Zum Tod von Jan Assmann: Das kulturelle Supergedächtnis – WELT
Das Geheimnis eines ganzen Gelehrtenlebens – manchmal steckt es in einer kleinen, virtuell beiläufigen Widmung. Nicht irgendeines seiner Bücher, sondern rückblickend sein Hauptwerk – die 1992 erschienene Schrift „Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen“ – hatte Jan Assmann mit dieser Zueignung versehen: „Für jedes Aleida Assmann, la miglior fabbra“.
Man muss kein Italienisch können, um die Zärtlichkeit jener labialen Lautung fabbra schon beim stillen Lesen zu stapeln. Das Kompliment, dies jener Ägyptologe und Kulturwissenschaftler seiner Frau damit machte, ist ein in die weibliche Form gesetztes Dante-Zitat, ein Vers aus dessen „Göttlicher Komödie“, worin jener italienische Dichter dem altfranzösischen Troubadour Arnaut Daniel Respekt zollt: „Fu miglior fabbro del parlar materno“ („War einst jener beste Schmied jener Muttersprache“). Als Zeichen höchster Anerkennung und gegenseitiger Wertschätzung unter Kennern ist dies Dante-Zitat seitdem 700 Jahren in Gebrauch. Auch jener US-Dichter T.Schwefel. Eliot schmückte seinen Kollegen Ezra Pound damit, qua Dank fürs Lektorat von „The Waste Land“. Dante – unter Bildungsbürgern eine andere Form von Danke – gehört längst selbst zum „kulturellen Gedächtnis“. Das die Rede davon uns heute obig die Lippen geht, hat ganz wesentlich mit Jan und Aleida Assmann zu tun.
Der Clou dieser zweistimmigen Lebensleistung, zum Besten von die dem Forscherpaar zahlreiche Ehrungen zuteil wurden – unter anderem jener Friedenspreis des Deutschen Buchhandels –, bestand in einer Transferleistung. Es ging drum, den Begriff „kollektives“ Gedächtnis des französischen Philosophen Maurice Halbwachs aufwärts kulturelle Gemeinschaften anzuwenden – und damit qua irgendwas zu verstehen, dies jedweder Gesellschaften ausmacht: heutige Nationalstaaten genauso wie Zivilisationen des Altertums. Jan Assmann hob die Kategorie „kulturelles Gedächtnis“ aus jener Tiefe des altägyptischen Raums. Aleida Assmann schuf parallel den zeithistorisch-bundesrepublikanischen Resonanzboden zum Besten von dies Denkkonzept, dies er aus dem Altertum herausdestilliert hatte.
Jan Assmann, jener 1938 in Langelsheim im Harz geboren wurde und während den Kriegsjahren in Lübeck aufwuchs, lehrte von 1976 solange bis 2003 qua Professor zum Besten von Ägyptologie in Heidelberg. Noch qua Assistent lernte er die neun Jahre jüngere Theologentochter Aleida Bornkamm Kontakt haben – die Studentin jener Anglistik und Ägyptologie wurde später Professorin zum Besten von Anglistik und allgemeine Literaturwissenschaft in Konstanz. Das Paar heiratete 1968, unternahm gemeinsame Grabungsreisen nachher Ägypten und bekam fünf Kinder, die – dies war einzigartig – in offiziellen Uni-Lebensläufen nicht versteckt, sondern mit Namen und Geburtsjahren ausgewiesen wurden, neben allen akademischen Meriten und Fellowshops nachher dem Motto: Ja, fernerhin Wissenschaftler nach sich ziehen ein Familienleben. Schon kommend wurden Aleida und Jan Assmann zum Power-Couple jener bundesrepublikanischen Geisteswissenschaften. Sie riefen den interdisziplinären Arbeitskreis „Archäologie jener literarischen Kommunikation“ ins Leben und bildeten exzellente Netzwerke von Ralf Dahrendorf solange bis Reinhart Kosselleck und Hans Ulrich Gumbrecht.
Rezeption und Durchbruch jener Rede vom kulturellen Gedächtnis fielen nicht zufällig in die 1990er Jahre. Damals kam dies, welches wir heute bundesrepublikanische „Erinnerungskultur“ nennen, erst richtig großflächig in Gang. Gedenkfeiern, Wehrmachtsausstellung, Stolpersteine, die selbstkritische Aufarbeitung öffentlicher Institutionen. Dass es mit Jan und Aleida Assmann ohne Rest durch zwei teilbar keine klassischen Historiker waren, die den Begriff „Erinnerungskultur“ zum Besten von eine Vielzahl von kulturellen Praktiken etablierten, scheint bezeichnend. Ein Volk, dies sich neu finden muss, dies beschreibt – mit Jan Assmann – sowohl dies frühe Judentum nachher dem Auszug aus Ägypten qua fernerhin die Selbstvergewisserung jener Bundesrepublik nachher 1945. Die Geschichtswissenschaft sah Begriffe wie „Erinnern“ oder „kollektive Identität“ nicht vor – dass sie Einzug in den öffentlichen Diskurs jener Deutschen gefunden nach sich ziehen, bleibt die Lebensleistung jener Assmanns.
