gruppe innerhalb der Stillen Reserve ist zugleich die arbeitsfernste: 1,85 Millionen Personen äußern zwar einen generellen Arbeitswunsch, suchen aber weder eine Arbeit noch wären sie nach eigenen Angaben kurzfristig verfügbar. Weiter 945.000 Frauen und Männer gaben an, sie seien aktuell nicht auf Jobsuche, da sie zum Beispiel glaubten, keine passende Tätigkeit zu finden. Ein großes Hemmnis bilden Betreuungspflichten. Diese standen im vergangenen Jahr 372.000 Menschen im Wege, die sich prinzipiell Arbeit wünschen. Fast ein Drittel der Frauen in der Stillen Reserve gaben an, wegen Betreuungspflichten keine Arbeit aufnehmen zu können. Bei den Männern waren es nur 4 Prozent.
Die Arbeitgeber bekräftigten nochmals, die Politik müsse die Pflege- oder Kinderbetreuungsstruktur verbessern. „Da müssen die Zusagen des Staates endlich eingelöst und Defizite beseitigt werden,“ sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Steffen Kampeter der F.A.Z. Auch sei es in Zeiten von Arbeits- und Fachkräftemangel in Deutschland wichtig, „gesetzliche Teilzeitansprüche kritisch zu hinterfragen“. Neue Teilzeit- oder Freistellungsansprüche brauche man deshalb„keinesfalls“.
Es gibt auch Ideen zur Lösung des Problems
Der Ministerpräsidenten von Sachsen, Michael Kretschmer (CDU) hatte unlängst die Idee ins Spiel gebracht, das seit 2001 gesetzlich verankerte Recht auf Teilzeit abzuschaffen. Es sei ein Fehler gewesen, „Möglichkeiten wie die Teilzeit von der Ausnahme zur rechtlich abgesicherten Regel erklärt haben“, sagte er in einem Interview mit dem „Handelsblatt. Politiker der Ampelparteien widersprachen energisch. „Wer das Recht auf Teilzeit in Frage stellt, ignoriert die Bedürfnisse von Familien in Deutschland. sagte Familienministerin Lisa Paus der F.A.Z.
Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, sagte, die Abschaffung des Teilzeitrechts wäre ein „schädlicher Eingriff für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen“. Betrieben nähme es die Flexibilität, Arbeit so aufzuteilen, wie es die Auftragslage und betrieblichen Erfordernissen gerecht wird. Martin Rosenmann, arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte der F.A.Z., „wer glaubt, dass eine Beschneidung des Rechts auf Teilzeit für mehr Vollzeitbeschäftigung sorgt, hat die Dynamik des Fachkräftemangels nicht verstanden.“
Susanne Wanger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), sagte, „generell sollte es weniger in Richtung allgemeiner Arbeitsmodelle gehen, sondern um mehr Gestaltungsspielräume bei der Arbeitszeit, eine größere Durchlässigkeit zwischen Voll- und Teilzeit und eine partnerschaftliche Rollenverteilung.“ Oliver Stettes, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ergänzte, Teilzeitbeschäftigung entspreche offenkundig gerade den Wünschen von Frauen, auf die die Unternehmer eingehen müssten, wenn sie attraktiv für Arbeitnehmer sein wollten. Wenn man das Recht auf Teilzeit abschaffe, werde sich an diesen Bedürfnissen nichts ändern.
Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei Frauen ist in den vergangenen Jahren vor allem durch kräftige Zuwächse bei der Teilzeitbeschäftigung gestiegen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit arbeiten fast die Hälfte aller Frauen (49,8 Prozent) in Teilzeit. Bei den Männern sind es nur knapp 13 Prozent.