Trotz Subventionen: Da wächst noch wenig
Am 2. September 2021 war Peter Altmaier ein glücklicher Mann. Der damalige Bundeswirtschaftsminister besuchte an jenem Tag das Werk des Autoherstellers Opel in Kaiserslautern. Mit dabei hatte der CDU-Politiker einen Förderbescheid über 437 Millionen Euro. „Wir wollen, dass die innovativsten, nachhaltigsten und effizientesten Batterien aus Deutschland und Europa kommen“, sagte Altmaier. Die geplante Batteriefabrik von ACC – ein Gemeinschaftsunternehmen von Opel , seiner französischen Muttergesellschaft Stellantis , Mercedes und dem Batteriehersteller Saft – sei dafür „zentral“. Von 2000 Mitarbeitern und Batteriezellen für eine halbe Million Elektroautos im Jahr war die Rede. Altmaier sprach von einem „Meilenstein für die Transformation der deutschen Automobilindustrie hin zu nachhaltigen Antrieben“.
Knapp drei Jahre später ist von dem Meilenstein nicht viel zu sehen. Dort, wo die Batteriefabrik entstehen soll, befindet sich eine braune Brache mit einigen Sandhügeln. Die Baugenehmigung liegt schon seit Monaten vor, doch der für Ende 2023 geplante Spatenstich lässt auf sich warten. Die Inflation hat die Baupreise in die Höhe getrieben, der Absatz von Elektroautos bleibt hinter den Erwartungen zurück. Zudem fehle es an Planungssicherheit hinsichtlich der Stromkosten, kritisierte der Deutschlandchef der Automotive Cells Company ACC, Peter Winternheimer, in der F.A.Z. Das Unternehmen wünscht weitere Subventionen vom Bund und vom Land Rheinland-Pfalz. Bis auf Weiteres dümpelt das Vorzeigeprojekt vor sich hin.
Die Brache von Kaiserslautern ist ein gutes Beispiel für die Risiken und Nebenwirkungen staatlicher Industriepolitik. Schon die große Koalition von Angela Merkel versuchte, Unternehmen mittels finanzieller Anreize in die politisch gewünschte Richtung zu lenken – hin zu mehr Klimaschutz, hin zu mehr Unabhängigkeit von Importen aus Asien. Altmaier war einer der Treiber der IPCEI. Das sind gemeinsame europäische Fördertöpfe für wichtige strategische Projekte („Important Projects of Common European Interest“).
50 Milliarden Euro für den Umbau der deutschen Wirtschaft
Von 2018 an entstanden diese Töpfe zuerst für neue Halbleiterfabriken, später auch für Batterien für Elektroautos und für die Wasserstoffwirtschaft. EU-weit hat die Europäische Kommission seit 2018 nationale Förderzusagen im Wert von fast 35 Milliarden Euro im Rahmen dieser Programme genehmigt, darunter 6,1 Milliarden Euro für Batterietechnik. Der amtierende Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist ein noch größerer Anhänger von Industriepolitik als Altmaier. Allein in diesem Jahr sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds fast 50 Milliarden Euro Fördermittel in den Umbau der deutschen Wirtschaft fließen.
Unter Ökonomen ist diese Politik umstritten. Einige verteidigen die Milliardenzuschüsse als notwendige Anschubhilfe für Techniken, denen die Zukunft gehöre. Andere sehen in den Subventionen und den damit verbundenen Vorgaben, wie künftig produziert, Auto gefahren und geheizt werden soll, eine Innovations- und Wachstumsbremse. Soll die Politik entscheiden, wie die CO2-Emissionen am besten gesenkt werden, oder die Wirtschaft? Es ist eine Grundsatzdebatte ohne Ende. Der Blick auf die in den vergangenen Jahren verteilten Subventionen aber zeigt: Die Hoffnungen erfüllen sich häufig nicht – zumindest nicht in dem Ausmaß, wie die Politik sich das gedacht hatte.
Viel Geld, wenig Fortschritt
Zum Beispiel in Kaiserslautern. Die dort geplante „Gigafabrik“ zur Batterieherstellung ist eine von dreien, die ACC in Frankreich, Deutschland und Italien bauen will. Für die strukturschwache Westpfalz hatte das Konsortium bis 2030 Investitionen von mehr als zwei Milliarden Euro versprochen. Zwischen 500 und 600 Millionen Euro sollte ursprünglich jeder der drei geplanten Produktionsblöcke in Kaiserslautern kosten. Jetzt rechnet ACC allein für den ersten Block schon mit Kosten von mehr als einer Milliarde Euro.