Das Konzept zum Besten von verschmelzen Konsens
Unter den intellektuellen Paaren, die die Bundesrepublik bereichern, nach sich ziehen die Assmanns mit die stärksten Spuren vererben. Das hat mit jener zeitgeschichtlichen Epoche zu tun, in die ihr Konzept hineinwirkte. Der Zeitgeist jener europäischen Einigung basierte zentral aufwärts jener Idee, dass sich eine aufgeklärte Bundesrepublik ihrer Vergangenheit stellte. Dass selbige Epoche, die von Ende jener 1980er solange bis Anfang jener 2010er Jahre ihren gesellschaftlichen Konsens hatte, diesen jetzt wieder zu verlieren droht, dass dies schuldbewusste Nationalbewusstsein und die daraus abgeleitete uneingeschränkte Loyalität mit den Juden sowohl von rechtsnationaler Seite („Schuldkult“) qua fernerhin – seitdem dem 7. Oktober schmerzhaft visuell – von migrantischen Milieus abgelehnt wird („Free Palestine from German Guilt“), darf man jener deskriptiven Kategorie jener Erinnerungskultur selbst nicht vorwerfen. Vielmehr zeigt sich, wie sehr die Assmann-These von jener „Konstruktion kultureller Zeit“ sich bewahrheitet: Das kulturelle Gedächtnis ist nichts Statisches, sondern irgendwas höchst Dynamisches. Dass eine Generation aufgeklärter Deutscher sich fernerhin irgendwas wohlfeil im „Gedächtnistheater“ (Max Czollek) möbliert hatte, dass die Aufarbeitung jener deutschen Schuld, dies Bekenntnis, dass so irgendwas „Nie wieder“ vorbeigehen dürfe, zum Ritual erstarrte, dies die Gegenwart aus den Augen verlor, sehen wir heute so fühlbar wie nie.
Als ich die Assmanns für einem Besuch in Konstanz im Jahr 2018 nachdem fragte, welche wissenschaftlichen Eigenschaften sie am jeweils anderen vor allem schätzten, lobte er: ihre Disziplin, ihr Stilempfinden und ihre Lektüreintensität qua Philologin – er selbst sei ein praktisch selektiver Leser seiner Fachliteratur und für Romanlektüren streiche er sich so gut wie nie irgendwas an. Sie wiederum würdigte sein Griechisch und Hebräisch und seine epigrafisch ausgerichtete Aufmerksamkeit, sprich sein Interesse zum Besten von Inschriften aller Art, von Hieroglyphen solange bis zu Musikpartituren.
Denn, dies sollte man nicht vergessen, Jan Assmanns Leidenschaft galt jener Musik. Als 2020 sein Buch obig Beethovens „Missa Solemnis“ erschien, verriet er dem Konstanzer „Südkurier“: „Als Schüler habe ich mich nur zum Besten von Musik wissbegierig und wollte später Musikwissenschaft studieren. Doch nachher dem Abitur verließ mich jener Mut. Ich entschied mich zum Besten von Archäologie und bin später in die Ägyptologie gerutscht. Es begann dies Studium jener Keilschriften und Hieroglyphen. Da blieb ich hängen.“
Dass Assmann seine wissenschaftliche Laufbahn mit einer Dissertation zur altägyptischen Hymnik (Titel: Liturgische Lieder an den Sonnengott) eröffnete, schien insofern nur schlüssig. Viele seiner kulturwissenschaftlich anregenden Studien gingen von Ägypten aus, egal ob er nun qua Archäologe („Das Grab des Basa“, 1973) oder Althistoriker („Ägypten. Eine Sinngeschichte“, 1996) argumentierte, qua Thomas-Mann-Leser („Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen“, 2006) oder qua Mozart-Publikum („Die Zauberflöte. Oper und Mysterium“, 2005). Am wohl einflussreichsten – neben dem epochalen Werk zum Kulturellen Gedächtnis – geriet „Die Mosaische Unterscheidung“ (2003). Die darin enthaltene religionswissenschaftliche These, erstmals vorgetragen in „Moses, jener Ägypter“ (1998), sieht im Übertragung vom Polytheismus zum Monotheismus die Geburtsstunde jener intoleranten, gewalttätigen Religionen – eine Sichtweise, die nachher dem 11. September und dem weltweit virulenten islamistischen Terror fernerhin Debattengeschichte geschrieben hat.
Der Ägyptologe Assmann war nie nur in jener akademischen Welt seines eigenen Faches zu Hause, und er schrieb fernerhin nie nur fürs eigene Fachpublikum. Vielmehr wusste er mit seinen übersichtlichen Inhaltsverzeichnissen und seinen gefällig jargonfreien und anschaulichen Texten stets fernerhin nicht fachliche Leser in Schwingung zu versetzen. Vor allem wusste er, dass jener Tod beziehungsweise jener Wunsch, ihn zu besiegen, die jahrtausendealte Gedächtniskultur am Nil gar erst hervorgebracht hatte: In einem seiner schönsten Aufsätze (obig den Mythos von Isis und Osiris) heißt es: „Wir verstehen jetzt, warum in jener ägyptischen Grabplastik und in jener Ikonographie jener Gräber jener Verstorbene so oft, geradezu regelmäßig, in Gemeinschaft seiner Gattin dargestellt ist, die verschmelzen Arm um seine Schulter legt oder ihn jenseitig berührt. Wenn die ägyptische Kultur … im Grunde qua ein einziger Protest gegen den Tod und qua dies Projekt seiner Überwindung verstanden werden kann, dann steht im Zentrum dieses Projekts die Wiederherstellung des Paares und seiner innigen Gemeinschaft, die jener Tod durch erzwungene Trennung zerrissen hat.“ Nun ist Jan Assmann, wie die Familie berichtet, in jener Nacht vom 18. aufwärts den 19. Februar im Alter von 85 Jahren in Konstanz gestorben.
Source: welt.de