28-Punkte-Plan zur Ukraine: Es ist Zeit z. Hd. eine realistische Begradigung jener Frontlinie
Im Krieg gegen die Ukraine gab es von Beginn an Überraschungen, 180-Grad-Wenden und verpasste Chancen. Nur eines ist gleichgeblieben: Die Radikalisierung auf allen Seiten nahm schrittweise zu, sodass die Opferzahlen unablässig stiegen. Und mit ihnen die Aussichtslosigkeit auf eine politische Lösung. Viele Europäer und Ukrainer redeten sich ein, dass ein Sieg zum Greifen nah sei, wenn man nur lange genug durchhalte und „more of the same“ mache.
Die Devise demnach: härtere Sanktionen gegen Russland und mehr Waffen sowie Geld für das Opfer seiner Aggression. Die USA sehen das seit dem Regierungswechsel im Januar 2025 zunehmend anders, wenngleich schwankend. Frieden, so jüngst Vizepräsident J. D. Vance, werde nicht von „gescheiterten Diplomaten oder Politikern in einer Fantasiewelt geschaffen“, sondern nur „von klugen Menschen in der realen Welt erreicht“. Zeit also, für eine realpolitische Frontbegradigung. Wie diese aussehen könnte, liegt seit Tagen auf dem Tisch.
Ein gangbarer Ausweg aus der Ausweglosigkeit
Ein Pessimist ist ein gut informierter Optimist, und so fällt es schwer, auch nur zu hoffen, der 28-Punkte-Plan des erratischen US-Präsidenten Donald Trump könne einen gangbaren Ausweg aus der Ausweglosigkeit vorzeichnen. Auch wenn diese Agenda ein Rahmendokument und kein Friedensabkommen ist: Niemand kann heute sagen, ob Russland tatsächlich auf dieser Basis den Krieg gegen die Ukraine beendet. Und es ist ebenso unklar, ob Präsident Wolodymyr Selenskyj dem Druck nachgibt und diesem Plan zustimmt.
Sein Framing, dass es nunmehr darum ginge, „entweder die ukrainische Würde“ oder den wichtigsten Partner USA zu verlieren, ließ zunächst wenig Hoffnung auf konstruktive Mitwirkung. Doch haben Vertreter der USA und der Ukraine inzwischen einen überarbeiteten Entwurf für den Plan zum Ende des Krieges erstellt und wollen weiter intensiv daran arbeiten. „Es gibt Signale, dass das Team von Präsident Trump uns erhört“, sagte Selenskyj danach.
Es sind vor allem die europäischen Zentralmächte wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die Besseres für die Ukraine herausholen wollen. Die EU-Kommission erklärte zunächst im Namen wichtiger EU-Staaten, dass man „die anhaltenden Bemühungen der USA zur Befriedung der Ukraine“ begrüße und „diesen Entwurf daher für eine Grundlage“ halte, die allerdings „zusätzliche Arbeit“ erfordere.
Man sei bereit, sich zu engagieren, um sicherzustellen, dass ein Frieden nachhaltig sei und der Maxime folgen müsse, dass „Grenzen nicht mit Gewalt geändert werden dürfen“. Zudem sei man besorgt über die vorgeschlagenen Beschränkungen für die Streitkräfte der Ukraine, die das Land anfällig für „zukünftige Angriffe“ machten. Das klingt eher nach Obstruktion, denn nach konstruktiven eigenen Vorschlägen.
Auch ist von einem EU-Gegenentwurf die Rede, der keine Zustimmung zu einem grundlegenden NATO-Verzicht der Ukraine signalisiert und dafür plädiert, dass deren Armee statt auf 600.000 nur auf 800.000 Mann reduziert wird. Schließlich soll es bei den territorialen Fragen keine De-Facto-Lösungen geben, sondern lediglich ein Einfrieren an der aktuellen Frontlinie. Wenn die Ukraine und die USA den überarbeiteten Plan nun mit Europa abstimmen wollen, wird sich zeigen, wie konstruktiv sich die europäischen Vertreter verhalten werden.