Wie viel zusätzliche Subventionen das Unternehmen von der Politik will, ist nicht bekannt. Sofern die Mittel bewilligt werden, soll der Bau der Fabrik im Sommer beginnen, die Produktion dann in zwei Jahren, ein Jahr später als geplant. Wann die anderen Produktionsblöcke gebaut werden, dazu hält das Unternehmen sich mit Verweis auf die unsichere Marktentwicklung bedeckt. Der Absatz von Elektroautos in Europa stagniert, in Deutschland ist er sogar rückläufig. Das hat auch mit den gestrichenen staatlichen Kaufprämien zu tun. Man sei in guten Gesprächen mit dem Bundeswirtschaftsministerium und der Landesregierung, heißt es aus dem Unternehmen.
Zumindest um die Arbeitsplätze in dem Opel-Werk in Kaiserslautern muss die Politik sich derzeit wenig Sorgen machen. Nach schwierigen Jahren, Stellenabbau und gescheiterten Verkaufsplänen sieht Stellantis das Werk mittlerweile als „Schlüsselstandort im internationalen Produktionsnetzwerk“. Die zuletzt noch 1000 Arbeitsplätze dürften also gesichert sein. Die Arbeitsplätze für die Batteriefertigung kämen obendrauf. Opel produziert in Kaiserslautern seit mehr als fünfzig Jahren Motoren und Komponenten, inzwischen auch für andere Marken von Stellantis wie Peugeot und Fiat.
Auch ins baden-württembergische Ellwangen reiste Altmaier einst mit einem Förderbescheid. Im Juni 2020 war das. Zu Ehren des hohen Besuchs aus Berlin hatte der Batteriehersteller Varta die Deutschlandfahne gehisst. Einen Scheck über 300 Millionen Euro aus dem Batteriezellen-IPCEI brachte Altmaier nach Ellwangen mit und versprach: „Nun machen wir den nächsten Schritt hin zur Großserie bei Batteriezellen für automobile und industrielle Anwendungen.“
Fast vier Jahre später läuft die Batterieproduktion zwar. Der Aufbau einer Großserie ist allerdings in weite Ferne gerückt.
Pläne liegen auf Eis
In einem Teilprojekt nutzte Varta 100 Millionen Euro der Fördersumme, um Lithium-Ionen-Zellen mit einer höheren Leistung zu entwickeln. Ausgangspunkt waren die Knopfzellen des Unternehmens, die unter anderem der amerikanische Technikkonzern Apple schon seit Langem in seine Ohrhörer einbaut. Das Ziel des zweiten Teilprojekts war es, die neue Technik auf andere Batteriearten auch für Elektroautos zu übertragen. Dafür rief Varta weitere 100 Millionen Euro ab und stellte vor drei Jahren „V4drive“ vor. Diese Batterie produziert das Unternehmen in kleiner Serie auf einer Pilotanlage in Ellwangen. Abnehmer ist der Sportwagenhersteller Porsche.
Für die von Altmaier erhoffte Großserie wollte Varta bis zu 500 Millionen Euro in eine neue Fabrik im bayrischen Nördlingen investieren. Diese Pläne hat das Unternehmen wegen finanzieller Schwierigkeiten auf Eis gelegt. Die Krise begann im Herbst 2022, als sich Energie, Rohstoffe und Vorprodukte verteuerten. Zugleich reduzierten Kunden ihre Bestellungen für die Lithium-Ionen-Knopfzellen, darunter Apple. Der Elektronikkonzern hatte zuvor in seine Ohrhörer fast ausschließlich die Knopfzellen von der Ostalb eingebaut, greift nun aber zur Diversifizierung auch auf andere Hersteller zurück.
Varta legte ein Restrukturierungsprogramm auf. 800 der 3750 Stellen sollen bis 2026 gestrichen werden. Doch weil die Nachfrage nach den Knopfzellen noch stärker sinkt und das Unternehmen auch noch Opfer eines Hackerangriffs wurde, reicht das Sparprogramm nicht aus. Vor vier Wochen teilte Varta mit, das Rettungskonzept müsse nachgebessert werden. Der von der Politik erhoffte Vorreiter in der Batterietechnik kämpft jetzt erst mal um seine Existenz.
Gaia-X, das war wohl nichts?
Und dann war da noch Gaia-X, ein Projekt zur Stärkung der europäischen Souveränität, der Versuch, eine Art Airbus der IT-Wirtschaft zu schaffen. Airbus steht dabei als Symbol für staatliche Subventionen, mit denen die Europäer einen Wettbewerber zum amerikanischen Flugzeughersteller Boeing großgezogen hatten. Im August 2019 gab Altmaier den Startschuss für die Schaffung einer europäischen Datencloud. Gaia-X sollte Unternehmen dazu bewegen, nicht mehr die Cloudangebote amerikanischer Konzerne wie Google, Amazon und Microsoft zu nutzen, sondern ihre Daten in Europa zu speichern und zu verarbeiten.
Weil kein europäisches Unternehmen in Sicht war, das es allein mit den amerikanischen Platzhirschen aufnehmen konnte, schuf die Politik mit Gaia-X eine Art Datenwolken-Netzwerk: Kleinere Cloud-Anbieter sollten sich vernetzen und auf diese Weise hohe Rechenkapazitäten anbieten können. Nichts Geringeres als ein „Moonshot in der Digitalpolitik“ sollte es laut Altmaier werden. Übersetzt heißt das Mondflug, aber im übertragenen Sinne sind damit Projekte gemeint, die fast unmöglich erscheinen.
Gaia-X entstand, doch der große Durchbruch wurde es trotz der knapp 200 Millionen Euro Fördermittel für ausgewählte Leuchtturmprojekte nicht. Die Ursprungsidee hat sich nicht erfüllt. Selbst die Bundesregierung vertraut auf die Angebote der Privatwirtschaft. Gerade erst vergab sie einen 400-Millionen-Euro-Auftrag zur Speicherung sensibler Daten der Bürger an Ionos, das zu United Internet gehört.
In der Branche wird das Projekt dennoch verteidigt. „Der Wert von Gaia-X ist, dass Regeln definiert werden, wie Unternehmen Daten austauschen. Unternehmen, die sonst im Wettbewerb stehen“, sagt Lukas Klingholz vom Digitalverband Bitkom, der dem Gaia-X-Verein angehört. Vieles habe sich im Fahrwasser von Gaia-X entwickelt. „In diesen fünf Jahren haben die US-amerikanischen Cloud-Anbieter sogenannte souveräne Angebote auf den europäischen Markt gebracht“, sagt Klingholz.
Kaum seriöse Evidenz
Welche Subventionen zahlen sich aus, welche nicht? Was kann die Politik daraus lernen? Ökonomen fällt die Antwort auf solche Fragen schwer. „Ich sehe das größte Problem darin, dass wir seriöse, qualitativ hochwertige und auf Mikrodaten beruhende Forschung kaum haben“, sagt Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Die Erfahrungen seien eher anekdotischer Natur. Schularick warnt, diese zu verallgemeinern: „Die Tatsache, dass acht von zehn Investitionen nicht erfolgreich sind, muss nicht heißen, dass sich das alles nicht gelohnt hat. Die sozialen Renditen auf Nummer neun oder zehn können so hoch sein, dass sich das ausgleicht.“
Anekdotische Evidenz gibt es auch für den umgekehrten Fall, dass ohne Finanzhilfe vom Staat etwas Neues entsteht. Ein Beispiel ist die Fabrik des amerikanischen Elektroautoherstellers Tesla im brandenburgischen Grünheide. Neben der Autofabrik baute Tesla in Grünheide eine Batteriefabrik, die im Frühjahr 2023 in Betrieb genommen wurde. Ursprünglich hatte Tesla für diese Fabrik – wie in der Branche üblich – staatliches Fördergeld aus dem IPCEI für die Batterieherstellung beantragt. Im Herbst 2021 standen die Gespräche mit Bundesregierung und EU-Kommission kurz vor dem Abschluss. Mehr als eine Milliarde Euro Zuschuss hatte Tesla in Aussicht. Dann zog das Unternehmen überraschend seinen Antrag zurück.
Unternehmensgründer Elon Musk begründete das damit, dass Tesla Subventionen grundsätzlich ablehne. In Berlin wurde aber vermutet, dass dem Unternehmen die Auflagen der EU-Kommission für die Inanspruchnahme der IPCEI-Fördermittel zu kompliziert waren. Eine reine Erfolgsgeschichte ist der Fall Tesla aber auch nicht. Die geplante Erweiterung der Batteriefabrik in Grünheide hat das Unternehmen aufgeschoben. Stattdessen soll jetzt erstmal in Amerika investiert werden – wegen der besseren Rahmenbedingungen dort, aber auch wegen der höheren Subventionen.