Aufrüstung und permanente Eskalationsrisiken
Spätestens jetzt ist Zeit, Tacheles zu reden: Wenn Kiew diesen Plan ablehnt, und die meisten Europäer die Ukraine dazu ermuntert, dann – so sagt es Donald Trump unmissverständlich – kann die Ukraine mit ihren europäischen Freunden an der Seite allein bis zum bitteren Ende kämpfen. Wie sähe das aus? Die Europäer müssten einen verlustreichen Abnutzungskrieg nicht nur allein weiter finanzieren und die klamme Ukraine finanziell dauerhaft über Wasser halten. Das allein wäre schwer genug. Ohne US-Unterstützung bei Zielerfassung und Aufklärung würde die Ukraine vermutlich militärisch weiter in die Defensive geraten und Russland den Krieg aller Wahrscheinlichkeit nach eher früher als später militärisch gewinnen.
Das hieße, die auf dem Schlachtfeld geschaffenen Fakten würden dann nicht durch eine realistische Frontbegradigung auf politischer Ebene begleitet, sondern es entstünde eine dauerhafte Konfrontation zwischen Europa und Russland – mit der Ukraine als instabilem Kern dieser Auseinandersetzung. Unkontrollierte Aufrüstung, permanente Eskalationsrisiken, Dauerkonfrontation – und trotzdem eine verheizte Ukraine. All diese wäre dann die politische Realität der kommenden Jahre und vermutlich Jahrzehnte.
Der 28-Punkte-Plan ist der Versuch, aus diesem destruktiven Modus herauszufinden. Und ja: Er enthält für die Ukraine schwer annehmbare Aussagen wie den faktischen Verzicht auf Gebiete und den Abschied von der Illusion einer NATO-Mitgliedschaft. Auch die Straflosigkeit von russischen Kriegsverbrechen nach dem Motto „Schwamm drüber“ ist kein gutes Zeichen für künftige Aggressoren.
Zugleich aber würde das Existenzrecht einer territorial veränderten, neutralen Ukraine deutlich gesichert, nicht nur mit einer 600.000 Soldaten starken ukrainischen Armee (immer noch eine der größten Europas!), sondern auch durch gewisse westliche Sicherheitsgarantien, auch wenn diese keinen Automatismus beinhalten. Zudem würde der Plan den Wiederaufbau des geschundenen Landes (für den freilich die Europäer zahlen müssten) ermöglichen.
Die damit verbundene schrittweise Rückkehr Russlands in eine noch zu definierende europäische Ordnung brächte neben Risiken auch Chancen. Der Preis jedenfalls, den Russland nach einem Abkommen für eine abermalige Aggression in der Ukraine zahlen müsste, wäre deutlich höher als zu jedem anderen Zeitpunkt der vergangenen Jahrzehnte.
Wie weit reicht der Arm Donald Trumps im Augenblick?
Wenn all dies mithin die Eintrittskarte für einen politischen Neuanfang mit Russland wäre – ein Russland, das nicht von der Landkarte verschwindet und ein Faktor europäischer Politik bleibt – dann entspräche dies der europäischen Interessenlage, diesen Weg zu gehen und der Ukraine klarzumachen, dass für sie jede Alternative schlechter wäre. Diejenigen in Deutschland und Europa, die nun „Kapitulationserklärung“, „neues Münchner Abkommen“ oder „Verrat“ rufen, haben nichts beizutragen zu einer besseren Lösung, die zu vertretbaren Kosten und ohne eine desaströse militärische Auseinandersetzung mit Russland machbar wäre.
Die kommenden Tage und Wochen werden entscheidend für die Zukunft der europäischen Sicherheitsordnung. Die Europäer müssen nun das tun, was ihnen sichtbar schwerfällt: Ihre wirkungslose, wertegetriebene Symbolpolitik aufgeben und zu rationaler Interessenorientierung zurückfinden. Man darf gespannt sein, wie weit der Arm Donald Trumps reicht.